Forscher haben das Gas unter extrem hohen Druck gesetzt und wollen es so zu einem Metall gemacht haben. Doch Kollegen fehlen Beweise dafür, dass dies wirklich gelungen ist. In der Natur könnte diese Substanz im Innern großer Planeten vorkommen.

Stuttgart - Wir haben metallischen Wasserstoff unter hohem Druck und bei niedrigen Temperaturen im Labor hergestellt“, berichten Ranga Dias und Isaac Silvera von der Harvard Universität im US-amerikanischen Cambridge in der Online-Ausgabe der renommierten Fachzeitschrift „Science“. Und verkünden damit, einen heiligen Gral derjenigen Physiker gefunden zu haben, die Materie unter hohem Druck untersuchen. Vermuten Theoretiker doch, dass metallischer Wasserstoff auch bei höheren Temperaturen supraleitfähig ist und elektrischen Strom ohne Verluste leiten könnte. Die Substanz könnte sich auch als Supertreibstoff für Raketentriebwerke entpuppen.

 

Vor allem aber bringt der metallische Wasserstoff einen Durchbruch in der Grundlagenforschung, ist sich Mikhail Eremets vom Max-Planck-Institut für Chemie (MPIC) in Mainz sicher. Einen Grund zum Feiern aber sieht der russische Wissenschaftler keineswegs, der vor der Auflösung der Sowjetunion Direktor der Abteilung für Hochdruck-Physik der Akademie der Wissenschaften war. Danach forschte er in den führenden Hochdruck-Labors in den USA, Japan, Großbritannien und Frankreich, bevor er 2001 nach Mainz kam: „Einen Beweis für metallischen Wasserstoff liefert der Artikel nicht“, ist Mikhail Eremets überzeugt.

Theoretiker grübeln schon lange

Mit seinem energischen Einwand möchte der Forscher das Thema „metallischer Wasserstoff“ keineswegs für erledigt erklären, ganz im Gegenteil. Schließlich arbeitet er selbst an genau diesem Thema. Obendrein sind wohl nahezu alle Physiker davon überzeugt, dass es einen solchen Zustand beim allereinfachsten aller chemischen Elemente gibt. Nur beweisen konnten sie diesen metallischen Wasserstoff in der Praxis bisher eben noch nicht.

Dabei grübeln Theoretiker bereits seit beinahe einem Jahrhundert darüber, ob Wasserstoff nicht ähnlich wie die Metalle Silber, Kupfer, Quecksilber und andere elektrischen Strom leiten kann. Solche Metalle bestehen wie alle Elemente aus Atomen, die einen elektrisch positiv geladenen Kern haben, um den negativ geladene Elektronen sausen. Dabei bewegen sich diese Elektronen nicht auf festen Bahnen, sondern innerhalb verschiedener Schalen, die ähnlich wie eine russische Matroschka-Puppe ineinander geschachtelt sind.

Extrem hoher Druck erforderlich

Während der positiv geladene Atomkern die inneren Elektronenschalen sehr stark und nahezu unlösbar festhält, wirken auf die äußerste Schale vergleichsweise geringe Kräfte. Bei Metallen sind sie so gering, dass sich die Elektronen dieser äußersten Schalen in einem sogenannten Leitungsband auch unabhängig von ihrem ursprünglichen Atom frei bewegen können. Leitet man diese Elektronen über eine metallische Leitung ab und wieder zum Metall zurück, können sie zwischendurch eine Glühlampe zum Leuchten bringen oder einen Elektromotor antreiben.

Während bei allen anderen Elementen mehrere und beim Metall Uran sogar 92 Elektronen um den Atomkern sausen, ist es beim Wasserstoff nur ein einziges. Um einen solchen metallischen Wasserstoff herzustellen, muss man diese normalerweise als Gas vorkommende Substanz mit extrem hohem Druck zusammen pressen, haben Theoretiker längst postuliert. Im Inneren der beiden Planeten Jupiter und Saturn soll der unvorstellbare Druck von einigen Hundert Gigapascal ausreichen, um den dort reichlich vorhandenen Wasserstoff in ein Metall umzuwandeln. Die 360 Gigapascal im Zentrum der Erde genügen dafür jedoch noch nicht. Dabei entsprechen 100 Gigapascal dem millionenfachen Luftdruck auf Meereshöhe – und sprengen damit die normale Vorstellungskraft.

