In einer Veranstaltung der Stuttgarter Zeitung in Kooperation mit Roland Berger und der L-Bank loten Experten die Chancen des Start-up-Standorts Baden-Württemberg aus. Viele Firmengründungen gibt es bereits – doch reicht das?

Geld/Arbeit: Daniel Gräfe (dag)

Stuttgart - Die Wirtschaftskraft der baden-württembergischen Unternehmen ist unbestritten. Doch bei den Existenzgründungen hat der Südwesten im internationalen Vergleich mit Ländern wie den USA Nachholbedarf. „Wie steht es um die Gründerszene im Land?“, fragte Joachim Dorfs, Chefredakteur der Stuttgarter Zeitung, deshalb zu Beginn der Podiumsdiskussion „Gründerland Baden-Württemberg – Spitze oder Mittelmaß?“. Als Gesprächspartner bei der von Dorfs moderierten Veranstaltung hatten sich am Mittwochabend in der Rotunde der Stuttgarter L-Bank Experten mit unterschiedlichsten Perspektiven versammelt: Ingmar Hoerr, Gründer des Tübinger Biotechnologieunternehmens Curevac; Frank Mastiaux, der Chef des Energiekonzerns EnBW; Thilo Sautter von der Beteiligungsgesellschaft Cinven; Philipp Leutiger von der Beratungsfirma Roland Berger und Axel Nawrath, Vorstandschef des baden-württembergischen Förderinstituts L-Bank. Nawrath legte bei seiner Antwort sofort den internationalen Maßstab an: „Die Gründer im Land hetzen nicht so sehr nach der Bewertung, sondern wollen das Unternehmen weiterentwickeln. Das unterscheidet die Szene ein wenig“, sagte er – und er meine das sehr positiv.

 

Teamarbeit und Mut, auszubrechen, sind dringend erforderlich

Dass Gründungen dabei nicht nur aus Garagenfirmen erwachsen könnten, betonte Mastiaux: Die EnBW greife nicht nur auf die Expertise externer Start-ups zurück, sondern fördere auch die Gründungskultur im eigenen Konzern. Dabei müsse man den Mitarbeitern klar machen, dass es in Ordnung sei, Fehler zu machen, wenn man nach neuen Geschäftsmodellen suche, sagte Mastiaux. In seinem Unternehmen gebe es viel Potenzial: „Wenn man die Leute freilässt und die Käfigtüren aufmacht, dann rennen sie auch los.“

Im Zentrum der Diskussionsrunde, die von der Stuttgarter Zeitung in Kooperation mit der L-Bank und dem Beratungsunternehmen Roland Berger veranstaltet wurde, standen die Fragen nach den Rahmenbedingungen und der Finanzierung für Existenzgründungen. Hoerr, der mit Curevac als Hoffnungsträger der Biotech-Branche gilt, betonte den „Mut auszubrechen“. Und ohne Teamarbeit sei ein langfristiger Erfolg nicht möglich: „Das Team muss in der Lage sein, manövrierbar zu sein“, sagte er. Gründen heiße auch ständige Veränderung. „Es ist eine große Kunst, damit klarzukommen.“

Hoerr räumte aber auch ein, dass sein Unternehmen ohne internationale Investoren nicht groß geworden wäre – Curevac zählt mit einer Bewertung von 1,5 Milliarden Euro zu den so genannten Einhörnern der Branche. So heißen Unternehmen, die mit mindestens einer Milliarde Dollar oder Euro bewertet werden. In anderen Ländern sind Einhörner wie Curevac wesentlich häufiger anzutreffen. „Aber ist der bodenständige Ansatz im Land vielleicht langfristig der erfolgversprechendere?“, fragte Dorfs. In den USA sei man wagemutiger und denke größer, antwortete Leutiger. Allein im Silicon Valley gebe es 50 000 bis 60 000 Firmengründungen pro Jahr. „Wir müssen mehr machen, wir müssen einen Moonshot anstreben.“ Also deutlich risikofreudiger agieren, meinte Leutiger. Einig waren sich die Teilnehmer darin, dass Start-up-Unternehmen im Südwesten stärker finanziell unterstützt werden müssten. Sautter zeigte sich zuversichtlich, Kapital nach Baden-Württemberg zu bringen. „Das Interesse, in Wachstum zu investieren, ist größer denn je.“ Der Südwesten mache sich zu klein im internationalen Vergleich: „Was wir in Baden-Württemberg haben, ist einzigartig. Ich sehe keinerlei Probleme in der Außenwirkung.“

EnBW-Chef Mastiaux plädierte dafür, dass die Existenzgründer im Südwesten ihren eigenen Weg einschlagen müssten. „Wir müssen in Baden-Württemberg eine eigene Identität finden. Man kann viel Zeit verlieren, wenn man einem vermeintlichen Vorbild wie dem Silicon Valley nacheifert“, sagte er.

Unternehmer stellen ihre Startups vor

Zum Schluss der Veranstaltung ergriff Thomas Rinn, Partner bei Roland Berger, das Wort: „Wie wird der Südwesten spitze?“, fragte er in die Runde. „Let’s make it happen!“, erwiderte Hoerr – man müsse Gründungen einfach wagen. „Die Vision ist wichtig“, sagte Dorfs und ergänzte: „Und manchmal muss man auch ein bisschen größer denken.“

Zu Beginn der Veranstaltung hatten drei Start-up-Firmen mit Kurzpräsentationen auf die Diskussion eingestimmt. Mitgründerin Teresa Beck stellte die Karlsruher Firma Go Silico vor, die Computersimulationen etwa für die Entwicklung von Arzneien anbietet. Jens Caspar von der Stuttgarter Firma „Herr Kächele – Schwäbisches für Schleckige“ berichtete, wie man handgemachte Maultaschen in die ganze Republik bringt. Christopher Essert, Gründer der gleichnamigen Firma aus Ubstadt-Weiher, präsentierte unter anderem eine Datenbrille, mit der der Träger live bei der Arbeit beobachtet und beraten werden kann.