Sie ist ein Winzerschreck, die Kirschessigfliege, denn sie macht Trauben ungenießbar. Wissenschaftler suchen nach einem Ersatz für Pflanzenschutzmittel. Sie experimentieren mit gentechnisch veränderten Schädlingen. Umweltschützer sind nicht begeistert.

Stuttgart - Die Kirschessigfliege (Drosophila suzukii) ist ein Winzerschreck. Wenige Millimeter groß schimmert ihr Körper bernsteinfarben bräunlich, die Augen leuchten rot. Die eingeschleppte, asiatische Fruchtfliegenart legt ihre Eier in Weich- und Steinobst. Die Folge: Fäulnis und Ernteausfall. Mit dem Insektizid Spintor gehen Landwirte in Deutschland gegen die Kirschessigfliege vor. Der Nachteil: es schadet auch Bienen. Um die Schädlinge umweltschonender zu bekämpfen, versuchen Wissenschaftler, gezielt die Paarung der Tiere zu manipulieren.

 

Im Jahr 2011 wurde die Kirschessigfliege erstmals in Deutschland gesichtet, 2014 war der Befall besonders stark. Der Forschungsbedarf ist groß: „Von Grundlagenforschung bis zu aktiven Bekämpfungsmethoden brauchen wir noch alles“, sagt Marc Schetelig, Leiter einer Forschungsgruppe am Fraunhofer-Institut für Molekularbiologie und Angewandte Ökologie in Gießen. Er und sein Team entwickeln derzeit eine gentechnisch veränderte, sterilisierte Kirschessigfliege. Dafür schleusen sie in deren Erbgut Gene ein, die auch den Bauplan für ein bestimmtes Eiweißmolekül tragen. Wird dieses Protein hergestellt, endet das für die weiblichen Fliegen tödlich.

Ein Antibiotikum wird zum Schalter

Das ist ganz im Sinne der Wissenschaftler, denn so sortieren sie die weiblichen Kirschessigliegen schon früh aus. Die Forscher interessieren sich nur für die Männchen. Diese entwickeln sich normal, trotz des eingeschleusten DNA-Fragments, denn sie verarbeiten die Information anders. Die Männchen werden dann durch radioaktive Bestrahlung sterilisiert und, sollte die Methode in Zukunft tatsächlich angewandt werden, in der Natur ausgesetzt. Dort paaren sie sich zwar, doch der Nachwuchs bleibt aus.

Für die Zucht brauchen die Wissenschaftler jedoch Männchen wie Weibchen. Deshalb haben die Biologen einen Mechanismus eingebaut, mit dem sie die Herstellung des tödlichen Proteins verhindern können. Das Antibiotikum Tetrazyklin bindet an die DNA und blockiert den Zugang zum Bauplan des für Weibchen tödlichen Eiweißes. In der Zucht überleben beide Geschlechter, da sie ständig mit dem Antibiotikum gefüttert werden und die Weibchen das Antibiotikum an die Embryonen weitergeben. Sobald sie jedoch kein Tetrazyklin mehr angeboten bekommen, überleben lediglich die Männchen. „Dieses sogenannte Sexing ist ein essenzieller Bestandteil für erfolgreiche und umweltfreundliche Bekämpfungsprogramme in der Zukunft“, meint Schetelig. „Selbst wenn die Methode klappt, ist das jedoch kein Freibrief, sich nicht mehr um weitere Möglichkeiten zu kümmern.“ Es sei zum Beispiel auch wichtig, neue Insektizide zu finden, denn ein massenhaftes Auftreten lasse sich allein mit radioaktiv sterilisierten Insekten schlecht bekämpfen. Zudem hat die radioaktive Sterilisation Grenzen, denn nicht alle Insektenarten sprechen darauf an.

Was macht das Antibiotikum in freier Natur?

Das Unternehmen Oxitec setzt auf eine andere Methode. Die Wissenschaftler schleusen ebenfalls ein Todesgen in das Insektenerbgut. Doch sie nutzen es nicht, um die Weibchen auszusortieren. Vielmehr haben sie den Mechanismus so modifiziert, dass in Abwesenheit von Tetrazyklin auch in Männchen immer mehr von dem tödlichen Protein hergestellt wird. Die Tiere müssen daher bis zur Freisetzung mit dem Antibiotikum gefüttert werden. Entlassen die Forscher die Männchen in die Tetrazyklin-arme Freiheit, sterben sie nach kurzer Zeit. Auch die Olivenfliege (Bactrocera oleae) hat Oxitec mit der Methode gentechnisch verändert. Die Fliege ist der Schrecken südeuropäischer Bauern, denn die Weibchen legen ihre Eier in Oliven und machen sie für die Verarbeitung unbrauchbar.

