Die Vereinigung Cockpit geht aufs Ganze: Die Piloten bei der Lufthansa wollen jetzt bis Samstag streiken. Die massiven Auswirkungen haben die Debatte um Zwangsschlichtungen belebt – entsprechende Vorstöße aus der Union werden von Tarifexperten aber zurückgewiesen.

Politik: Matthias Schiermeyer (ms)

Stuttgart - Die zunächst bis Samstag verlängerte Streikwelle der Lufthansa-Piloten hat die Debatte um eine Zwangsschlichtung von Tarifkonflikten befeuert. Wie schon früher für die Lokführerstreiks bei der Deutschen Bahn forderte Unions-Fraktionsvize Michael Fuchs (CDU) ein entsprechendes Gesetz. „Es kann nicht sein, dass ein paar Piloten immer wieder Hunderttausende in Geiselhaft nehmen“, sagte er in „Bild“. Eine ähnliche Haltung ist aus der CSU bekannt.

 

Doch realistisch ist sie nicht. „Ich kann mir nicht vorstellen, dass für derartige gesetzgeberische Aktivitäten die politischen Mehrheiten reichen“, sagte Reinhard Bispinck, der Leiter des WSI-Tarifarchivs der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung, dieser Zeitung. Auch in der Union gebe es starke Kräfte dagegen, bei den anderen Parteien sowieso. Zudem würden dann alle Gewerkschaften auf den Plan gerufen.

Eine Zwangsschlichtung wäre „hochproblematisch, weil sie als Eingriff in die Tarifautonomie zu betrachten ist“. Die vom Grundgesetz gewährte große Eigenständigkeit für die Tarifparteien schließe die Konfliktlösung ein. Die Schlichtung sei ein wesentliches Instrument und werde auch genutzt, nicht zuletzt bei der Lufthansa. Sie basiere aber immer auf der Freiwilligkeit. Selbst wenn es eine Schlichtung mit Einlassungszwang gäbe, sodass beide Seiten teilnehmen müssten, dürfe daraus auf keinen Fall auch ein Einigungszwang resultieren. Dies würde die Akzeptanz der Schlichtung generell untergraben, warnte Bispinck.

Erinnerungen an die Weimarer Republik

Selbst aus dem Lager der Wirtschaftsverbände kommt Protest: Hagen Lesch, der Tarifexperte beim Kölner Institut der deutschen Wirtschaft (IW), hält den Forderungen nach Zwangsschlichtungen ein „klares Nein“ entgegen. „Dann greift der Staat in einer Weise in die Tarifautonomie ein, bei der er nur Schaden nehmen kann“, sagte er. „Wir kennen das aus der Weimarer Republik.“ Es wäre ja kaum umsetzbar, eine Zwangsschlichtung auf Unternehmen im Staatsbesitz zu beschränken. Zur Tarifautonomie gehöre, dass die Tarifparteien ihre Kampfmittel und ihre Verhandlungstaktik selbst bestimmen. „Insofern sollte der Staat die Finger davon lassen.“ In einer Zwangsschlichtung würde eine Lösung angeordnet, die vielleicht sogar von beiden Seiten abgelehnt würde und das ganze Betriebsklima dann noch mehr vergiftet. „Dann richtet sich auch der Zorn gegen den Staat – das kann keiner wollen“, so Lesch.

Denkbar wäre es, wie von der CSU gefordert, das Arbeitskampfrecht für die Daseinsvorsorge zu ändern, dann mit einer vorgeschriebenen Schlichtung, die die Tarifparteien selbst übernehmen. Das hebe den Streit aber auch nicht auf. Wenn etwa die Piloten sich gegen die Verlagerung auf Eurowings wehren, werde die Schlichtung scheitern. „Also muss man einen Gesamtdeal finden, bei dem das Management ein Stück weit die gesamtunternehmerische Souveränität aufgibt – nach dem Motto: wenn die Gewerkschaften zu Einschnitten bereit wären, überdenken wir unser Flottenkonzept.“ Beide Seiten müssten etwas geben, doch noch glaubt jede Streitpartei, die stärkere zu sein. Folglich ist Lesch davon überzeugt: „Besser als ein Arbeitskampfrecht in der Daseinsvorsorge wäre ein allgemeines Arbeitskampfrecht, das den Tarifparteien vorschreibt, Schlichtungsvereinbarungen zu treffen.“

Kritik am Bundesverkehrsminister

In jedem Fall ist der IW-Experte für einen Vermittler bei der Lufthansa. Vorbild ist die Bahn, wo 2015 mit den Mediatoren Bodo Ramelow (Linke) und Matthias Platzeck (SPD) ein Schlichtungsabkommen gelang. So etwas brauche auch die Airline. „Wenn aber bei jedem Streikaufruf die juristische Keule herausgeholt wird, dann ist das keine Verhandlungskultur“, kritisierte er beide Seiten.

Es sei auch nicht sachgerecht, wenn Minister meinten, sie müssten einseitig Partei ergreifen, rügte Lesch mit Blick auf Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU). Die Tarifautonomie funktioniere sehr wohl. „Es ist nur kein Einigungswillen erkennbar, weil sich beide Seiten gegenseitig blockieren können.“ Unternehmenschef Carsten Spohr setze seine Strategie mit dem Wachstum bei Eurowings fort, und die Piloten fügten der Lufthansa Schaden zu, was auch der Sinn von Streiks sei. Offensichtlich sei die Konsensschwelle noch nicht erreicht, bei der der Schaden so groß ist, dass man sich aufeinander zu bewege.