Über die vertraute Urzeit möchten die Leute von Pixar noch mal ganz neu reden. Sie lassen in ihrem Trickfilm“Arlo & Spot“ die Saurier nicht aussterben, sondern eine Kultur entwickeln. Das könnte ziemlich lustig und kindgerecht werden, nimmt aber problematische Wendungen.

Stuttgart - Da zischt was quer über den Himmel. Ein Komet! Aber was für einer: der große Brocken aus dem All, den Pixars neuer Computeranimationsfilm „Arlo & Spot“ anfangs erdwärts schleudert, ist ein welthistorisch bedeutsamer. Es ist jener kosmische Trümmerkoloss, dessen Einschlag vor Jahrmillionen auf lange Zeit den Himmel verdunkelt, das Klima verändert und so die Saurier ausgerottet haben soll.

 

Aber wir sitzen ja gerade im Kino, dem Ort der schönen Alternativen zur nicht immer optimalen Wirklichkeit. Und so streift der Komet nur kurz unsere Atmosphäre. Grasende Saurier heben für eine Sekunde den Kopf, blinzeln mal eben und machen dann weiter damit, schwerfällig, aber unangefochten die Schöpfung zu regieren.

Pflügende Saurier, klauende Menschen

Lange Entwicklungen schrumpfen auf Bruchteile eines Lidschlags zusammen. Ein Schnitt, und es hat sich viel getan bei den gewichtigen Echsen. Wir sehen einer Familie freundlicher Apathosaurier beim Ackerbau zu. Die Urviecher haben also ihre Chance genutzt, die sie in unserer Realität nicht mehr bekamen.

Sie haben das Sprechen gelernt und das Pflügen, und obwohl sie keine Hände besitzen, können sie mit ihren Stampferbeinen und Riesenmäulern ganz achtbar Werkzeuge nutzen. Sie leben in Hütten und können Knüppel schwingen, um sich gegen Feinde zu wehren. Der Feind, das ist hier ein flinkes, freches und struwwelköpfiges Menschenkind, das regelmäßig die Vorräte klaut.

Allerdings bewegt sich dieses Kind auf allen Vieren, schnüffelt am Boden, ist der worthaltigen Sprache nicht mächtig und auch sonst einem Hund verflixt ähnlich. Der Sauriervater betrachtet den Krabbler mit so viel Sympathie wie der Bäcker die Maus im Mehlspeicher. Wir Menschen scheinen in „Arlo & Spot“ evolutionstechnisch einen langen Halt auf der Pannenspur eingelegt zu haben.

Weniger los als bei den Feuersteins

Eigentlich ist also alles beieinander für einen familiengerechten Trickfilm, der auf intelligente und spaßige Weise den uns vertrauten Konflikt zwischen Mensch und Natur auf den Kopf stellt. Nichts weniger würde man von dem zum Disney-Imperium gehörenden Studio Pixar erwarten, das in Hits wie „Findet Nemo“ und „Wall-E“ hochkomplexe Themen als Kindervergnügen aufbereitet und zugleich mit allen Raffinessen der Erwachsenenunterhaltung ausgestattet hat.

Aber „The good Dinosaur“, so der Originaltitel des von Peter Sohn inszenierten Films, ist anders. Er ist das seltsamste Werk, das uns Pixar je geboten hat. Einerseits nämlich weist hier vieles auf Vorschulkinder als Zielgruppe hin: die simpel liebliche Sauriergestaltung, das Fehlen von Subtexten, die Schlichtheit der Witze. Fast schon ruppig werden klassische Disney-Themen abgearbeitet. das Saurierkind Arlo lernt, seine Ängste zu überwinden, schließt Freundschaft mit dem zunächst ganz fremden Menschenkind, und das einander Helfen entpuppt sich als wichtigster Wert überhaupt.

Das könnte Tränen geben

Andererseits werden klassische ernste Disney-Themen fast traumatisch deutlich abgehandelt. Arlos Vater kommt vor dessen Augen zu Tode, die Lücke im Leben ist enorm. Es gibt Feinde – hier Flugsaurier –, die einem wirklich Übles wollen, was unter anderem daran demonstriert wird, dass sie ein putziges kleines Fellwesen in einer zynisch deutlichen Szene lebendig verspeisen.

Da gibt es keinen Vorbehalt, keinen Notausgang, kein Schlupfloch, die Beute entkommt nicht in letzter Sekunde. Das muss man den kleinen Zuschauern dann aber erst mal erklären, das könnte Tränen geben.

Verloren in der weiten Welt

Noch wunderlicher aber ist die Einsamkeit der Saurier. Arlos Familie ist nicht Teil einer Bauernkultur, die Echsen wuseln nicht in der Tiervariante einer dichten Steinzeitzivilisation wie aus der Trickserie „Die Feuersteins“ umher. Sie wirken extrem verloren in ihrem Haus und auf den Feldern, als seien sie eben doch am quälend langsamen Aussterben.

Daran ändert auch das Auftauchen einer „Bonanza“-Romantik verströmenden Tyrannosaurusfamilie nichts, die ein Cowboy-Leben führt. Das ist ebenfalls eines der Absonderung. „Arlo & Spot“ ist ziemlich gruselig, ohne es sein zu wollen. Am Ende fragt man sich, ob es nicht ganz gut war, dass der Komet damals voll eingeschlagen ist und diese Traurigkeit verhindert hat.

Arlo & Spot. USA 2015. Regie: Peter Sohn. Computeranimationsfilm. 94 Minuten. Ab 6 Jahren.