Da kämpfte manche Mutter tapfer mit den Tränen. Der Plochinger Autor Harald Schmidt hat zur Videokonferenz mit Plochinger Auswanderern eingeladen. Anlass ist sein neues Buch, das die Geschichte von Auswanderen erzählt.

Böblingen : Ulrich Stolte (uls)

Plochingen – Die erste weltweite Skype-Konferenz mit Plochinger Auswanderern hat Harald Schmidt aus Plochingen (nicht zu verwechseln mit Harald Schmidt aus Nürtingen) am Freitag im Alten Rathaus am Marktplatz organisiert. Die Konferenz diente dazu, Schmidts Buch über Plochinger Auswanderer vorzustellen, das an diesem Tage erschien.

 

Zusammenfassend kann man zwei Dinge sagen. Erstens: der Plochinger Auswanderer der Gegenwart kommt vom Stadtteil Stumpenhof und lebt in Australien. Zweitens: Skype tut dann nicht, wenn man es braucht. Aber das wissen viele Nutzer des Internet-Bild-Telefon-Programms wohl selbst. Trotz vieler technischer Pannen gab es für die etwa 30 Besucher ein rührendes Wiedersehen mit alten Freunden wie dem Arzt Tilo Klinger oder dem Ingenieur Bernie Baum oder mit Regina Aubermann. Rührend deswegen, weil auch die Eltern gekommen waren, und manche betagte Mutter kämpfte tapfer mit den Tränen, als sie ihr Kind, wenn auch verpixelt, wiedersah.

Die Motive der Auswanderer sind immer dieselben: wirtschaftliche Gründe, politische Gründe oder die Liebe. Der Arzt Tilo Klinger, den sein rustikaler Humor auch unter dem Kreuz des Südens nicht verlassen hat, sagte deutlich: „Hier arbeite ich die Hälfte und verdiene das Dreifache.“ Was den anwesenden Bürgermeister Frank Buß zur Frage bewog, ob denn da unten nicht auch noch eine Bürgermeister-Stelle frei sei. Was die Plochinger Auswanderer zurzeit sonst noch machten, war trotz der schlechten Verbindung schnell erklärt. „Gutsle backen und Enkel hüten.“

Harald Schmidt hat eine Herkulesarbeit unternommen, um die Geschichten der Plochinger Auswanderer für sein neuestes Buch zu recherchieren. Mehrmals flog er über den Großen Teich, um die Menschen zu besuchen. Er organisierte sogar ein Treffen mit Deutsch-Amerikanern. Etwa 30 Auswanderer hat er sich unter den Hunderten, die Haus und Hof verlassen haben, herausgepickt, um ihre Geschichte mit vielen Bildern zu beschreiben.

Der historische Teil des Buches ist dabei der kleinste Teil. Am meisten interessiert Schmidt die Menschen, die in den vergangenen 80 Jahren die Stadt verlassen haben und zu deren Nachfahren er noch Kontakt aufnehmen konnte.

Das besondere Verdienst des Buches ist, dass Schmidt auch die Geschichte der Familie Lutz beschreibt, die in den 30er Jahren als die reichste Bauernfamilie im Flecken galt. Als ihr Sohn Karl 1943 verwundet und in einem Warschauer Lazarett gepflegt wurde, reisten sie nach Polen und erlebten dort das Grauen im Warschauer Ghetto. Der Sohn starb, und die Familie beschloss, die Schuld der Deutschen abzutragen. Sie zählte zur pietistischen Hahn’schen Gemeinschaft, und zusammen mit ihren Glaubensbrüdern überwiesen sie nach dem Krieg den zehnten Teil ihres Einkommens nach Israel. Doch das genügte ihnen nicht. Schließlich wanderte die Familie nach Jerusalem aus und schenkte zuletzt ihren ganzen Besitz der Stadt.

Kein Platz, keine Straße in Plochingen erinnert an die vielleicht hochherzigsten Menschen, die je in der Stadt gelebt hatten, aber vielleicht hätten sie das auch nicht gewollt. Umso verdienstvoller ist es von Harald Schmidt, dass er in seinem neuen Buch, es ist das dritte in der Reihe der „Plochinger Meilensteine“, ihre Geschichte für die Nachwelt aufgehoben hat.