Die Plasmamedizin verspricht Ärzten völlig neue Möglichkeiten – nicht nur bei der Behandlung von Wunden. Doch die Methode steckt noch in den Kinderschuhen.

Greifswald - Das kleine Gerät erinnert an einen Zahnarztbohrer – nur dass an der Spitze kein Bohrer rotiert, sondern eine bläuliche Flamme zischelt. Begleitet von einem fiependen Ton führt der Arzt die Flamme langsam über die entzündete Haut am Fuß eines Patienten. So unspektakulär sieht die Plasmamedizin in der Praxis aus. Mit Blutplasma hat das Ganze nichts zu tun. Grundlage der Methode ist vielmehr ein physikalisches Plasma (siehe Infobox). Es soll Mikroorganismen abtöten, die die Wunde infiziert haben, und so die Heilung fördern. Dass das funktioniert, haben Mediziner bereits in einer Reihe von Studien gezeigt. Selbst schlecht heilende, chronische Wunden oder Infektionen mit multiresistenten Keimen ließen sich mit der Plasmatherapie erfolgreich behandeln.

 

Hans-Robert Metelmann prüft mit seinem Team schon seit Jahren das klinische Potenzial der Plasmamedizin – etwa zur Behandlung von Tumorpatienten mit großflächigen Wunden in Mundhöhle, Gesicht oder Hals. „Die Patienten leiden enorm unter diesen Wunden. Die bakterielle Besiedlung hat einen sehr intensiven Geruch zur Folge, der vor allem für die Patienten selbst, aber auch für ihr Umfeld sehr belastend ist“, sagt der Mitbegründer des Nationalen Zentrums für Plasmamedizin und Leiter der Klinik für Mund-Kiefer-Gesichts-Chirurgie und Plastische Operationen der Universität Greifswald. Ein Vorteil der Plasmabehandlung sei auch, dass man die Bakterien berührungslos und schmerzfrei beseitigen könne. Nebenwirkungen sind bis jetzt nicht bekannt.

Greifswald hat sich in den vergangenen Jahren zum führenden deutschen Standort für Plasmamedizin entwickelt. In der Hansestadt ist auch das Leibniz-Institut für Plasmaforschung und Technologie (INP Greifswald) angesiedelt, die nach eigenen Angaben europaweit größte außeruniversitäre Forschungseinrichtung zu Niedertemperaturplasmen. Und an der dortigen Universität wurde 2011 die weltweit erste Professur für Plasmamedizin eingerichtet, seitdem besetzt von Thomas von Woedtke.

Ein Cocktail aus vielen Bestandteilen

Der Pharmazeut erforscht unter anderem die biologische Wirkungsweise verschiedener Plasmen. Denn was das Plasma mit den Bakterien macht, ist bisher nicht genau klar. „Plasma ist ein Cocktail aus verschiedenen aktiven Bestandteilen“, erläutert von Woedtke. Darin wirkten unter anderem UV-Strahlung, erhöhte Temperatur und ein leichter Stromfluss. Hauptträger der biologischen Effektivität seien reaktionsfreudige Sauerstoff- und Stickstoffverbindungen wie Ozon oder Stickstoffdioxid. „Diese Stoffe spielen auch im Stoffwechsel bei der Immunabwehr oder der Wundheilung eine Rolle“, sagt von Woedtke.

Eine weitere Aufgabe des Forschungsschwerpunkts Plasmamedizin ist die Entwicklung neuer Geräte. Bisher seien drei Geräte auf dem Markt, die physikalisch, technisch und biologisch charakterisiert und klinisch geprüft seien, sagt von Woedtke. „Sie unterscheiden sich unter anderem in der Wirkungsbreite der Plasmaquelle. Diese kann punktförmig ausgerichtet sein oder flächig.“ Im ersten Fall könne man präzise arbeiten, wie mit einem Skalpell. Bei großen Wunden eigneten sich flächig ausgerichtete Plasmaquellen besser.

Erschwert wird die Anwendung bislang dadurch, dass die klinische Wirkung für jede Plasmaquelle und jedes Gerät einzeln geprüft werden muss – etwa mit Blick auf die Anwendungsdauer oder die Häufigkeit der Behandlungen. Bei anderen physikalischen Geräten kenne man eine messbare und einstellbare Größe – etwa die eingesetzte Energie bei einem Laser, erläutert von Woedtke. Für die Anwendung von Plasmaquellen gebe es so ein geräteübergreifendes Kriterium bislang nicht.

