Von Ludwigsburg nach Nashville: Philipp Poisel singt von Sehnsüchten, Einsamkeit und Heimat. Er macht das so, dass das viele Leute hören wollen. Jetzt erscheint sein Album „Mein Amerika“.

Freizeit & Unterhaltung: Anja Wasserbäch (nja)

Stuttgart - Authentisch ist ein schlimmes Wort. Es ist ein Begriff, der oft verwendet wird, wenn von dem Sänger Philipp Poisel die Rede ist. Weil er scheinbar so ist, wie er ist, und seine Schwermut in Lieder verpackt. Da sitzt er schluffig, schmalschultrig im hellblauen T-Shirt, mit blonder Wuschelfrisur. Der in Ludwigsburg lebende 33-jährige Philipp Poisel ist einer der erfolgreichsten Popstars aus der Region. Das Video zur ersten Single „Erkläre mir die Liebe“ aus dem kommenden Album wurde auf Youtube bereits mehr als sieben Millionen Mal geklickt. Seine Tour im Frühjahr führt ihn in die ganz großen Hallen der Republik.

 

Und er wirkt beim Gespräch in der John-Cranko-Lounge im Hotel im Schlossgarten so, als wäre er ganz am Anfang. Als hätte er noch nicht zig Interviews in den vergangenen sieben Jahren gegeben. Ein bisschen schüchtern. Vielleicht ist es ja das, was mit authentisch gemeint ist. Er macht ausgiebige Pausen im Satz, denkt lange nach, bevor er antwortet, und vergisst auch manchmal, mit welchem Gedanken er den Satz begonnen hat. „Was war nochmal die Frage?“ Oder: „Manchmal weiß ich das auch nicht genau.“ Ist sie das, die so genannte Authentizität?

Sein erstes Konzert in der Schleyerhalle war eins von Herbert Grönemeyer

Wenn die Geschichte von Poisel erzählt wird, geht es natürlich auch immer um Herbert Grönemeyer. Wie der bekannte Künstler 2007 die traurigen Lieder von Poisel, die nuschelige, leicht kehlige Stimme hörte, begeistert war und ihm einen Plattenvertrag gab. Da passt es natürlich ganz gut, dass Philipp mit 18 Jahren zum ersten Mal bei einem Herbert-Grönemeyer-Konzert in der Stuttgarter Schleyerhalle war. Doch aufgrund der Akustik in der Halle war der Klang schlecht. „Damals habe ich mir gesagt: Die klingt so schlimm, ich möchte hier niemals auftreten“, sagt Poisel. Am 1. April steht er selbst dort auf der Bühne. „Jetzt oder nie. Ich werde das Beste daraus machen. Vielleicht werde ich aber mit Tomaten beworfen“, sagt Poisel.

Er ist einer, der sich sorgt. Der sich grämt, der im Positiven auch stets das Negative sieht: „Das war ein aufregender Moment, als Herbert Grönemeyer mich unter Vertrag nahm. Aber es ist auch eine Verpflichtung. Man muss immer wieder neues Material haben.“ Das Glas ist bei ihm immer halb voll – und eben halb leer.

Sein drittes Studioalbum „Mein Amerika“ erscheint jetzt sieben Jahre nach „Bis nach Toulouse“, der großen Durchbruchplatte. Es folgte das „Projekt Seerosenteich“, ein Livealbum mit Streichern und Klavier. Poisel war viel auf Tour, danach brauchte er Zeit für sich, um zu schauen, wohin es musikalisch geht. Und: „Ich habe versucht, einen Alltag hinzubekommen, der mir sinnvoll erscheint“, sagt Poisel. Daheim in Ludwigsburg fehlte ihm eine Aufgabe. „Ich lebte zurückgezogen und habe versucht, die Umwelt auszublenden, um zu spüren, wohin es geht“, erklärt Poisel. Er half ein paar Wochen in einer städtischen Einrichtung mit Kindern mit Beeinträchtigungen, er kochte Mittagessen, ging auf den Spielplatz. Und er dachte zurück in die Kindheit für seine neuen Lieder. An die Landidylle mit Waldrand und Lehmgrube, aber auch an die unstillbare Sehnsucht nach Amerika, wo „Die drei Fragezeichen“, Micky Maus, Videospiele und Coca Cola herkamen. Musikalisch ging es mit Poisel in dieser Zeit weg vom Singer-Songwriter-Habitus hin zum melancholischen Pop. Geografisch von Ludwigsburg nach Nashville.

