Gegen Österreich bestreitet Philipp Lahm am Freitag sein 100. Länderspiel. Dieses Jubiläum sieht der gebürtige Münchner als Nebensache. Schon sehr früh ist klar gewesen, dass der Verteidiger in seiner Karriere große Ziele hat.

Sport: Heiko Hinrichsen (hh)

München - Da hat er sich nun in 99 Länderspielen abgerackert. Stand dabei immer in der Startelf der deutschen Fußball-Nationalmannschaft, hat stets gut, häufig sogar auf Weltklasseniveau verteidigt, die Nation zuweilen auch mit Toren erfreut, wie etwa mit dem unvergessenen Schlenzer zur 1:0-Führung im Auftaktspiel der Heim-Weltmeisterschaft 2006 gegen Costa Rica – und dann so etwas: „Wohl eher nicht“, antwortet sein Bayern-Spezi Thomas Müller trocken auf die Frage, ob der „Fips“, wie er den Jubilar Philipp Lahm nennt, nach Spielschluss der WM-Qualifikationspartie am Freitagabend gegen Österreich (20.45 Uhr/ZDF) mit einer kleinen, von den Kollegen organisierten Feier rechnen dürfe.

 

Philipp Lahm muss sein 100. Länderspiel also eher im Stillen genießen. Immerhin, ein paar Blumen wird es geben vom DFB-Präsidenten Wolfgang Niersbach vor dem Anpfiff in der Münchner Arena. „So ein Jubiläum vor der Haustüre ist schon etwas Schönes“, findet Lahm, das Original Münchner Kindl, „aber Nebensache.“ Schließlich, das fügt der Rechtsverteidiger an, werde man nicht Fußballer, um mal einen Rekord an Länderspielen aufzustellen. „Titel sind es“, sagt Lahm, „die will man holen.“ Die Bestmarke von Lothar Matthäus, die bei 150 Einsätzen liegt, die sollen besser andere knacken. Lukas Podolski vielleicht. „Der ist jünger als ich – und hat schon mehr Spiele.“

Ehrgeizling mit Stoppelfrisur

ückblende: es ist Frühling 2005, in Stuttgart heißt der Trainer Matthias Sammer, als ein 21-Jähriger mit Stoppelfrisur den Container betritt, der beim VfB damals noch die Presseabteilung beherbergt. Philipp Lahm, damals noch Linksverteidiger, ist auf Empfehlung des „Tigers“ Hermann Gerland 20 Monaten zuvor vom FC Bayern nach Stuttgart gekommen. Für zwei Jahre, leihweise, versteht sich – denn zunächst gibt es in München an Bixente Lizarazu und Willy Sagnol kein Vorbeikommen. Aber er hat in seiner Karriere Großes vor. Schnell wird im Gespräch mit dem Youngster, der beim VfB längst Heiko Gerber aus der Stammelf verdrängt hat und am 21. Februar 2004 beim deutschen 2:1-Sieg in Kroatien in der Nationalelf debütierte, klar: hier sitzt ein kleiner Ehrgeizling.

Philipp Lahm, der Musterschüler mit der Klassensprecher-Attitüde, wusste eben schon immer, was er will. Also spricht er in jenem Frühling des Jahres 2005, nachdem ihn ein Ermüdungsbruch im rechten Mittelfuß für einige Wochen außer Gefecht gesetzt hat, davon, dass es nun gelte, „sich konzentriert wieder heranzukämpfen“, dabei „fokussiert zu bleiben“ und „das Ziel nicht aus den Augen zu verlieren“.

Prototyp des modernen Fußballers

So ist das mit Lahm bis zum heutigen Tage geblieben. Überraschungsmomente fehlen völlig im verbalen Repertoire des 29-Jährigen, der als Knirps bei der Freien Turnerschaft München-Gern mit dem Kicken begann. Er ist freundlich, bleibt aber stets distanziert. Beim VfB hatten sie ihm einen Beinamen gegeben: „der Kanzler – redet viel, sagt wenig“. Abseits des Platzes ist Lahm der Prototyp des modernen Fußballers: keine Type mit Ecken und Kanten, sondern eine Ich-AG, an seiner Seite der Spielerberater Roman Grill, den er noch aus der Bayern-Jugend kennt.

Vor allem aber ist Lahm ein erstklassiger Fußballer. Für seinen ehemaligen Trainer Jupp Heynckes ist der 1,70 Meter kleine Vollblutprofi „der beste Außenverteidiger in der Historie der Bundesliga“. Sein jetziger Coach Pep Guardiola hält ihn für „den intelligentesten Spieler, den ich je in meiner Karriere trainiert habe“. Und auch der Bundestrainer Joachim Löw weiß, was er an seinem Kapitän hat: „Philipp ist ein Vorbild an Seriosität, Einsatzbereitschaft und fußballerischer Klasse“, sagt Löw, der dem Defensivmann erstmals 2009 die Spielführerbinde übergab. Lahm übernahm sie pikanterweise von Michael Ballack, der heute ebenfalls einen Blumenstrauß als verspätetes Dankeschön für seine Leistungen im Nationaldress überreicht bekommt.

Ballacks Pech ist Lahms Glück

Vor dreieinhalb Jahren, als sich Ballack im Vorlauf zur WM 2010 verletzt hatte, war wieder so eine Chance da, die Lahm, der sich mit Ballack nicht gut versteht, machtbewusst nutzte: Er denke nicht daran, so sagte er noch während der WM, die Kapitänsbinde freiwillig wieder abzugeben. Schon zuvor hatte Lahm sein strategisches Geschick unter Beweis gestellt. Während die Autorität der anderen, des Bayern-Kollegen Bastian Schweinsteiger etwa, in einer „Chefchen“-Diskussion infrage gestellt wurde, gab Lahm der „Süddeutschen Zeitung“ im November 2009 ein Interview, in dem er fundmentale Kritik an der Vereinsführung des FC Bayern übte. Das brachte Lahm zwar eine Geldstrafe von 50 000 Euro ein – gestärkt hat es seine Position beim Rekordmeister aber durchaus.

Hinzu kommt, dass Lahms Kritik den Kern traf. Auch, weil beim FC Bayern ein Umdenken – etwa bezüglich der Transferpolitik und der Trainerideologie – einsetzte, ist der Club heute Tripelsieger. Der Spielführer der Münchner, auch das ist Philipp Lahm seit 2011, trägt also nicht nur sportlichen Anteil am Erfolg.

Den möchte er nun auch bei der WM 2014 in Brasilien haben. Als deutscher Weltmeisterkapitän den Pokal in die Höhe zu heben, das war bisher nur Fritz Walter, Franz Beckenbauer und Lothar Matthäus vergönnt. Auch wenn einige seinen Namen als weniger glanzvoll ansehen sollten – für Philipp Lahm wäre es nur logisch, sich zu diesem elitären Zirkel zu gesellen.