Müsste ich einen Satz des Jahres wählen, wäre das der Merkel-Satz: „Wir schaffen das.“ Schaffen wir das wirklich?
Wenn wir alle Hebel in Bewegung setzen, ja! Dann schaffen wir es, Millionen von Menschen aus fremden Kulturkreisen so zu integrieren, dass sie bei uns ein erfülltes Leben führen können. Wir müssen aber wirklich alles tun, was wir dafür tun können, auch wenn es Fantastilliarden kostet.
Man könnte darin ein Gebot der Nächstenliebe sehen, aber ausgerechnet aus der CSU, die das Christliche ja auch im Namen trägt, bekommt Angela Merkel den heftigsten Gegenwind. Wundert Sie das?
Überhaupt nicht. Die CSU hat die sehr berechtigte Angst, dass ihnen die AfD am rechten Rand die Wähler abgräbt. Deshalb opfert sie humanitäre Prinzipien leichtfertig der Taktik. Aber, mit Verlaub, den bayrischen Ministerpräsidenten und seine Helfershelfer habe ich noch nie für sehr christlich gehalten. Im Übrigen kann ich den Flüchtlingsströmen, die uns erreichen werden, auch etwas sehr Positives abgewinnen.
Da bin ich jetzt aber gespannt.
Ich habe mich viel mit der Digitalisierung der Gesellschaft beschäftigt. In zwanzig Jahren werden wir in einer Welt leben, in der morgens die Tapete mit uns spricht, wo rund um die Uhr kleine Maschinen sämtliche Funktionen unseres Körpers überwachen, vom Blutdruck bis zum Hormonpegel, und uns dann sagen, was wir zum Frühstück, zu Mittag und zu Abend essen sollen – und was wir gefälligst zu kaufen haben. Wir werden in einer Daten-Cloud leben, bis hinein in intimste Bereiche. Und wir werden uns schon bald in einer komplett virtuellen Komfortzone wiederfinden, einer Wohlfühlmatrix mit einer Datengouvernante an unserer Seite, die sich um alles kümmert und uns zu kleinen Kindern degradiert. Tatsächlich scheinen wir heute bereit zu sein, diesen Weg zu gehen, auch wenn er das Ende unserer schwer erkämpften Freiheit als autonome Individuen bedeuten würde . . .
. . . und vor diesem Albtraum retten uns ausgerechnet die Flüchtlinge?
Die Menschen, die zu uns kommen, haben echte Nöte und echte Sorgen. Sie fühlen sich nicht von Giftstoffen in Lebensmitteln bedroht, sondern leiden Hunger. Sie klagen nicht über mangelnde Fitness, sondern werden von Verfolgung, Terror, Krieg gepeinigt – und das nicht in einem Computerspiel, sondern in echt. Diese Konfrontation mit der Wirklichkeit kann uns vielleicht ein wenig davor bewahren, in ein seltsam virtuelles Leben abzudriften. „Willkommen im Leben!“, rufen uns die Menschen aus Syrien, dem Irak und Afghanistan zu.
Und dann würden wir nicht weiter vorwärts irren in die digitale Entmündigung?
Auf jeden Fall sind Flüchtlinge das absolute Gegenteil der schönen neuen Welt, die so unschön und unerfreulich für uns werden könnte. Vielleicht sind sie genau das, was wir jetzt brauchen. Dafür hätten die zu uns kommenden Menschen dann auch unseren Dank verdient.