Sein neues Album wurde im Blackbird Studio in Nashville aufgenommen

Mit seiner Band und Produzenten im Gepäck reiste er ins Blackbird Studio, in dem schon Taylor Swift, die Red Hot Chili Peppers, Bruce Springsteen und zahlreiche Country-Künstler aufgenommen haben. Für Poisel ging ein Traum in Erfüllung: „Ich habe das Album mit der Sehnsucht nach Amerika gefüllt. Die Reise dorthin war eine Illustration des Ganzen.“

Das meiste Material für die Lieder auf „Mein Amerika“ stand schon vor der Reise. Es gab Zeilen, die dort noch dazukamen, mit der Fantasie im Kopf und der Realität vor Augen. „Auch wenn ein Song fertig geschrieben ist, heißt das nicht, dass es festgelegt ist, wie er klingt“, so Poisel. Aufgenommen wurde auf Band. „Das hat etwas Unmittelbares. Das, was man da aufnimmt, das ist es halt“, erklärt Poisel. Und: „Ich habe versucht, aus meiner Stimme noch mehr rauszukitzeln. Von diesem Nuscheln, das mir manchmal unterstellt wird, wegzukommen.“

Heute, im Februar 2017, ist das Amerika ein ganz anderes. „Das ist ein Moment, der irgendwie komisch ist. Ich hoffe, dass dieses Album interpretierbar bleibt und eine gewisse Zeit übersteht. Amerika ist gerade negativ besetzt. Aber Amerika kann auch eine Inspirationsquelle sein, ein Land, in das es sich zu reisen lohnt, ein Land mit einer wunderbaren Natur. Ein Land mit tollen Künstlern.“ Dass er in Nashville aufgenommen hat, hört man auch in manchen Liedern wie etwa in der fröhlichen Countrymelodie von „Ein Pferd im Oze-an“.

Die Themen, die ihn umgetrieben haben, waren Einsamkeit, Sehnsucht, Liebe, aber auch Angst und Sorgen. „Die zu durchbrechen, ist immer wieder Thema in meiner Musik. Auch wenn es dieses Mal ein größerer Prozess war.“ Er wollte sich auf seine Gefühle konzentrieren. Das gehe gut beim Spazierengehen oder beim Malen. „Ich möchte ein bisschen dafür zuständig sein, dass die Leute aus dem Alltag fliehen können. Dass sie sich wegträumen können, wenn sie die Anlage anmachen“, sagt Poisel. Musik sei für ihn eine Möglichkeit, Sachen auszudrücken, die er im Zwischenmenschlichen eben nicht hinbekomme. Seinen Fans gefällt womöglich genau das, das skrupulös verträumt Romantische. Viele Mädchen, die vielleicht früher „Jetzt“ gelesen hätten, heute am Baggersee und auf Instagram ihren Sommer verbringen, hören seine Musik.

Dabei ging das mit Poisel und der Musik nicht immer gut. Auch wenn die Leidenschaft schon als kleiner Bub da war. Er sang im Chor, bekam Kritik für seine Stimme und ließ das mit dem gemeinschaftlichen Singen wieder sein. „Das war eine leidvolle Erfahrung, dass ich damit jemanden störe“, erklärt er. Mit etwas Mut folgte dennoch der klassische Werdegang: Musikschule. Coverband. Erste eigene Songs. Er wollte Lehrer werden, scheiterte jedoch in der Aufnahmeprüfung im Fach Musik. Er lernte seinen Produzenten Frank Pilsl im Café Auszeit im Stuttgarter Westen kennen, nahm ein paar Demo-Songs mit ihm auf. Dann kam Grönemeyer. Und vor allem kamen auch viele andere Buben, die eine Gitarre in der Hand hatten und auf Deutsch von Gefühlen sangen. Sie hießen Tim Bendzko, Andreas Bourani, Max Prosa und eben Philipp Poisel. Poisel war einer der Ersten und ist einer der erfolgreichsten geblieben.

„Ich freue mich, wenn ich Begründer genannt werde. Aber natürlich habe ich mir Sachen von Bands wie Silbermond oder Juli abgeschaut“, so Poisel. „Es ist schön, wenn man einen Platz hat. Manchmal hat man aber auch Sorge unterzugehen. Oder dass man auf einmal nicht mehr in ist.“ Da ist sie wieder, diese Unsicherheit.