Zu Hunderten bevölkern Kunststoff Knirpse das Nürtinger Stadtmuseum. Am Sonntag hat die große Playmobil Schau begonnen. Mit dabei ist der Entertainer Harald Schmidt (links, im Gespräch mit dem VfB-Kicker Daniel Divadi).

Böblingen : Ulrich Stolte (uls)

Nürtingen - Falls der typische Playmobilsammler karierte Hemden trägt, aus kinderreicher Familie kommt und in der Baubranche tätig ist, dann sind Frank Puritscher und Karl Keller typische Playmobilsammler. Allerdings geht die Sammelleidenschaft in der Familie Keller mehr von der Gattin aus, von Irmtraud Keller. Ihr Mann ist quasi kollateralgeschädigt, aber das sieht er ganz entspannt: „Naja“, sagt er, „stellen Sie sich vor, meine Frau würde Dressur reiten, dann müsste ich ja jedes Wochenende auf einem Turnier sein“.

 

Irmtraud und Karl Keller sowie Frank Puritscher bestreiten die gegenwärtige Ausstellung im Nürtinger Stadtmuseum. Selten war eine buntere, lebendigere und liebevoller gestaltete Schau im Gebäude an der Wörthstraße zu sehen. Am Sonntag ist sie eröffnet worden. Kinder und Eltern bestaunten die riesigen Dioramen unter dem Dachboden des Museums. Die Szenerien sind bestückt mit Teppichen aus den immer lächelnden Playmobilfiguren, die bis ins kleinste Detail eine Ritterburg, eine Klosteranlage oder einen Campingplatz mit Museumshafen zeigen. Die Szenerien bestehen aus tausenden von Teilen, größer und detailreicher wie sie sich nie ein Kind würde erträumen können.

Natürlich auch deswegen, weil selbst die Firma Playmobil solche riesigen Anlagen nicht auf den Markt bringt. Das macht Irmtraud Keller aber nichts, weil sie offensiv mit den ewig lächelnden Spielfiguren umgeht. Sie baut die Originalteile um, sägt und schneidet sie zurecht. Hin und wieder macht sie den Hersteller per E-Mail auf Versäumnisse aufmerksam: „Das geht doch nicht: 30 verschiedene Ritter gibt es, aber nur drei Prinzessinnen. Wie soll ich denn da einen höfischen Ball darstellen?“.

Besonders bei der ausgestellten Ritterburg hat sie etliche Originalteile umgebaut, damit die Anlage mit Burg- und Wirtschaftshof möglichst exakt den historischen Gegebenheiten entspricht. „Wir sind als Kinder oft weggefahren und haben uns Burgen und Schlösser angeschaut“, erinnert sie sich. Doch ist das Playmobil nicht nur ein Füllkrug, mit dem sie glückliche Kindheitserinnerungen in ihr Leben gießt. Wenn Irmtraud Keller nach einem harten Tag auf der Altenpflegestation in ihr Playmobil-Zimmer kommt, drückt sie den Lichtschalter, womit gleichzeitig klassische Musik anläuft. Dann vergisst sie die Arbeit und den Stress auf ihrer Station. Die Zeit steht dann still für eine paar wichtige Momente, bevor der Abend beginnt.

So wie die Sammlung wächst, wachsen auch die Menschen mit ihr. Wann kommt ein badischer Gipsermeister wie Frank Puritscher schon mal nach Norwegen und Spanien, warum besucht eine Allgäuer Altenpflegerin wie Irmtraud Keller die Beneluxstaaten, und das auch noch im Hochsommer? Das Hobby hat die beiden Sammler am Haken und zieht sie auf internationale Sammlerbörsen. Es lädt sie zu Freundschaftsbesuchen im In- und Ausland ein und gibt ihnen mit diesen Dingen immer auch die Befriedigung, eine weitere Lücke in der Sammlung geschlossen zu haben oder ein weiteres schönes Stück in Händen halten zu dürfen

