Europas Verbrauchern schmeckt grüne Gentechnik nicht. Im Ausland jedoch boomt das Geschäft. Davon profitiert auch das größte deutsche Pflanzenzüchtungsunternehmen, KWS. Die deutsche Angst vor Gentechnik kann man bei KWS nicht nachvollziehen.

Einbeck - Als der Chemieriese BASF im Januar ankündigte, seine Forschung auf dem Gebiet der grünen Gentechnik nahezu komplett in die USA zu verlegen, herrschte bei Greenpeace große Freude. „Das ist ein Erfolg, der ohne die Verbraucher nicht möglich gewesen wäre“, hieß es in einer Pressemitteilung der Organisation. Denn Lebensmittel aus gentechnisch veränderten Pflanzen sind in Deutschland und Europa praktisch nicht verkäuflich, obwohl im Bereich der Lebensmittelzusatzstoffe bereits gentechnische Methoden eingesetzt werden. Viele Verbraucher haben trotzdem Angst vor negativen Auswirkungen der grünen Gentechnik auf ihre Gesundheit.

 

Wegen der massiven Ablehnung der Kunden haben die hiesigen Bauern auch kein Interesse am Anbau derartiger Pflanzensorten. Hinzu kommen strenge Haftungsregeln. Wenn etwa in als gentechnikfrei deklariertem Bienenhonig Spuren des Blütenstaubs von Gentechnikpflanzen auftauchen, droht dem Landwirt, der in der Nähe Gentechnikpflanzen anbaut, eine Schadenersatzklage. Es sei wegen der geringen Akzeptanz nicht sinnvoll, weiter in transgene Pflanzen zu investieren, die für den kommerziellen Anbau in Europa vorgesehen sind, heißt es bei der BASF.

Auch das größte deutsche Pflanzenzüchtungsunternehmen, die KWS Saat AG in Einbeck bei Göttingen, verkündete im Frühjahr, in Deutschland und Rest-Europa keine Gentechniksorten mehr zu vertreiben und auch keine entsprechenden Freilandversuche anzulegen. Diese waren in den vergangenen Jahren ohnehin oft von Gentechnikgegnern zerstört worden. „Wir sehen die Vorbehalte gegenüber der Gentechnik hierzulande und respektieren die Wahlfreiheit der Kunden und Verbraucher“, sagt der KWS-Vorstandschef Philip von dem Bussche. Ganz nachvollziehen kann er die Ängste indes nicht: „Keine wissenschaftlich geprüfte Studie belegt gesundheitliche oder ökologische Risiken.“

Die weltweite Anbaufläche steigt weiter

Anders als bei der BASF wird in den Labors und Gewächshäusern der KWS weiter intensiv mit gentechnischen Methoden gearbeitet – etwa mit der archaisch anmutenden Partikelkanone, die mit DNA imprägnierte Goldkügelchen in Pflanzenzellen schießt. Denn in anderen Teilen der Welt läuft das Gentechnikgeschäft gut. „In Nordamerika und Teilen Asiens wachsen auf bis zu 90 Prozent der Ackerfläche gentechnisch veränderte Nutzpflanzen“, sagt von dem Bussche. Knapp ein Drittel des Umsatzes der KWS werde mittlerweile in diesem Segment erzielt – zum größten Teil auf dem US-Markt. Auch in Brasilien, Argentinien, Indien und Kanada wachsen auf zig Millionen Hektar transgene Pflanzen.

Die Plastikschälchen im Biotechnologiegebäude der KWS sehen aus wie die in der Feinkosttheke im Supermarkt. Doch statt Fleischsalat, Oliven oder Peperoni befinden sich darin kleine grüne Pflänzchen, deren Blätter fast an den Deckel stoßen. „Das sind Zuckerrüben“, erläutert Klaus Schmidt, Projektleiter in der molekularbiologischen Forschung. In einer sterilen Werkbank, die von keimfreier Luft durchströmt wird, setzen zwei Assistentinnen die Pflanzen in neue Plastikschalen um. Statt in Erde wurzeln sie in einem Nährmedium. Auch Getreide und Kartoffeln wachsen im Biotechnologiegebäude in Einbeck unter Laborbedingungen.

Den Kartoffeln wurde ein Gen übertragen, das sie widerstandsfähig gegen Kraut- und Knollenfäule machen soll. Bei Weizen geht es darum, den Befall mit Pilzkrankheiten zu verhindern und so den Einsatz von Spritzmitteln zu verringern. Als Gentransporter dienen meist Agrobakterien – Bodenmikroben, die Erbmaterial in Pflanzenzellen übertragen können. „Diese Methode hat sich in der Natur schon seit Jahrmillionen bewährt“, meint Schmidt.