Miniambosse aus Diamant

Da Experimente und praktische Beweise im Inneren des Jupiters in absehbarer Zukunft kaum möglich sein dürften, versuchen Physiker ähnliche Bedingungen in ihren Labors zu verwirklichen. MPIC-Forscher Mikhail Eremets und seine Kollegen füllen dazu Wasserstoff in eine winzige Mulde in eine Dichtung, die sie mit zwei Miniambossen aus Diamant zusammenpressen. Im Jahr 2011 beobachteten sie dann, dass sich bei rund 23 Gigapascal Druck daraus ein Feststoff bildet. Dieser wandelte sich bei 220 Gigapascal in einen Halbleiter um, der elektrischen Strom ein wenig leitet. Genau diese Leitfähigkeit konnten die Forscher damals auch messen.

Steigerten Mikhail Eremets und sein Kollege den Druck langsam weiter, leitete die Substanz auch den elektrischen Strom ein klein wenig besser. Bei 270 Gigapascal aber sprang die Leitfähigkeit schlagartig auf das Tausendfache und damit auf einen Wert, der auf ein Metall hindeutet. Für einen echten Beweis für einen solchen metallischen Wasserstoff aber reichte diese Beobachtung noch nicht.

Oberfläche wird zu Minispiegel

Ein ähnliches Experiment haben jetzt Ranga Dias und Isaac Silvera durchgeführt. Während die Mainzer Forscher 2011 allerdings bei Raumtemperatur arbeiteten, kühlten die Physiker an der Harvard Universität ihr Experiment mit flüssigem Helium auf knapp minus 268 Grad Celsius. Bei einem Druck von 495 Gigapascal beobachten sie, wie sich die vorher eher schwarze Oberfläche in einen Minispiegel verwandelte, der das Licht eines Lasers reflektierte. Genauso spiegeln auch Metalle wie Silber oder Stahl das Licht wider. Diese Reflexion entspricht einem Metall, berechnen die Forscher – und propagieren so die Entdeckung von metallischem Wasserstoff.

Mikhail Eremets aber genügt das als Beweis keineswegs: „Auch andere Substanzen wie zum Beispiel Halbleiter spiegeln Licht gut wider.“ Um ein Metall zu belegen, sollten die US-Forscher zumindest noch messen, wie gut diese Substanz elektrischen Strom leitet. Genau dazu aber teilen sie in „Science“ nichts mit. Damit erscheinen ihre Hinweise dünner als die 2011 von Mikhail Eremets veröffentlichten Ergebnisse. Nach ihrem heiligen Gral sollten Hochdruck-Physiker also noch weiter suchen.

Wie sich Substanzen physikalisch verhalten

Aggregatszustand
Die verschiedenen Formen von Elementen und Verbindungen werden Aggregatszustand genannt. So erstarrt Wasser bei Temperaturen unter null Grad Celsius und Luftdruck auf Meereshöhe zu Eis. Über hundert Grad wird es zu Dampf. Dazwischen ist es flüssig.

Leitfähigkeit
Eine Substanz wird leitfähig genannt, wenn sie elektrischen Strom ähnlich gut wie Metalle leitet.

Supraleitfähig
Metalle normalerweise erst bei extrem tiefen Temperaturen supraleitend. Der elektrische Widerstand und damit auch Energieverluste beim Leiten von Strom fallen dann weitestgehend weg. Einige Verbindungen werden bereits bei höheren Temperaturen supraleitend, wobei der Rekordhalter allerdings immer noch auf minus 140 Grad Celsius gekühlt werden muss. Metallischer Wasserstoff wiederum könnte bereits bei Raumtemperatur supraleitend sein, vermuten Theoretiker.

Anwendung
Einen Raketentreibstoff der Extraklasse erhoffen sich einige Forscher vom metallischen Wasserstoff. Seine Herstellung erfordert extrem viel Energie – und die könnte schnell wieder frei gesetzt und als Antrieb genutzt werden, sobald sich die Substanz in normalen Wasserstoff zurückverwandelt.