Erfolgreiche Anwendung in der Zahnmedizin

Dennoch werden plasmamedizinische Verfahren bereits vereinzelt eingesetzt. Außer Dermatologen nutzen auch einige Zahnärzte Plasmaquellen zur Bakterienbekämpfung. „Plasmamedizin wird in unserer Praxis vielfältig und mit gutem Erfolg eingesetzt“, sagt etwa Zahnarzt Holger Klinge aus Straubing. „Wir verwenden das Gerät zur Desinfektion von Wunden, von Wurzelkanälen und von Mundhöhlen ganz allgemein, etwa auch zur Parodontaltherapie.“

Dass der große Durchbruch bisher ausgeblieben ist, erklärt von Woedtke unter anderem damit, dass der Bereich Wundheilung gut erforscht sei und dass bereits viele unterschiedliche Behandlungskonzepte zur Verfügung stünden. Noch sei unklar, ob Plasma nur eine weitere oder aber eine überlegene Therapie ist. Möglicherweise könne die Plasmatherapie eine entscheidende Option zur Bekämpfung multiresistenter Erreger werden. Behandlungsmöglichkeiten für solche Erreger, gegen die verfügbare Antibiotika ihre Wirksamkeit verloren haben, werden händeringend gesucht.

Studien dazu lieferten bisher unterschiedliche Ergebnisse. Forscher um Georg Daeschlein von der Universität Greifswald zeigten in Versuchen mit Bakterienkulturen, dass eine Plasmatherapie verschiedene Arten multiresistenter Erreger abtöten kann. Je resistenter ein Erreger war, desto geringer war allerdings die Wirksamkeit der Behandlung. In einer anderen Studie, die Patienten mit chronischen Wunden einschloss, zeigte der Forscher, dass eine einmalige Plasmabehandlung auch einen Großteil der multiresistenten Erreger in der Wunde vernichten kann.

Klinische Studien zur Tumorbehandlung fehlen

Kollegen um Axel Kramer vom Greifswalder Institut für Hygiene und Umweltmedizin zeigten dagegen in Kulturversuchen, dass einige resistente Staphylokokken durch eine Plasmatherapie zum Teil sogar unempfindlicher gegen bestimmte Antibiotika wurden.

Fachleute erhoffen sich über die keimtötende Wirkung hinaus Anwendungsmöglichkeiten in der Tumortherapie. „Nachdem wir gesehen hatten, wie gut das bei den Bakterien funktioniert, haben wir uns gefragt: Wie reagieren Tumorzellen wohl auf eine Plasmabehandlung?“, sagt Metelmann. Das sei ein großes Forschungsthema – zumindest im Kreis der Plasmaforscher. Beim Deutschen Krebsforschungszentrum in Heidelberg etwa beschäftigt man sich bislang noch nicht mit der Methode.

„Wir sind da noch früh in der Grundlagenforschung“, räumt auch von Woedtke ein. Dass die Idee nicht völlig abwegig ist, belegen jedoch etliche Studien, in denen die Wissenschaftler meist Zelllinien untersuchten. Dabei zeigt sich, dass die Plasmabehandlung Krebszellen abtötet, während das umliegende Gewebe geschont wird. Größere klinische Studien gibt es bisher allerdings nicht.

Plasmen kommen auch in der Natur vor

Physik Wissenschaftler sprechen im Zusammenhang mit einem Plasma auch vom vierten Aggregatzustand – neben fest, flüssig und gasförmig. Die Sonne und die meisten anderen Sterne bestehen zum Großteil aus Plasma. Auf der Erde treten Plasmen zum Beispiel in Form von Blitzen oder Nordlichtern auf. Ein Plasma entsteht, wenn man einem gasförmigen Stoff weiter Energie zuführt, bis sich Elektronen aus den Atomen lösen. Natürliche Plasmen sind sehr heiß, mehrere Tausend Grad. Für die medizinische Anwendung am Menschen waren sie deshalb zunächst ungeeignet.

Medizin „Schon vor etwa 30 Jahren gelang es Wissenschaftlern, Plasmen technisch so herunterzukühlen, dass sie theoretisch auf der Haut anwendbar wären“, erläutert der Mitbegründer des Nationalen Zentrums für Plasmamedizin, Hans-Robert Metelmann. Doch erst seit wenigen Jahren sei es möglich, kaltes physikalisches Plasma unter Atmosphärendruck anzuwenden. „Das hat das Interesse an medizinischen Anwendungsmöglichkeiten enorm befeuert“, sagt der Plasmamediziner Metelmann.