Das Argument, die Züchtungsindustrie wolle die Bauern mit der Gentechnik von sich abhängig machen, lässt von dem Bussche nicht gelten: „Jeder Landwirt ist frei zu entscheiden, welche Sorte er anbaut. Er wird nur dann gentechnisch verändertes Saatgut einsetzen, wenn er auch einen Nutzen davon hat.“ So lasse sich mit Hilfe der Gentechnik der Aufwand für Pflanzenschutzmittel senken – etwa durch eine verbesserte Resistenz gegen Insekten.

Sorge um Wettbewerbsfähigkeit

Europas Landwirte könnten im internationalen Wettbewerb irgendwann den Kürzeren ziehen, wenn sie weiter auf die Gentechnik verzichteten, warnt der KWS-Chef. Andererseits dürfe man die Möglichkeiten dieser Technologie auch nicht überschätzen. „Die Gentechnik ist nur eine von vielen Methoden, die wir nutzen, um neue Sorten zu entwickeln.“ Die Basis bilde nach wie vor die klassische Züchtung. Dazu werden über viele Generationen gezielt Pflanzen ausgewählt und vermehrt, die den gewünschten Eigenschaften am nächsten kommen.

Dabei helfen heute auch molekularbiologische Methoden zur Analyse des Erbguts. Die so gewonnenen Daten erleichtern die Auswahl geeigneter Pflanzen unter einer Vielzahl von Kandidaten. Mit konventioneller Züchtung hat die KWS beeindruckende Erfolge erzielt. Beispiel Zuckerrübe: als das 1856 in Klein Wanzleben bei Magdeburg gegründete Unternehmen mit der Züchtungsarbeit an dieser Pflanze begann, lag der Zuckergehalt der Rüben gerade mal bei sechs Prozent, aus der von einem Hektar geernteten Menge konnte eine Tonne Zucker gewonnen werden. Heute enthalten die Rüben fast 20 Prozent Zucker und die Zuckerernte pro Hektar liegt bei zwölf Tonnen.

Nicht nur die Pflanzen, die aus den Samen von KWS sprießen, gedeihen gut, auch das Unternehmen wächst kräftig. In den vergangenen fünf Geschäftsjahren ist der Umsatz im Durchschnitt jeweils um mehr als zwölf Prozent gewachsen und damit stärker als die Branche, die weltweit gut zehn Prozent per annum zulegte. Auch im laufenden Geschäftsjahr erwartet die weltweite Nummer vier der Branche ein zweistelliges Plus auf 980 Millionen Euro. Der Betriebsgewinn hat seit 2006 um durchschnittlich 16 Prozent zugelegt. Von den Hügeln um die Kleinstadt Einbeck aus ist die KWS nicht zu übersehen. In der Ansammlung von Backsteingebäuden, an die Gewächshäuser und Versuchsfelder angrenzen, arbeiten rund 1000 Menschen, vor 20 Jahren waren es erst 500. Weltweit soll die Mitarbeiterzahl im laufenden Geschäftsjahr um acht Prozent auf 3850 steigen.

In Einbeck sitzen auch die Züchter, die für die weltweite Sortenentwicklung zuständig sind. Die Früchte ihrer Arbeit heißen etwa „Amadeo“, „Atletico“ und „Ronaldinio“ oder „Isabella“, „Debora“ und „Belladonna“. Die Männernamen stehen für Maissorten, die Frauennamen für Zuckerrübensorten. Für diese Kulturpflanzenart ist KWS nach eigenen Angaben der weltgrößte Saatgutlieferant. Produziert wird das Saatgut vor allem in Südeuropa, wo die Samen besser reifen als hierzulande.

100 000 Samenkörner reichen für einen Hektar

Die Aufbereitung findet in Einbeck statt. Die dafür nötige Anlage – ein Gewirr aus Rohren, Sieben und Fördervorrichtungen – erstreckt sich über mehrere Stockwerke. Die Körner werden gereinigt, nach Größe sortiert, durch Polieren von Ecken und Kanten befreit und schließlich mit einer Mischung aus Holzmehl und Zuschlagstoffen umhüllt. Je nach Bedarf kommen Pflanzenschutzmittel dazu, die die Jungpflanzen etwa vor Pilzbefall oder Insekten schützen. Das Endprodukt – kleine orangerote Kügelchen – sieht aus wie Pillen aus der Apotheke und heißt daher auch „pilliertes Saatgut“. 100 000 Körner stecken in jedem der Pappkartons mit dem orange-grünen Firmenlogo. Eine Schachtel reicht für rund einen Hektar – also etwa die eineinhalbfache Fläche eines Fußballfeldes.

