Kann ein einzelner Pilot das Vertrauen vieler Passagiere verspielen? Eine Pilotin erzählt, welche Folgen die Katastrophe nach sich ziehen könnte: im Cockpit darf man nie allein sein.

Der Cockpit Voice Recorder hat meine Befürchtung bestätigt, und es schockiert mich zutiefst. Die traurige Gewissheit hatte ich bereits, als ich noch am Tag des Absturzes die Radaraufzeichnungen sah: entweder hatte einer der Piloten das Flugzeug absichtlich zum Absturz gebracht oder ein Selbstmordattentäter beide Piloten überwältigt und das Steuer übernommen.

 

Von Anfang an schloss ich eine geborstene Cockpitscheibe aus

Aus den Daten der Flugsicherung war zu entnehmen, dass der Germanwings-Airbus völlig kontrolliert in den Abgrund geflogen worden war. Offensichtlich mit funktionstüchtigen Triebwerken, denn er behielt in den acht Minuten zwischen Verlassen der Reiseflughöhe und dem Aufprall konstant seine maximale Fluggeschwindigkeit bei.

Eine Bombenexplosion stand aufgrund des Ermittlungsstandes ohnehin außer Frage. Von Anfang an schloss ich eine geborstene Cockpitscheibe aus, denn bei einem Kabinendruckverlust hätten die Piloten einen Emergency Descent, einen Notabstieg, eingeleitet. Der Airbus hatte jedoch seine Reiseflughöhe von 38 000 Fuß mit einer vollkommen gleichmäßigen Sinkrate von exakt 4000 Fuß pro Minute verlassen und diese bis zum Aufprall beibehalten. Bei einem Notfall hätte er eine weit höhere Sinkrate gehabt, und die Geschwindigkeit wäre bei einem strukturellen Schaden deutlich reduziert worden.

Wir sind im Flug immer beide, Kapitän und Copilot, mit dem Beckengurt angeschnallt

An eine Bewusstlosigkeit der Piloten habe ich ebenfalls nie geglaubt, denn wir trainieren diese Notfälle 1000-mal, und jeder Handgriff ist eingeübt. Direkt neben jedem Piloten befindet sich eine Sauerstoffmaske, welche Sauerstoff unter Druck abgibt und sich selbstständig um den Kopf schließt. Es dauert kaum eine Sekunde, um sie aufzuziehen, auch mit Brille. In der Maske ist ein Mikrofon integriert, welches die Kommunikation mit den Fluglotsen und dem anderen Piloten ermöglicht. Wir sind im Flug immer beide, Kapitän und Copilot, mit dem Beckengurt angeschnallt, so dass niemand bei einem Scheibenbruch aus dem Sitz nach draußen gezogen werden kann.

Am Tag des Absturzes teilte die Flugsicherung bereits mit, dass nach Beginn des Sinkfluges keinerlei Kommunikation zwischen dem Flugzeug und dem Fluglotsen stattgefunden hatte. Zudem schien auch der Transponder – das ist ein Sender, der das Flugzeug auf dem Radarschirm identifiziert – nicht auf den Notfallcode 7700 oder den Highjackingcode 7500 bei Entführungen umgeschaltet worden zu sein. Der Code bewirkt, dass die Maschine auf dem Schirm des Lotsen rot aufblinkt, um diesen nonverbal zu warnen, dass man in Not ist.

Es ist ein entsetzlicher Wahnsinn, was da passiert ist

Meine Analyse der wenigen Fakten am Abend des Absturzes ließ nur den Schluss zu, dass unmittelbar nach dem Cruise Check, also nach Erreichen der Reiseflughöhe, einer der Piloten das Cockpit verließ und entweder von dem anderen Piloten absichtlich ausgesperrt oder von einem Terroristen angegriffen wurde. Es war – auch nach Veröffentlichung neuer Hinweise – bereits im Vorfeld ganz offensichtlich.

Seit den Anschlägen des 11. September 2001 wurden die Cockpits vor unerlaubtem Eindringen geschützt. Die kugelsicheren und massiv verankerten Türen können nicht eingetreten und nur von innen oder von außen mit einem Code durch die Crew geöffnet werden. Von außen ist diese Entsperrung zeitverzögert, damit man im Cockpit im Falle eines Angriffes die Tür mechanisch verriegeln kann. Viele Airlines haben Kameras, damit die Piloten sehen können, wer vor der Tür steht. Ein bewusstloser Pilot kann nicht von innen die Tür verriegeln, das muss Absicht gewesen sein.

Es ist ein entsetzlicher Wahnsinn, was da passiert ist. Ich mache mir große Sorgen, was diese Tragödie für unsere Fliegerei bedeutet. Wenn ausgerechnet ein einzelner Linienpilot seinen Flieger absichtlich in einen Berg steuert und so viele unschuldige Menschenleben mit in den Tod reißt – er ruiniert damit das Vertrauen der Passagiere im Allgemeinen. Die vielen Kollegen, die ich kenne – und ich – wir sind uns unserer Verantwortung durchaus bewusst.

Diese Tat wird Konsequenzen nach sich ziehen

Mir sind mindestens drei Fälle bekannt, in denen Airline-Piloten bewusst die Maschine samt Passagieren zum Absturz gebracht haben: das war bei Egypt Air, Silk Air und LAM. Der ungeklärte Fall der verschwundenen Malaysian-Maschine könnte auch ein Selbstmord gewesen sein. Bisher war das ein Tabu, und es gab keine Richtlinien. Es ist normal und tägliche Routine, dass einer der beiden Piloten während des Fluges das Cockpit verlässt.

Diese Wahnsinnstat bei der Lufthansa-Tochter Germanwings mitten in Europa wird Konsequenzen nach sich ziehen. Die erste, die mir einfiele, wäre, dass nie ein Pilot allein im Cockpit sein darf. Da man es niemandem verbieten kann, zur Toilette zu gehen, müssten immer drei Piloten – wie auf der Langstrecke üblich – an Bord sein. Dass die Cockpitverriegelung abgeschafft beziehungsweise eine Möglichkeit geschaffen wird, diese während des Fluges von außen öffnen zu können, halte ich wegen der steigenden Terrorismusgefahr für ausgeschlossen.