Die britische Non-Profit Organisation Gene Watch kritisiert Oxitec und deren Methode. Die Aktivisten befürchten, dass sich durch die Fütterung von Antibiotika Tetrazyklin-resistente Keime etablieren könnten. Diese würden mit der Freisetzung der Schädlinge in die Umwelt entlassen. Das wäre ein Risiko für den Menschen, denn das Breitbandantibiotikum wird in der Medizin zur Behandlung vieler Infektionen eingesetzt. Die Methode zur Bekämpfung der Kirschessigfliege birgt laut Schetelig hierfür eine geringere Gefahr. „Die Insektenembryonen bekommen das Antibiotikum nur über die Mutter, die es über das Futter aufnimmt“, erklärt er. „An die Männchen, die am Ende freigelassen werden sollen, wird es nicht verfüttert.“

Freilandversuche geplant

Oxitec hat die modifizierte Olivenfliege nach eigenen Angaben bereits erfolgreich im Gewächshaus getestet. Nun will die Firma Freilandversuche in Spanien starten. Schon zwei Mal hat Oxitec Anträge bei den Behörden eingereicht und wieder zurückgezogen, möglicherweise weil die Behörden Sicherheitsbedenken äußerten. Auf der Firmenwebsite kündigt Oxitec jedoch weitere Anträge an. Die Olivenfliege wäre in Europa das erste gentechnisch veränderte Tier, das im Freiland ausgebracht wird.

Stephanie Töwe-Rimkeit von Greenpeace hat Bedenken, ob gentechnisch veränderte Insekten zur Schädlingsbekämpfung hierzulande tatsächlich nötig und sinnvoll sind. „Die Olivenfliege legt ihre Eier dann trotzdem in die Oliven, und der Bauer kann sie nicht mehr verkaufen“, sagt sie. Außerdem sei es schon schwer genug, gentechnisch veränderte Pflanzen an der Ausbreitung zu hindern. Bei mobilen Tieren sei das umso schwerer. „Will ein Bauer dann gentechnikfrei produzieren, ist das eigentlich nicht mehr möglich“, kritisiert sie. Die Eier der Olivenfliege sind weniger als einen Millimeter groß. Schlüpfen daraus keine Larven, bleiben sie möglicherweise unbemerkt in der Frucht. Statt sich neue, riskante Methoden mit gentechnisch veränderten Insekten auszudenken, solle man sich doch auf natürliche Methoden besinnen, meint Töwe-Rimkeit. „Da muss ein Umdenken stattfinden. Hin zur zwar arbeitsintensiveren, aber ökologischen Schädlingsbekämpfung.“

Der Bioethiker Thomas Potthast von der Universität Tübingen sieht das ähnlich. „Die Anbaufläche und vor allem auch die Anbauweise von Oliven hat sich durch Förderung der Europäischen Union stark vergrößert und verändert, das begünstigt womöglich die Schädlinge“, sagt er. Vielleicht könne eine abwechslungsreichere Landnutzung den Schädling zumindest eindämmen. Generell müsse berücksichtigt werden, dass sich Insekten schnell vermehren und rasch anpassen können. „Das ist ein Resistenzwettlauf. Die Vorstellung, man könne wirklich genau kontrollieren, was in freier Natur passiert, ist falsch“, sagt er. Die Folgen für das Ökosystem seien unvorhersehbar. Die vermeintliche Problemlösung funktioniere vielleicht nicht oder habe schädliche Nebenfolgen. „In der Natur gibt es keine hundertprozentige Sicherheit.“

Freisetzung von genetisch veränderten Insekten

Europa
Die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) hat Risikobewertungskriterien für den Einsatz gentechnisch veränderter Insekten herausgegeben. Doch die Entscheidung, ob solche Tiere für Freilandversuche zugelassen werden, liegt letztlich in Länderhand. Die Mitglieder der britischen Non-Profit-Organisation Gene Watch beobachten kritisch neue Entwicklungen in der Gentechnik. Sie kritisieren die EFSA und die erarbeiteten Kriterien öffentlich: Im Expertenkomitee seien die Interessenkonflikte eines Mitglieds nicht offengelegt worden. Die Prüfung durch die europäische Bürgerbeauftragte gab der Organisation recht.

Oxitec
Die britische Firma Oxitec, mittlerweile aufgekauft von dem US-amerikanischen Großkonzern Interxon, hat schon mehrere gentechnisch veränderte Insekten entwickelt und bereits im Freiland getestet. Am weitesten fortgeschritten ist ihr Projekt mit einer gentechnisch veränderten Ägyptischen Tigermücke. Im Rahmen von Freilandversuchen wurden bereits Milliarden Mückenmännchen ausgesetzt – vorwiegend in Ländern, die sich keinen Risikobewertungen zur Biosicherheit verpflichtet haben.

Brasilien
Im Jahr 2014 erteilte Brasilien Oxitec die Erlaubnis, die gentechnisch modifizierte Tigermücke kommerziell zu vertreiben. Nach Regierungsangaben sind in den letzten fünf Jahren 3,2 Millionen Menschen am Denguevirus erkrankt. Es wird von der Ägyptischen Tigermücke übertragen und geht mit schweren Gliederschmerzen einher, in seltenen Fällen führt die Erkrankung zum Tod. In Brasilien ist das Denguefieber gefürchtet, denn die Fallzahlen nehmen jährlich zu.