Die Grünen-Politiker Winfried Kretschmann und Cem Özdemir diskutieren über den Heimatbegriff. Der Ministerpräsident für kulturelle Freiheit: es soll gleichermaßen okay sein, in die Oper und zum VfB zu gehen wie im Ramadan zu fasten.

Stuttgart - In einer Zeit, in der viele Millionen Menschen auf der Flucht sind, ihre Heimat verlassen und eine neue Bleibe suchen, sucht Bündnis 90/Die Grünen nach einem verbindenden Element zwischen „uns und denen, die zu uns kommen“, sagte die Landtagsabgeordnete Muhterem Aras am Samstagabend im Hospitalhof. „Wir glauben, Heimat könnte dieses Verbindende sein.“ Was Heimat ist, darüber haben der Ministerpräsident Winfried Kretschmann und Cem Özdemir, der Bundesvorsitzende der Partei, im Gespräch mit dem Intendanten des Schauspiel Stuttgart, Armin Petras, diskutiert.

 

„Heimat ist ein vielschichtiger Begriff“, sagte Kretschmann. Für ihn als Schwabe von der Schwäbischen Alb stelle sich zum Beispiel beim Anblick von hellem Jura sofort ein Heimatgefühl ein. Ebenso könne der Begriff philosophisch mit Ernst Bloch betrachtet, aber auch als eine Rückkehr in eine Kindheit, die niemals war, gesehen werden. Nicht zuletzt sei das Recht auf Heimat als Grundrecht in der Landesverfassung verankert.

Ödzemirs Vater: Heimat ist da, wo man satt wird

„Es gibt viele Dimensionen von Heimat“, stimmte Özdemir zu. „Menschen verändern ihre Heimat fortwährend.“ Viel wichtiger als die Frage nach der kulturellen, zeitlichen, sozialen oder räumlichen Dimension sei für ihn, ob der Begriff mit dem Blick nach vorn oder nach hinten definiert werde. So entschieden sich zum Beispiel immer mehr Einwanderer der ersten Generation dafür, in Deutschland beerdigt zu werden, dem Land, wo ihre Kinder und Enkel leben, anstatt im Land ihrer Vorfahren. „Während wir abstrakt über Integration reden, setzen Menschen sie schon um“, so Özdemir, der sich selbst als anatolischen Schwaben aus Bad Urach bezeichnet. Von seinem Vater hat er noch eine ganz andere Definition von Heimat in Erinnerung: „Heimat ist nicht da, wo wir geboren werden, sondern wo wir satt werden.“

„Solch substanzielle Sorgen sind natürlich etwas ganz anderes als mein geliebter Jura“, sagte Kretschmann. Heute nach Deutschland kommenden Flüchtlingen und den bereits in Deutschland lebenden Menschen müsse die Politik zeigen, dass nicht Islamisierung anstehe, sondern es darum gehe, die Menschen mit ihrem Islam in die Verfassungsordnung zu integrieren. „Es ist erschütternd, welche Angst die Deutschen gerade vor dem Islam haben“, sagte Kretschmann und plädierte für kulturelle Freiheit, die gleichermaßen zulasse, in die Oper und zum VfB zu gehen wie im Ramadan zu fasten.