Vier Frauen haben in der Volkshochschule über Prostitution diskutiert. Die Probleme dabei beginnen bei der Wortwahl und enden beim Bundestag.

Böblingen: Marc Schieferecke (eck)

S-Mitte - Zunächst ist die Wortwahl zu klären. Die Sexarbeit ist verpönt, da „verniedlichend, Prostitution hat mit Arbeit nichts zu tun“. So sagt es Sabine Constabel, die Leiterin der städtischen Beratungsstelle für Prostituierte. Und das Prostitutionsverbot ist zu ersetzen gegen das Sexkaufverbot. Ersteres würde Frauen verbieten, sich zu prostituieren. Dies wäre ein Eingriff in die Grundrechte der Frau.

 

Zweiteres würde Männern verbieten, die Dienste der Frauen in Anspruch zu nehmen. Dies gilt als Königsweg in dieser Runde, auch wenn das Verbot sogar in Constabels Beratungsstelle, dem Café La Strada, umstritten ist und Amnesty International sich für die weltweite Legalisierung der Prostitution einsetzt. Was in Deutschland ohnehin keine Rolle spielt. Die rot-grüne Regierung hat 2002 die Sexarbeit für legal erklärt, und im Bundestag ist keine Mehrheit dafür in Sicht, sie zu verbieten. Im Gegenteil, das Verbot hat nur eine Partei im Programm: die ÖDP.

Die Volkshochschule hat eingeladen zur Podiumsdiskussion. Oben sitzen neben Constabel Veronika Kienzle, die Bezirksvorsteherin, die SWR-Redakteurin Stefanie Meinecke und ihre Kollegin Susanne Kaufmann, die moderiert. „Prostitution – (k)ein Thema in Stuttgart?“ ist die Runde überschrieben. Gemessen an der Zahl der Zuhörer ist sie eines. Unten sitzen gut 70 Besucher. Erwartet war die Hälfte.

Osteuropäerinnen arbeiten oft nicht aufs eigene Konto

„Die Szene hat sich sehr verändert“, sagt Constabel, „deutsche Frauen sind nicht mehr zu sehen.“ Das ist unstrittig. Egal ob auf dem Straßenstrich oder in den Großbordellen am Stadrand: Es sind nahezu nur junge Osteuropäerinnen, die anschaffen. Sie sind billiger und williger. Und – das ist das Kernproblem – sie arbeiten vielfach nicht für ihr eigenes Konto, sondern für das ihrer Freunde, Ehemänner oder Familien in der Heimat. Zwar ist als Zuhälterei verboten, die Huren zu zwingen, von ihrem Lohn abzugeben. Dass die Frauen für Zimmervermittlung, Werbung oder andere Dienste freiwillig zahlen oder eben Geld verschenken, kann aber niemand verbieten. Weshalb es „den Frauentypus selbstbestimmt, selbstbewusst und unbeschädigt so gut wie nicht gibt“, sagt Meinecke, „in der Altstadt muss man die Vermieter als Zuhälter klassifizieren“.

Das sieht das Gesetz anders. Das sehen auch zwei Männer im Publikum anders. Sie betreiben Bordelle im Leonhardsviertel. Ob legal oder illegal ist derzeit strittig. Bis 2014 galten ihre Häuser als geduldeter Altbestand. Inzwischen geht die Stadt gegen sie vor. Sie werden zu Wort gebeten. Was sie sagen, ist wenig überraschend: In ihren Häusern werden Frauen zu nichts gezwungen. Die Konzentration aufs Leonhardsviertel ist falsch. In ganz Stuttgart gibt es 180 zweifelsfrei illegale Bordelle. Was sich – abgesehen von Nuancen – mit der Erkenntnis der Polizei deckt.

„Mit den Bordellbetreibern ist es wie mit allem“, sagt Constabel, „es gibt bessere und schlechtere.“ Diese beiden sind ihr wohlbekannt. Man duzt sich. Was nichts daran ändert, dass sie ihnen gern die Geschäftsgrundlage entziehen würde.

Stillschweigende Vereinbarung mit Bordellbetreibern

„Für mich ist das ein Immobilienmarkt“, sagt Kienzle, im Leonhardsviertel habe das Milieu Häuser billig gekauft und mit zehnfachem Gewinn weiterverkauft. Was die kommunalpolitische Widersinnigkeit im Umgang mit der Prostitution spiegelt, denn der Verkäufer war die Stadt. Die Widersinnigkeit spiegelt sich auch im Umgang mit dem zeitweise unübersehbaren Straßenstrich. Der ist nahezu verschwunden, aber „das bedeutet ja nicht, dass die Frauen verschwunden sind, die sind jetzt in den Häusern“, sagt Meinecke. In der Tat. Die Stadt hat mit den Betreibern illegaler Bordelle eine stillschweigende Vereinbarung getroffen: Wenn sie die Frauen von der Straße holen, bleiben sie unbehelligt.

Die Widersinnigkeit spiegelt sich auch in der Bundespolitik, die zurzeit ein neues Prostitutionsgesetz berät. Die 2002 beschlossene Novelle gilt als gründlich missraten. 2015 „schien es, als gäbe es vernünftige Lösungen“, sagt Constabel, was tatsächlich beschlossen werden soll, nennt sie „einen Skandal“. Ein Mindestalter von 21 Jahren, eine Meldepflicht, eine Pflicht zur Gesundheitsuntersuchung – alles gekippt. Mit demselben Argument, mit dem das Prostitutionsverbot zum Sexkaufverbot umgetauft wird: Jedes Ge- und Verbot wäre ein Eingriff in die Grundrechte der Frau.