In Bochum diskutierten 2000 Piraten über den Kurs ihrer Politik. Aber die Beschlüsse blieben vage.

Obwohl es zu fast jedem Vorschlag des Tagungsleiters eine Gegenrede gibt und meistens auch noch eine Abstimmung, bleibt dieser eine Hinweis unwidersprochen. „Bier gibt es erst ab 17 Uhr“, ruft der Mann am frühen Mittag von der Bühne. An den Wänden hängen Plakate mit den Begriffen „Transparenz“ und „Selbstbestimmung“, doch die einsame Entscheidung scheint niemanden zu stören. Seit Stunden bemühen sich die rund 2000 Mitglieder im tristen Bochumer Ruhrkongress, an ihren programmatischen Defiziten zu arbeiten. Besonders weit sind sie nicht gekommen. Bei dem vorgelegten Tempo, hat jemand ausgerechnet, müssten sie zwei Wochen bleiben, um die etwas mehr als 100 Anträge zu behandeln, die sie nach langen Debatten aus der Flut von mehr als 800 Eingaben ausgewählt haben.

 

Alleine für die Tagesordnung hatten sie am Morgen eine Stunde gebraucht, im Vorfeld war es nicht gelungen, sich auf einen Entwurf zu einigen. Immerhin hatte die Parteiführung den Versuch unternommen, die Personalquerelen auszuklammern. Piratenchef Bernd Schlömer gibt sich dabei selbstkritisch – „auch ich habe Fehler gemacht“ – sitzt aber einträchtig neben Geschäftsführer Johannes Ponader, den er vor Kurzem für untragbar auf diesem Posten gehalten hat. Warum er dies inzwischen anders sieht, bleibt offen; er erzählt stattdessen, dass man gemeinsam beim Fußball war und sich seither besser verstehe.

Kampf mit der Antragsflut und der Technik

Beim Parteitag selbst kämpfen die Piraten anschließend nicht nur mit der Antragsflut, sie haben auch Probleme mit der Technik. Ausgerechnet während der Debatte über das Wirtschaftsprogramm brechen die Netze zusammen, haben die ständig surfenden Mitglieder keine Internetverbindung. „Unser Netzwerkteam arbeitet mit Hochdruck daran“, versucht der Versammlungsleiter zu beruhigen. So recht gelingt das nicht.

Nach Stunden debattiert man noch immer über die unterschiedlichen Module einzelner Anträge, die Schlangen vor dem Saalmikrofon werden länger und länger. Die Programmdiskussion wird immer wieder durch Geschäftsordnungsanträge unterbrochen. Der dafür zuständige Rechtsgelehrte wird zur wichtigsten Figur am Podium. „Ich brauch mal den Juristen, Marsch, Marsch“, heißt es ständig.

Redezeit wird nochmal verkürzt auf eine Minute

Um überhaupt zu einem Ergebnis zu kommen, wird die Redezeit erst auf zwei, dann auf eine Minute verkürzt. Am Ende schaffen es die Piraten auf diesem Wege einige Eckpunkte zu beschließen. Die Parteiführung um Schlömer und Ponader feiert selbst die mageren Ergebnisse als Durchbruch. „Manchmal muss man Politik machen und nicht auf Verfahren abstellen“, sagt Bernd Schlömer, aber er dürfte längst ahnen, dass er mit den Ergebnissen nicht wirklich wird bestehen können. Während er die Piraten als die „sozialliberale Kraft der Informationsgesellschaft“ positionieren möchte und sich darüber freut, dass man jetzt für Mindestlöhne, Mindestrente und eine echte soziale Marktwirtschaft kämpft, haben die eigenen Mitglieder in der Debatte alle Stichworte geliefert, die Zweifel nähren, ob die wenigen beschlossenen Zeilen das Programmdefizit beheben werden. „Könnt ihr uns erklären, was dieser neoliberale Müll soll“, schimpft einer, und jemand anderes beschwert sich über Worthülsen, die sich in den Programmen anderer Parteien wiederfinden könnten.

Christopher Lauer, der Berliner Pirat, kommt am zweiten Tag des Treffens zu einem anderen Schluss als die Parteiführung. Er hält die Programmarbeit auf einem Parteitag mit bald 2000 anwesenden Mitgliedern für schwierig und plädiert für eine grundsätzlich andere Form der Debatte im Netz – im Rahmen einer ständigen Mitgliederversammlung. „Dann könnte dort abgestimmt werden“, schlägt er vor. Auf einem solchen Parteitag sei das nur begrenzt möglich – und warum das so ist, sagt ein anderer Pirat erstaunlich offen: „Die Leute müssten sich besser vorbereiten und disziplinierter werden.“