Die Unesco hat 2015 zum „Jahr des Lichts“ ernannt. Sie will damit vor allem auf die Chancen aufmerksam machen, die in den lichtbasierten Technologien stecken. Sie könnten helfen, Probleme wie Armut in den Entwicklungsländern zu mindern – durch den Ausbau der Kommunikationsnetze und einer besseren Medizinversorgung.

Stuttgart - Wenn die Lichtdetektive in Stuttgart ausschwärmen, erforschen sie die Grundlagen der Optik. Die Grundschüler aus den Klassenstufen 3 und 4 beschäftigen sich mit dem Aufbau des Auges und etwa der Frage, wann Licht unsichtbar bleibt. Über Lichtleiter können die Jungforscher und -forscherinnen geheime Botschaften verschicken und am Beugungsgitter das weiße Licht in seine farblichen Bestandteile zerlegen. „Die Kinder lieben die Farben“, sagt Karin Otter, die am Physikalischen Institut der Universität Stuttgart das Schülerlabor leitet.

 

Die Unesco will die Chancen ins Bewusstsein rufen

Nicht nur die Kleinen sind von Licht und Farben fasziniert, sondern auch die Großen. Gleichzeitig ist wenig darüber bekannt, welche neuen Möglichkeiten Forscher entdeckt haben, die Kraft des Lichtes technisch zu nutzen. Die Unesco hat 2015 deshalb zum internationalen Jahr des Lichts ausgerufen. „Wir wollen deutlich machen, wie das Licht unsere Zukunft formt, in Kultur, Wissenschaft und Bildung“, sagt Jean-Paul Ngome Abiaga von der Unesco. Bei einer Tagung zum Jahr des Lichts erläuterte er kürzlich in Stuttgart, welches Potenzial er hier sieht.

Seiner Ansicht nach könnten das Licht und seine technische Nutzung in der Optik dabei helfen, die Probleme der Welt zu lösen – und zum Beispiel auch die Armut zu reduzieren. Glasfasernetzwerke könnten Abiaga zufolge die Grundlage für eine Kommunikationsinfrastruktur auch in den Entwicklungsländern bieten. Bildgebende Verfahren und der Laser seien etwa in der medizinischen Diagnostik und Therapie unverzichtbar, erläutert er.

Damit hat der Unesco-Vertreter auch abgesteckt, wie viel jenseits der langen Geschichte der Erforschung des Lichts und der Erfolge noch zu entdecken bleibt. Der deutsche Nobelpreisträger Stefan Hell aus Göttingen hatte vergangenes Jahr den Chemienobelpreis für eine Technik erhalten, die sogenannte Beugungsgrenze des Lichts durch raffinierte Tricks auszuhebeln.

Ein neuer Forschungszweig hat sich aufgetan

Und auch eine der jüngsten Institutsneugründungen der Max-Planck-Gesellschaft steht seit 2009 „für die Physik des Lichts“. Gründungsdirektor Philip Russell vom Max-Planck-Institut für die Physik des Lichts, Erlangen, gab auf der Stuttgarter Tagung einen Einblick in seine Arbeit. In den neunziger Jahren hat der britische Forscher mit der Entdeckung sogenannter photonischer Kristallfasern einen neuen Forschungszweig eröffnet, Licht zu transportieren und zu manipulieren. Diese Kristallfasern sind den Glasfasern vergleichbar und nur so dünn wie ein menschliches Haar. Durch den speziellen Produktionsprozess sind die Fasern aber von Dutzenden Luftschläuchen durchzogen. Im Querschnitt sieht die Faser aus wie ein Sieb.

In einem aktuellen Projekt will Russell mit einem Laserstrahl Partikel wie zum Beispiel winzige Glaskügelchen in die Hohlräume solcher Fasern schießen. Die Glaskügelchen würden auf der Lichtwelle durch die Faser surfen. Je nach Vorbehandlung könnte der Partikel überall dort Messwerte aufnehmen, wo die Glasfaser verlegt ist. „Der Partikel arbeitet als Sensor, etwa für Radioaktivität“, sagt Russell. Mit einem gebündelten Laserstrahl möchte Russell die Atome, Moleküle oder winzigen Glaskügelchen sogar einfangen – wie mit einer optischen Pinzette.

Der Sensorik hat sich auch Harald Giessen verschrieben. Sein Team am 4. Physikalischen Institut der Universität Stuttgart will aus einer Kontaktlinse mehr herausholen als die Korrektur der Sehschärfe. Studien hatten ergeben, dass sich der Blutzuckerwert in der Tränenflüssigkeit widerspiegelt. Die Forscher überlegten also, wie sie den Zuckergehalt dort messen können.

Die chinesische Mitarbeiterin Laura Na Liu – die jetzt am Max-Planck-Institut für Intelligente Systeme in Stuttgart-Büsnau eine eigene Nachwuchsgruppe aufbaut – hatte zunächst gezeigt, dass das Sensorkonzept tatsächlich aufgeht: Sie überzog eine Materialprobe mit optisch aktiven Nanostrukturen. Biologische Moleküle treten mit diesen Strukturen in Kontakt, was etwa mit einem Laser detektiert werden kann.

Untersuchungen von Giessens Doktorand Martin Mesch haben gezeigt, dass der Kontaktlinsensensor ausreichend empfindlich ist für das Zuckermolekül. Er wird von den vielen anderen Molekülen auch nicht gestört. „Mit der Kamera des Handys könnte man dann die Kontaktlinse auslesen“, erklärt der Physiker Harald Giessen. Ein Diabetiker müsste sich dann nicht mehr Blut abnehmen. Das Konzept bedarf noch weiterer Erforschung. Bis zur Entwicklung eines marktreifen Produkts wird es noch etliche Jahre brauchen.

Eine Initiative für neue Anwendungen

Der Transformation von optischer Grundlagenforschung in konkrete Anwendungen hat sich die Stuttgarter Uni-Initiative Scope verschrieben. Sechs Inhaber von Lehrstühlen aus der Grundlagenforschung, darunter auch Harald Giessen, arbeiten mit sechs Professoren aus den ingenieurwissenschaftlichen Fächern eng zusammen.

Hauptinitiator ist Wolfgang Osten vom Institut für technische Optik, der auch Gastgeber der Stuttgarter Tagung zum Jahr des Lichts war. Er hat mit Scope einen Kooperationspartner für die mittelständische Industrie sowie große Unternehmen geschaffen. Dort zählt die Optik und ihre Anwendungen zum Messen oder zur Materialbearbeitung zur Schlüsseltechnik. Große Unternehmen wie Trumpf oder Zeiss überraschen immer wieder mit neuen Innovationen. Der Weltoptikmarkt war 2013 rund 350 Milliarden Euro schwer, berichtet Andreas Tünnermann vom Fraunhofer-Institut für Angewandte Optik und Feinmechanik in Jena. Wobei 25 Prozent davon auf Displayprodukte für Handy und TV fallen. Im Jahr 2020 sollen es global 615 Milliarden Euro sein.

Die Branche befindet sich also im Aufwind. Sie steht deshalb laut Edward Krubasik, dem Präsident der Deutschen Physikalischen Gesellschaft, auch vor dem Problem, dass sie im Augenblick nicht genug Nachwuchsforscher für die Hochschule und die Industrie findet. Erst kürzlich hat Scope deshalb den Masterstudiengang Photonic Engineering aufgelegt. Vielleicht zählen ja auch einige der Stuttgarter Lichtdetektive bald zu dessen Studenten.