Steffen Wick und Simon Detel nennen sich Piano Particles. Das neue Album „Blue“ der beiden Stuttgarter Musiker und Konzeptkünstler greift die Tradition der Minimal Music auf – und ist nach Detels elektrischer Zahnbürste gestimmt.

Digital Desk: Jan Georg Plavec (jgp)

Stuttgart - Ein Mittel zur Entstaubung des Klassikbetriebs nennt sich Crossover. In Stuttgart versucht sich ein Duo mit hohem Aufwand genau daran: Piano Particles nennt sich das Konzept von Steffen Wick und Simon Detel. Die beiden arbeiten regelmäßig und interdisziplinär zusammen, live wie auch auf Platte. Piano Particles heißt ihr Projekt.

 

Im Theaterhaus gab es die Produktion bereits live zu sehen, 2015 sind in Stuttgart mehrere Shows geplant. Darauf darf man gespannt sein, denn der Bühnenaufbau ist spektakulär, wie der Trailer zeigt:

Vor wenigen Tagen haben Wick und Detel ein Album präsentiert: „Piano Particles – Blue“ nennt es sich, es ist die zweite Platte der beiden, der Erstling heißt „White“. Das neue Album ist mit Steffen Wick am Klavier, Simon Detel (Elektronika) und diversen Gastmusikern an den Streichern und beim Gesang eingespielt worden.

Soundtrack zur Großstadt oder ...

Und was kriegt man da zu hören? Blau ist ja zunächst mal eine kalte Farbe. Die Stücke auf „Blue“, die inhaltlich ohnehin unbestimmt bleiben, eröffnen dem Zuhörer einen Klangkosmos, der durchaus „kühl“ konnotiert sein kann. Die Streicher sind sehr klar eingespielt, dazu kommen die stellenweise an Acid erinnernden elektronischen Bässe von Simon Detel. Alle Klänge sind sehr präsent, man wird von diesem Klang nicht eingelullt wie von mancher Lo-Fi-Platte. Die Elektronik, aber auch Steffen Wicks Klavierspiel treiben die Stücke immer voran.

Das könnte der Soundtrack zu einer Großstadt sein, so wie bei Thomas Fehlmanns „Gute Luft“-Soundtrack für den Film 24h Berlin. Aber es könnte auch die Musik zu Naturbildern sein oder zu jedem anderen Bild, das der jeweilige Hörer im Kopf hat – das ist ja gerade der Sinn dieser Musik, die Wick und Detel in der Tradition der Minimal Music verorten.

... zur Zahnbürste

Eine explizite Hommage an die Minimal Music findet sich auch auf „Blue“, wie Simon Detel erzählt: „Ich hatte zufällig herausgefunden, dass meine elektrische Zahnbürste auf den Ton C ‚gestimmt’ ist, und dann haben wir für sie ein Stück komponiert mit allen möglichen Akkordverbindungen, die dieses C enthalten.“ Das Stück heißt „In C“, genau wie jenes von Terry Riley, das sich im Wesentlichen an diesem Ton abarbeitet.

Nun klingt die Musik auf „Blue“ ganz anders als in der Original-Riley-Aufnahme. Die konzeptionelle Verwandtschaft wird trotzdem deutlich, und auch das Original-„In C“ hat schon diesen Grund-Beat, der alles antreibt. Zumal die Minimal Music eigentlich einen weltweiten Siegeszug hinter sich hat: das, was heute unter dem Namen Electro oder Techno in vielen Clubs läuft, ist im Grunde Minimal Music.

Musik, die gehört werden will – und zwar aufmerksam

Nun sollte man sich unter dem Piano-Particles-Album keine Dance-Platte vorstellen. Dazu ist es zu nahe an der Klassik, legt viel mehr Wert auf den perlenden Klavierklang, auf Streicherarrangements und Synthesizer-Soundflächen. Vom Konzept her erinnert das auch an Ambient, wie es etwa Brian Eno gemacht hat; ganz allgemein könnte man auch von „Soundtrack-Musik“ sprechen.

Einer Soundtrack-Musik allerdings, die gehört werden will, und die nicht als reines Begleitmaterial zu anderen Reizen wie etwa einem Film dient, sondern erkundet werden soll. Deshalb legen Wick und Detel auch nicht Klangschicht auf Klangschicht, sondern strukturieren ihre Songs dynamisch und rhythmisch.

Das Ergebnis ist eine Platte, die bei oberflächlichem Hören stellenweise an der Grenze zu kitschigem Material aus der Entspannungsmusik-Ecke bei Media Markt wandelt. Die aber in den weit überwiegenden Momenten Aspekte der klassischen Komposition auf moderne, elektronische Arrangements und Songwriting-Techniken anwendet. Dabei wird, etwa in „Sawtooth Brush“, eine erstaunliche klangliche Weite erreicht; die vielen eingesetzten Instrumente erzeugen eine ganz eigene Spannung. Was beim Hören Spaß macht, könnte live begeistern. Man darf gespannt sein, „Blue“ als Liveshow zu erleben.

„Piano Particles – Blue“ ist bei Modul / Universal erschienen.