Mit der Zuckerrübe hat bei der KWS alles angefangen, doch mittlerweile ist der Mais mit einem Umsatzanteil von knapp 60 Prozent zur bedeutendsten Pflanzenart für das Unternehmen aufgestiegen. „Mitte der 1950er Jahre sind wir in die Maiszüchtung eingestiegen, es hat aber bis in die 1990er Jahre hinein gedauert, bis wir einen kontinuierlichen Nachschub an neuen Sorten sicherstellen konnten“, sagt von dem Bussche. Jahrzehntelang produzierte das neue Geschäftsfeld vor allem Kosten.

Für von dem Bussche ist die Entwicklung der Maissparte ein Beleg dafür, dass in der Pflanzenzüchtung langfristiges Denken so wichtig ist wie in kaum einer anderen Branche. „Hier kommt uns zugute, dass unsere Mehrheitseigentümer aus den Gründerfamilien stammen und unser Geschäft genau kennen“, sagt der Vorstandschef. 56 Prozent der Aktien des S-Dax-Unternehmens liegen bei den Familien Büchting und Giesecke sowie dem Lebensmittelindustriellen Arend Oetker, knapp 14 Prozent gehören dem Eigentümer der Möbelkette Roller, Hans-Joachim Tessner.

Hohe Forschungsausgaben

Um laufend neue Sorten anbieten zu können, investiert die KWS rund 13 Prozent des Umsatzes in Forschung und Entwicklung. Der Entwicklungsaufwand liegt damit auf dem Niveau eines durchschnittlich forschenden Pharmaherstellers und rund doppelt so hoch wie etwa beim Daimler-Konzern. Ähnlich wie bei einem Automodell ist der Lebenszyklus einer Pflanzensorte meist auf einige Jahre begrenzt, weil sich die Anforderungen ständig ändern – etwa durch den Klimawandel oder neue Verwertungsrichtungen wie Energieproduktion oder nachwachsende Rohstoffe. Erfolgreiche Pflanzenzüchter müssen heute schon wissen, was die Landwirte in acht oder zehn Jahren brauchen. So lange dauert die Entwicklung einer neuen Sorte.

Die Kosten dafür liegen im Durchschnitt bei fünf Millionen Euro – gut investiertes Geld, wie von dem Bussche meint, denn die Perspektiven seien weiter gut. Angesichts begrenzter Anbauflächen und einer wachsenden Bevölkerung müssten die Flächenerträge weiter steigen, sagt der KWS-Chef. Und dabei spiele die Pflanzenzüchtung eine ganz entscheidende Rolle – mit oder ohne Gentechnik.

Umstrittene Grüne Gentechnik

Methoden:
Pflanzenzüchtung hat das Ziel, die Erbanlagen von Nutzpflanzen zu verändern, um Ertrag, Qualität oder Krankheits- und Schädlingsresistenz zu verbessern. In der konventionellen Züchtung geschieht das durch Kreuzung und Selektion. Die grüne Gentechnik greift direkt ins Erbgut ein. So lassen sich auch Gene von Bakterien oder anderen Arten integrieren, welche die Pflanzen etwa resistent gegen ein bestimmtes Unkrautvernichtungsmittel machen.

Gesundheit
: Umweltverbände wie der BUND kritisieren, dass die Auswirkungen des Verzehrs gentechnisch veränderter Pflanzen auf die Gesundheit nicht hinreichend geklärt seien. So könnten sie etwa neue allergene Stoffe enthalten. Die Fütterungsversuche bei Tieren hält der BUND für wenig aussagekräftig, da sie in der Regel von den Herstellern selbst durchgeführt würden.

Ökologie:
Umweltschützer sehen in der grünen Gentechnik auch ökologische Risiken. So könnten eingebaute Gene durch Pollenflug auf Wildpflanzen übergehen. Zudem könne durch herbizidresistente Sorten der Einsatz von Unkrautvertilgern zunehmen. Das Bundeslandwirtschaftsministerium hat 2009 den Anbau einer Maissorte von Monsanto verboten, die dank des Gens eines Bodenbakteriums resistent gegen den Schädling Maiszünsler ist. Das Ministerium verwies auf mögliche Risiken für Schmetterlinge, Marienkäfer und Wasserorganismen.

Anbau
In Deutschland gibt es aktuell keinen kommerziellen Anbau von Gentechnikpflanzen. Laut Bundessortenamt ist hierzulande keine einzige derartige Sorte zugelassen. International steigen die Anbauflächen transgener Pflanzen dagegen weiter an.