Der FDP-Europaabgeordnete Georgios Chatzimarkakis muss als Nächster seinen Titel hergeben.

Politik: Matthias Schiermeyer (ms)

Stuttgart - Die Lawine rollt, und der nächste liberale Europaabgeordnete ist von ihr mitgerissen worden. Nach Silvana Koch-Mehrin ist Georgios Chatzimarkakis des unzulässigen Abschreibens in seiner Dissertation überführt worden. Der Fakultätsrat der Universität Bonn hat ihm am Mittwoch den Doktortitel entzogen.

 

Noch vor der Universität machte Chatzimarkakis das Verdikt am Nachmittag auf seiner Homepage (www.chatzi.de) öffentlich: "Diese heutige Entscheidung ist sehr bitter für mich", schreibt er. Bei aller Enttäuschung stelle er aber erleichtert fest, "dass die Universität Bonn keine Täuschungsabsicht sieht und ausdrücklich Fußnotenapparat und Literaturverzeichnis als regelgerecht ansieht". Seine Dissertation sei ein Grenzfall. Alle Quellen seien zwar mit Fußnote ausgewiesen und im Literaturverzeichnis aufgeführt. Die Universität Bonn kritisiere jedoch, dass nicht ausreichend klar sei, wie sich eigener gegen fremden Text abgrenze. "Also: Keine Stelle ohne Quelle - jedoch ohne Gänsefüßchen."

Eher nebenbei ist zu vermerken, dass die Universität Hamburg dem SPD-Politiker Uwe Brinkmann den Doktor weggenommen hat. Dieser hat über die Hansestadt hinaus nie Bedeutung erlangt und ist allenfalls ein Beleg dafür, dass es auch Sozialdemokraten treffen kann. Denn auffällig ist, dass bisher vor allem Unionspolitiker und Liberale als Schwindler im Internet ertappt worden sind: Neben Chatzimarkakis und Koch-Mehrin sind auch Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU), der Waiblinger Landtagsabgeordnete Matthias Pröfrock (CDU) und Veronica Saß, Tochter von Edmund Stoiber (CSU), ihren Titel los.

CDU und FDP-Abgeordnete tragen mehr Doktortitel

Dass eher die Doktorarbeiten konservativer als linker Politiker durchleuchtet werden, ist weniger die Folge eines ideologisch motivierten Vorgehens als vielmehr eine Frage mathematischer Wahrscheinlichkeit. Im Parlament sind die wissenschaftlichen Weihen laut Bundestags-Webseite einseitig verteilt: Von den insgesamt 620 Abgeordneten schmückt sich etwa jeder Fünfte mit der Doktorwürde. Demnach kommt die Union auf gut 50 Titel, die FDP immerhin auf die Hälfte. SPD, Linkspartei und Grüne können zusammen weniger Promovierte vorweisen als CDU und CSU. Gerade in der Ökopartei und bei den Linken spielt der Titel für den Aufstieg fast keine Rolle. Bei Union und Liberalen lassen sich damit noch Vorteile erzielen. Dies mag einerseits Politiker motivieren, zu unlauteren Mitteln zu greifen und sie andererseits vermehrt ins Visier der Verfolger rücken.

In all den aktuellen Fällen hat VroniPlag die entscheidende Vorarbeit geleistet. Die "kollaborative Plagiatdokumentation" im Netz wurde Ende März aufgrund der enormen Wirkung von GuttenPlag gegründet - der mittlerweile Grimme-Preis-gekrönten Plattform, über die der Ex-Verteidigungsminister stürzte. Auch hinter VroniPlag - den Namen gab Veronica Saß - stecken mehr als tausend Freiwillige. Jeder Internetrechercheur kann sich an der freien Enzyklopädie, kurz "Wiki", beteiligen.

Dass politische Eiferer mitmischen, lässt sich nicht ausschließen, weil die Teilnehmer unter einem Pseudonym antreten. Aus der Deckung heraus lässt sich leicht denunzieren; zugleich gewährt die Tarnung einen Schutz vor rechtlicher Verfolgung. Der Qualität der Recherche muss dies keinen Abbruch tun, zumal sich auch die Wissenschaftsszene einbringt: Bei DePlagio (www.deplagio.wordpress.com) treffen sich bloggende Wissenschaftler, "die nicht länger hinnehmen wollen, dass die Reputation der Wissenschaft beschädigt wird, indem Plagiate und andere Formen des wissenschaftlichen Betrugs als Kavaliersdelikt behandelt werden".

Kaum Einsicht bei den Überführten

Allen verfolgten Politikern gemein ist der Mangel an Einsicht und Ehrlichkeit: Entweder reden sie sich heraus, sie hätten noch zulässige Zitierweisen gewählt. Oder sie schieben der Universität samt Prüfern die Schuld zu, weil diese die Fehler hätten durchgehen lassen. Einige Überführte haben gar juristische Gegenwehr angekündigt. Allenfalls Uwe Brinkmann, zuletzt Dozent für Rüstung an der Führungsakademie der Bundeswehr, hat seine Promotionsurkunde prompt zurückgeschickt. Dennoch haben die Universitäten einen Selbstreinigungsprozess eingeleitet, und die Doktorjäger werden keine Ruhe mehr geben.

Nur eine Frage der Zeit ist der erste prominente Plagiatsfall in der Wirtschaft und anderen Teilen des öffentlichen Lebens. Parallel dürfte eine Diskussion um sich greifen, ob sich die Deutschen zu "digitalen Blockwarten" entwickeln. Der Prozess, der mit dem Rücktritt Guttenbergs für einige schon erledigt schien, hat erst begonnen.

Erfolgreiche Aktion im Netz

Titelentzug Acht Doktorarbeiten sind bisher von VroniPlag und GuttenPlag durchleuchtet worden. In sechs Fällen hat die Universität daraufhin den Titel aberkannt: Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU, Universität Bayreuth), Silvana Koch-Mehrin (FDP, Heidelberg), Georgios Chatzimarkakis (FDP, Bonn), Veronica Saß (Konstanz), Matthias Pröfrock (CDU, Tübingen) und Uwe Brinkmann (SPD, Hamburg).

Verdacht Geprüft werden die Dissertationen von Bijan Djir-Sarai (FDP, Köln) und Margarita Mathiopoulos (FDP, Bonn). Niedersachsens Kultusminister Bernd Althusmann (CDU, Potsdam) geriet durch Medien ins Zwielicht.