Man spürt, dass es dem Gipsermeister Frank Puritscher Halt gibt, die Lücken seiner Sammlung zu stopfen, die Dinge klar und vollständig zu haben. Dann ist es ein Ganzes und dann ist es richtig. Er forscht in kleinen ländlichen Geschäften nach uralten, original verpackten Kartons, er stöbert auf Sammlerbörsen. Er kauft weltweit Playmobil mit dem Ziel, alle jemals hergestellten Playmobilfiguren originalverpackt auf eine Sammlung zu vereinen. Um dann eine vollständige Überlieferung aller Spielfiguren zu haben, eine Sammlung, wie sie nicht einmal der Hersteller selbst besitzt.

Puritscher weiß genau, wie sich eine italienische Packung von einer österreichischen unterscheidet, er kann sagen, welcher Karton in welchem Land eingeschweißt war. Auspacken und die Figuren aufbauen? Niemals, Gott behüte, das würde die Originalität zerstören, das Ensemble vernichten, und damit würde der Karton wertlos für den Sammler.

Aber auch Frank Puritscher lässt ab und zu dem Spieltrieb seinen Lauf, anders geht es wohl nicht. Für die Nürtinger Ausstellung hat er zwei Figuren gebastelt, die es nicht zu kaufen gibt. Mit grauem Haar steht der Nürtinger Entertainer Harald Schmidt neben dem VfB-Kicker Daniel Didavi und interviewt ihn zur Zukunft des Vereins.

Frank Puritscher hat einmal das Haus des Playmobil-Erfinders Hans Beck besucht und dessen Witwe gesprochen. „Er muss ein begnadeter Bastler gewesen sein“, sagt Puritscher. Er konnte Playmobil-Figuren aus Hartplastik so exakt schnitzen, dass sie nicht mehr von den industriell gefertigten unterscheidbar waren. Hans Beck hatte einmal die Modellflug-Weltmeisterschaft gewonnen und seine Frau war italienische Meisterin. Plastisch erzählte sie Frank Puritscher, wie sie die Meisterschaften in Bergwerksstollen austrugen, damit kein Windhauch den Wettbewerb störte.

Im Jahr 1974 wurde Playmobil auf dem Markt eingeführt. Der Erfinder Hans Beck war Entwicklungsleiter der Firma Geobra Brandstätter aus Zirndorf. Er begann bereits im Jahr 1970 mit der Entwicklung des System-Spielzeugs, doch erst als die steigenden Ölpreise den Kunststoffpreis verzehnfachten, wagte der Firmenchef Horst Brandstätter die Markteinführung, denn die damals von Geobra produzierten großen Kunststoffartikel wie Deckenverkleidungen und Kindermöbel wurden unrentabel.

Das Unternehmen Geobra Brandstätter stellte das neu entwickelte Spielzeug erstmals 1974 auf der Nürnberger Spielwarenmesse vor – mit wenig Erfolg, wie die Nürtinger Ausstellungsmacherin Angela Wagner-Gnan berichtet. Erst am letzten Messetag bestellte ein holländischer Großhändler Figuren im Wert von einer Million Mark. Den ersten Themen Baustelle, Wilder Westen und Ritterzeit folgten mehr als 20 verschiedene Themen mit umfangreichem Zubehör. 1976 kamen weibliche Figuren dazu, Kinder- und Babyfiguren wurden erstmals 1981 verkauft. Die Figuren wurden im Laufe der Jahre nur leicht verändert – so kamen die beweglichen Hände erst später hinzu, ebenso die verschiedenen Haartrachten. Aber immer blieben die kleinen lächelnden Männchen und Frauchen an den ursprünglichen, unverkennbaren Formen ausgerichtet. Nur wenige Jahre nach der Markteinführung von Playmobil wurde das Unternehmen Geobra Brandstätter der umsatzstärkste deutsche Spielwarenhersteller und es rangiert seitdem an der Spitze mit beinahe 600 Millionen Euro Umsatz im Jahr.