Die Zukunft des Nordbahnhofviertels und des sozialen Wohnungsbaus in Stuttgart war Thema bei einer Podiumsdiskussion mit den aussichtsreichsten OB-Kandidaten in der Nordbahnhofstraße. Dem Frust der Anwohner stellte sich einzig Sebastian Turner nicht.

S-Nord - Die Mieten im Nordbahnhofviertel steigen, und ebenso wächst die Angst der Bewohner, die eigene Wohnung nicht mehr halten zu können. Deshalb hat die Mieterinitiative LBBW-Patrizia die vier aussichtsreichsten Kandidaten auf den Posten des Oberbürgermeisters in Stuttgart eingeladen, um ein Bekenntnis zu mehr sozialem Wohnungsbau in Stuttgart und einer Erhaltungssatzung für das Nordbahnhofviertel einzufordern. Die Sorgen der Anwohner kamen bei Fritz Kuhn, Bettina Wilhelm und Hannes Rockenbauch an. Doch über die Lösungsstrategien entspann sich eine teils heftige Debatte. Sebastian Turner hatte seine Teilnahme an der Diskussion abgesagt. Für ihn stellte sich der CDU-Landtagsabgeordnete Reinhard Löffler den Fragen der Anwohner.

 

Die Anwohner befürchten, dass das Nordbahnhofviertel durch das Bahnprojekt Stuttgart 21 zu einem „Filetstück für Immobilienspekulation“ wird, wie es Günter Krappweis, der Vorsitzende der Mieterinitiative formulierte. Nach dem Verkauf der LBBW-Immobilien an das Augsburger Konsortium um die Patrizia Immobilien AG sehen sie sich rechtlich kaum geschützt. Von den Mietern der rund 1000 betroffenen Wohnungen kamen etwa 80 am Samstag ins Haus der Markusgemeinde, um die OB-Kandidaten in Augenschein zu nehmen.

Sanierungen sozialverträglich absichern

Fritz Kuhn, der Kandidat der Grünen, betonte, dass es Teil seines Programms sei, jährlich 300 sozial geförderte Wohnungen in Stuttgart zu bauen und dies nicht nur am Stadtrand. Im Rosensteinviertel beispielsweise sieht er Potenzial für die entsprechenden Investitionen. Bettina Wilhelm, die parteilose Kandidatin, die für die SPD antritt, will sich nicht nur auf den Bau von neuen Wohnungen konzentrieren. Neben 150 neuen sozial geförderten Wohnungen erachtet sie es für wichtig, energetische Sanierungen sozialverträglich abzusichern. Sie sprach sich für ein Förderprogramm aus, in dem die Modernisierungskosten, die jetzt auf die Mieter umgelegt werden dürfen, zu einem Drittel von der Stadt getragen werden. Zudem soll in Stuttgart die erhöhte Spekulationssteuer beim Weiterverkauf einer Wohnung für zehn, statt wie bisher für drei Jahre, gelten.

Hannes Rockenbauch, der Kandidat von SÖS und Linke, sprach sich wie am Vormittag im Gespräch mit der StZ, dafür aus, dass die Stadt Grundstücke in ihrem Besitz hält, und forderte, dass die Stuttgarter Wohnungs- und Städtebaugesellschaft (SWSG), eine 100-prozentige Tochter der Stadt, wieder zum Eigenbetrieb der Stadt werde. Er sieht darin eine bessere Möglichkeit, die Bautätigkeit der SWSG zu steuern. Eine Ansicht, die der CDU-Landtagsabgeordnete Löffler nicht teilt. In einem anderen Punkt war er sich hingegen mit Rockenbauch einig, und zwar darin, dass die Sozialcharta, in der den Mietern des Nordbahnhofviertels besondere Rechte zugesichert werden, eklatante Missstände aufweise. Unabhängig davon, dass sie aufgrund von kopierten Unterschriften formal nicht rechtsgültig sei, habe die grün-rote Landesregierung die Menschen hintergangen, so Löffler, in dem sie eine Klausel in der Charta belassen habe, wonach jährlich 950 Mietverhältnisse aus der Sozialcharta herausfallen dürften. Er forderte, dass die Menschen besser geschützt werden müssen. Ein Bekenntnis, dem sich OB-Kandidat Sebastian Turner per Pressemitteilung am Wochenende anschloss.

Der Vorwurf der Unredlichkeit

Den Menschen zu sagen, dass die Sozialcharta ohne Wenn und Aber nachverhandelt werden könnte, darüber empörte sich Bettina Wilhelm bereits bei der eigentlichen Debatte. „Es ist unredlich, den Menschen das vorzumachen“, griff sie Rockenbauch und Löffler gleichermaßen an. Sie versprach, sich dafür einzusetzen, die erweiterten Bedingungen der Sozialcharta, die OB Wolfgang Schuster verhandelt habe, wie sie betonte, transparent zu machen. Während sich Löffler gegen den Vorwurf der Unredlichkeit verwahrte, ging Rockenbauch zum Konter über und betonte, dass die SPD-Fraktion im Gemeinderat vielfach eine sozialere Wohnungspolitik verhindert habe. Dafür wollte sich Wilhelm wiederum nicht in Sippenhaft nehmen lassen.

Einige Mieter waren nach der Diskussion dennoch frustriert. An der Ohnmacht, die sie empfinden, änderte sich nichts. Hans-Jörg Glaser von der Mieterinitiative war da etwas optimistischer. Er zeigte sich sicher, dass die Nöte der Mieter bei Fritz Kuhn, Bettina Wilhelm und Hannes Rockenbauch angekommen waren. Dass Turner nicht persönlich in die Nordbahnhofstraße gekommen war, verwunderte ihn dagegen wenig: „Ich bedauere, dass Herr Turner uns hat links liegen lassen und sich nur auf der Halbhöhe blicken lässt.“