Zum Schuljahresende rufen Lehrerverbände Eltern dazu auf, bei schlechten Zeugnissen ruhig zu bleiben. Bernd Saur, Vorsitzender des Philologenverband Baden-Württemberg, spricht im Interview darüber, warum auch schlechte Noten wichtig sind.

Stuttgart - Wenn der letzte Schultag vor den Sommerferien für Eltern zu einem bösen Erwachen führt, dann läuft irgendetwas schief. Davon geht Bernd Saur, Vorsitzender des Philologenverband Baden-Württemberg aus. Warum sich Eltern selbst ein schlechte Zeugnis ausstellen, wenn sie sich von den Noten ihres Kindes überraschen lassen und wie Familien mit Schulzensuren umgehen könnten, verrät Bernd Saur im Interview mit der Stuttgarter Zeitung:

 
Wie gehen Eltern mit dem Schock bei schlechten Noten am besten um?
Eltern sind gut beraten, wenn der Tag der Zeugnisse keine totale Überraschung wird. Wer sein Kind das ganze Schuljahr über begleitet, wer die Noten der Klassenarbeiten kennt, die Elternabende besucht und die Lehrersprechstunden nutzt, der wird auch am Schuljahresende nicht erstaunt sein, wenn er von dem Leistungsstand seines Kindes erfährt. Das wäre kein gutes Zeugnis für die Eltern.
Woher kommt es, dass Eltern trotzdem immer wieder überrascht sind über die Fünf in Mathe von ihrem Kind?
Wir leben in einer pluralen Gesellschaft. Auf der einen Seite haben wir die „ Helikopter-Eltern“, die sich zu sehr um ihre Kinder sorgen, und auf der anderen Seite gibt es auch Eltern, die ihre Kinder vernachlässigen. Der goldene Mittelweg wäre gut. Eltern sollten wissen, wie das Kind sich entwickelt und wie es vorankommt. Dabei braucht das eine Kind mehr Fürsorge und Zuwendung, als das andere. Das können Eltern selbst am besten einschätzen.
Wie sollten Erziehungsberechtigte auf schlechte Noten reagieren?
Eltern und Kinder sollten sich gemeinsam hinsetzen und in Ruhe über die Ursachen des negativen Feedbacks nachdenken. Im Grunde gibt es nur zwei Möglichkeiten: Entweder das Kind war zu faul, dann gilt das Motto von Mehmet Scholl: „Jetzt ist Ende mit Rumschlawinern!“ Oder aber das Kind kommt mit einem bestimmten Fach nicht klar. In diesem Fall lohnt es sich über zusätzliche Förderstunden nachzudenken und mit dem Lehrer nach Schuljahresbeginn einen Plan zu machen, wie dem Kind geholfen werden kann. Hier ist auch die Politik gefordert: Die Schulen sollten mehr Geld für spezielle Fördermaßnahmen erhalten, um mehr Zeit für das einzelne Kind einplanen können.
Und wie sollten gute Noten belohnt werden?
Lob ist wichtig für das Kind. Eine Skalierung - wie für die Note Eins gibt es zehn Euro – ist nicht unbedingt nötig. Es ist schön, wenn sich Eltern mit ihren Kindern gemeinsam freuen. Für eine gute Leistung kann es auch eine kleine Belohnung geben. Das muss ja nicht unbedingt Geld sein.
Sind Noten noch zeitgemäß?
Noten sind richtig und wichtig, sie geben ein wichtiges Feedback über den Leistungsstand der Kinder. Wo muss noch etwas vertieft werden und was fällt dem Kind leicht. Wir leben in einer Leistungsgesellschaft, da können wir unsere Kinder nicht in Watte packen.
In der Gemeinschaftsschule geben Lehrer keine Noten, sondern eine schriftliche Beurteilung über den individuellen Entwicklungsstand der Schülerinnen und Schüler. Eltern können aber eine „Übersetzung“ der Leistungen ihrer Kinder in Noten verlangen. Wäre diese Bewerbungsmethode nicht passender als Zahlen?
Die Gemeinschaftsschule fährt eine Kuschelpädagogik mit angezogener Handbremse. In unserer Gesellschaft gibt es überall Wettbewerb: In der Musikschule, im Sport, bei der Bewerbung um ein Studium oder einem Arbeitsplatz – Konkurrenz ist Teil einer Leistungsgesellschaft. Den Kindern die traumtänzerische Vorstellung „alle sind gleich“ vorzumachen, ist falsch. Bei der Fußballweltmeisterschaft im vergangenen Jahr waren da 82 Millionen Deutsche einer anderen Meinung.
Was würden Sie Eltern für das neue Schuljahr empfehlen?
Geht zum Elternabend, sie werden von Lehrern mit viel Mühe vorbereitet. Begleitet das Kind das ganze Schuljahr über und verfolgt seinen Lernfortschritt. Bei guten Noten – das Kind loben und bestärken. Fallen die Klassenarbeiten schlechter aus, dann darüber mit dem Kind und dem Lehrer reden mit Gelassenheit, aber auch mit der Bestimmtheit, die sich für einen Erziehungsberechtigten gehört.