In der freien Reichsstadt Esslingen erhielt Philipp Matthäus Hahn von einem Büchsenmacher jene Anregungen, die sein Leben bestimmten.

Böblingen : Ulrich Stolte (uls)

Esslingen - Der kleine Bub brach stets früh am Morgen auf. Mehr als sechs Kilometer lang war der Weg vom Scharnhäuser Pfarrhaus zur Esslinger Lateinschule. Hunger und Entbehrungen war der kleine Philipp gewohnt. Es gab wenig Geld im Pfarrhaus, und der Vater war Alkoholiker. Ein Wanderer heute würde eineinhalb Stunden für die Strecke brauchen. Im Winter wanderte der Bub in der Dunkelheit, und nur die Sterne leuchteten ihm.

 

Zu diesen Sternen entdeckte er eine Liebe, die sein Leben lang andauerte. Sie ließ ihn zum Erfinder von Teleskopen und seiner berühmten „Weltmaschinen“, mechanischer Abbildungen des Sonnensystems, werden. Dass die Grundlage dafür in Esslingen gelegt wurde, ist in der Stadtgeschichte so gut wie nicht bekannt, denn ein Esslinger Büchsenmacher erbarmte sich und schenkte dem Jungen ein Buch. Wie der Pietismus-Forscher Reinhard Breymayer unlängst herausgefunden hat, war es eine Schrift des Lindauer Pfarrers Johannes Gaupp über Sonnenuhren. Diese Schrift sollte das Leben Philipps für immer verändern.

Die Büchsenmacher, damals hießen sie Konstabler – bekannt ist die Konstabler Wache in Frankfurt – waren hochbezahlte Männer in einer Reichsstadt, die eigenes Militär hatte. Sie stellten Waffen her und beaufsichtigten die Verteidigungsanlagen. Der Name dieses Büchsenmachers ist nicht überliefert, möglicherweise könnte ihn ein Historiker im Stadtarchiv noch ausfindig machen.

Später studierte Hahn an der Tübinger Universität. Er hungerte sich durch und verdiente ein paar Groschen mit dem Bau von Teleskopen und Sonnenuhren. Die Saat, die der Esslinger Konstabler gelegt hatte, ging auf. Nach dem Studium vertrat er Friedrich Christoph Oetinger als Lehrer in Herrenberg – und lernte in ihm den verrücktesten der sogenannten Schwabenväter, der Begründer des schwäbischen Pietismus, kennen.

Friedrich Oetinger hatte ein System entwickelt, in dem der die Lehren der Kabbala mit dem Christentum, mit der Astronomie und der Physik verknüpfte. Diese ganzheitliche Sicht von Geist, Kosmos und Philosophie dürfte Hahn dazu inspiriert haben, seine „Weltmaschinen“ zu bauen. Diese Uhren zeigten die Zeit an, die Stellung der Gestirne und mehr. Sie hatten einen Kalender, der über Jahrzehnte genau bis zum Jahr 1836 ging, denn für diesen Tag hatte der Theologe Albrecht Bengel den Untergang der Welt berechnet. Eine dieser Weltmaschinen verkaufte Hahn in die USA nach Pennsylvania. Eine führte er sogar dem römisch-deutschen Kaiser Leopold II. vor.

Für den Bau dieser Uhren entwarf er eigene Rechenmaschinen, die als entfernter Vorläufer des Computers gelten. Ein denkwürdiger Zufall ist, dass ausgerechnet in der Esslinger Schrift über Sonnenuhren ständig das lateinische Wort „computare“ gleich „rechnen“ vorkommt, statt des üblichen „nummerare“ zählen.

Sein Leben lang baute Hahn Uhren und veröffentlichte theologische Schriften. Herzog Carl Eugen von Württemberg förderte ihn und verschaffte ihm die reiche Pfarrei Echterdingen. 1779 wurde er Mitglied der Akademie gemeinnütziger Wissenschaften in Erfurt. Aber auch Hahn musste lernen, seine Tage zu zählen. Im Alter von 50 Jahren starb er in Echterdingen.