Showdown in der Scharrena: an diesem Samstag (19.30 Uhr) empfangen die Volleyballerinnen von Allianz MTV Stuttgart zum zweiten Play-off-Finale den Dresdner SC. Und Mittelblockerin Nichole Lindow geht auf Abschiedstournee.

Stuttgart - „Homesick“ heißt auf Deutsch, krank vor Heimweh zu sein. Und das beschreibt den Gefühlszustand von Nichole Lindow (23) ziemlich genau. Die US-Mittelblockerin von Allianz MTV Stuttgart, die alle „Nikki“ nennen, hat schon in der kurzen Weihnachtspause angedeutet, dass sie nach ihrer zweiten Saison als Volleyballprofi in Stuttgart wieder nach Hause will. Nach Erie, einem 20 000-Seelen-Nest in Colorado am Fuße der Rocky Mountains.

 

Dort wartet „Stretch“ auf sie, ihr reinrassiges Rodeo-Pferd. „Der ist jetzt in Rente, aber mit ihm habe ich viel Geld gewonnen.“ Man kann sie sich kaum vorstellen, mit Stetson-Hut, den ledernen Chaps-Überhosen über den Jeans und in Cowboystiefeln beim Rodeo, so wie sie gerade in ihren Trainingsklamotten auf einem der roten Tribünenklappstühle in der Scharrena sitzt, während auf dem Spielfeld ihre Zuspielkolleginnen trainieren. Schließlich liegen ihre Gedanken ganz klar auf dem Saisonendspurt.

Am Samstag um 19.30 Uhr wird die Halle aus allen Nähten platzen, wenn sie und ihr Team von Allianz MTV Stuttgart gegen den Dresdner SC im Play-off-Finale um die deutsche Meisterschaft die Auftaktniederlage egalisieren wollen. Dass ihr Team so weit gekommen ist, ist auch ein Verdienst der amerikanischen Mittelblockerin. Die Statistik führt Lindow als zweitbeste Blockerin in den Play-offs hinter der Schwerinerin Anja Brandt, zudem erhielt sie drei goldene und zwei silberne Medaillen als wertvollste Spielerin ihres Teams .

Vier Endspiele in nur zwei Jahren

Die persönliche Bilanz von Nikki Lindow kann sich sehen lassen: In nur zwei Spielzeiten in Stuttgart hat sie gleich viermal ein Finale erreicht. „Unglaublich, was wir hier gemeinsam geschafft haben, und wie viel Spaß wir dabei haben in dieser tollen Mannschaft“, sagt die Amerikanerin und strahlt. Dabei kam sie vor zwei Jahren nach Stuttgart und konnte nicht aufschlagen. Diese Aufgabe hatte bisher die Libera für sie übernommen, was das Regelwerk im amerikanischen Collegesport ausdrücklich zulässt.

„Ich verdanke Guillermo Naranjo Hernandez und dem Trainerteam sehr viel“, sagt Lindow. Doch nach dem Play-off-Finale soll diese schöne Zeit zu Ende gehen. „Meine Wurzeln sind eben in Colorado, dort lebt meine Familie und auch mein Freund, die Liebe meines Lebens.“ Ein Wechsel in ein weiteres Ausland, wo mit Volleyball viel mehr Geld zu verdienen wäre, kommt für das auffällige „Sonnygirl“, dass während der Spiele in der Mitte am Netz antreibt, abklatscht, lacht, aber auch fluchen kann wie ein Bierkutscher, überhaupt nicht infrage. „Ich war in Baku. Was soll ich an einem solchen Ort? Es muss alles passen. Und in Stuttgart hat alles gepasst. Ich hatte hier die beste Zeit meines Lebens als Profisportler.“

In der Garage steht ein 7,4 Liter Chevrolet

Dieses Kapitel war von Anfang an auf zwei Jahre angelegt, nun neigt es sich dem Ende zu. Jetzt ist Zeit für die Berufsausbildung. Sportjournalistin will sie werden, am liebsten im Fernsehen. Die ersten Kontakte sind schon geknüpft. Aber bald ist auch Zeit, Dinge zu tun, auf die sie wegen der Verletzungsgefahr bisher verzichtet hatte. Der Wirbelwind am Volleyballnetz ist auch abseits der Sporthalle ein wahrer Wildfang: Wasserski, Tiefschnee fahren, Motocross, Snowmobil – auf all das hat sie verzichten müssen. Und auf ihr Auto, ein 74er Chevrolet Monte Carlo mit einem 454er V8-Zylinder-Big-Block-Motor (7,4 Liter). „Der hat nur 20 000 Meilen auf der Uhr. Den hat mir mein Vater geschenkt, weil ich fürs College ein Stipendium schaffte und er für meine Ausbildung nichts zahlen musste.“

Gleich drei Stipendien hätte die vielseitig talentierte Athletin bekommen können: Doch trotz der Angebote für Rodeo-Reiten oder Basketball hat sie sich für Volleyball entschieden. Und bereut nichts. „Ich bin so dankbar für meine Zeit hier, und es fühlt sich gut an, jetzt zu gehen. Was kann ich denn noch erreichen im Sport. Halt, klar die Goldmedaille. Jetzt noch die Meisterschaft, das wär’s“, sagt Lindow.

Die Trainer haben mittlerweile die Übungseinheiten mit den Zuspielern beendet. Zeit für die Mittelblocker. Nichole Lindow steht auf und legt los. Die kurze Gedankenreise nach Colorado ist vorbei, die Konzentration liegt auf den Finalspielen. Daran lässt sie keinen Zweifel. „Homesick“ – Nichole Lindow beugt sich dem Heimweh und kehrt nach Hause zurück. Aber sie wird bei den Stuttgarter Fans und in der Mannschaft viele hinterlassen, die sie vermissen werden – und dann „Nikki-Sick“ sind.