Die britische Musikerin Tahliah Barnett legt das bisher überraschendste Album des Jahres vor. Denn was die 25-jährige Newcomerin mit jamaikanisch-spanischen Wurzeln unter dem sperrigen Titel FKA Twigs vorlegt, ist ein wirklich großer Wurf.

Kultur: Jan Ulrich Welke (juw)

Stuttgart - Ja, man hört tatsächlich R’n’B-Sound durch, weswegen diese Schublade, in die sie schon einige einsortiert haben, passt. Man hört auch viel Portishead durch auf dieser Platte, auch weil Tahliah Barnett mit der gleichen ätherischen Fragilität singt wie die großartige Beth Gibbons. Man hört die Innerlichkeit der Alternativeband The XX, aber wütender Punk sprengselt ebenso hinein. Dieses Album ist also alles – und daher eigentlich in keine Schublade einzuordnen, wenngleich am ehesten dann wohl doch bei Trip-Hop.

 

Auf jeden Fall ist es ein großartiger Wurf, den die 25-jährige Newcomerin mit jamaikanisch-spanischen Wurzeln unter dem sperrigen Titel FKA Twigs vorlegt. FKA steht für „formerly known as“; das kennen wir von ihrem amerikanischen Kollegen Prince, der sich per Namensänderung häutete, aber das mit der Neuerfindung trifft auch auf die Dame zu, die einst auf den Spitznamen Twigs hörte.

Die junge Sängerin präsentiert hier, nachdem sie zuvor lediglich zwei zwar von der Kritik gelobte, aber von der Öffentlichkeit mehr oder weniger unbemerkte EPs auf den Markt gebracht hatte, das bis dato aufregendste, vielschichtigste und buchstäblich unerhörteste Album des Jahres – und mit Sicherheit eins, das sie weit nach oben katapultieren wird.

Mal mädchenhaft, mal verhangen

Fabelhaft ist ihre Stimme, mal wie erwähnt an Beth Gibbons erinnernd, mal an Björk, mal an Kate Bush. Mal singt sie mädchenhaft, mal mit reifer Popstimme, mal verhangen, mal jauchzend. Immer mit Klasse. Die Musik dazu hat sie zunächst größtenteils in Eigenregie im Heimstudio hergestellt. Es ist wabernde Elektronik, die auf diesem vorzüglichen Langspieldebüt zu hören ist, teils bis auf die Knochen reduziert, oft auf Super-Slow-Motion heruntergedimmt, dezent mit Drumbeats grundiert.

Tahliah Barnett, die auch erfrischende Ansichten über ihr Arbeitsumfeld hat („ich lasse mir meine Entscheidungen bestimmt nicht von einer so flatterhaften Branche wie dem Musikbusiness diktieren“), begreift ihre Musik und die dazugehörigen Visualisierungen jedoch als Gesamtkunstwerk. Man höre sich deshalb nicht nur ihre Musik an, sondern sehe sich auch die (zum Beispiel bei Youtube schon millionenfach geklickten!) Videos an. Sie sind ebenso staunenswert wie diese formidable Musik.