Ostertag-Realschüler probieren sich als Poetry Slammer. Das soll ihnen den Zugang zu Lyrik erleichtern.

Leonberg - Poetry Slammer – das sind wortgewandte Köpfe, die bei einem Dichterwettstreit über Gott und die Welt plaudern – das Ganze schön pointiert, mit satirischem Charakter und am besten in Reimform. Was einen guten Wortakrobaten ausmacht, lernten jetzt Neuntklässler der Ostertag-Realschule bei einem Workshop – im Rahmen des Projekts #sprichklartext, initiiert von der KulturRegion Stuttgart und in Zusammenarbeit mit dem Amt für Kultur der Stadt Leonberg.

 

Eine Lobeshymne auf die singende Oma ist es nicht gerade, die Shota und Jasmin zu Papier bringen: „Ich weiß, du hast Freude daran, aber es macht mich einfach nicht an. Oh Mann, jetzt stimmen alle mit ein, wann können wir endlich heim?!“ Wessen Großmama dran glauben muss, ist zwar nicht ganz klar, aber das ist auch zweitrangig. Der Text steht, er ist vielleicht nicht ganz so „deep“ (engl., „tiefgründig“), wie einer der Tipps an der Tafel lautet, aber er reimt sich und die Devise „Lass es laufen, hab Spaß!“ haben die beiden Neuntklässlerinnen zweifellos beherzigt, gab es doch beim Schreiben Schenkelklopfer am Fließband.

Was einen guten Text ausmacht? „Man klopft am besten die eigenen Erfahrungen ab oder sucht nach Widersprüchen im Umfeld“, erklärt der Workshop-Leiter Timo Brunke. Er ist ein Slam Poet der ersten Generation und stand schon 1993 auf Bühnen im In- und Ausland, später gründete der Theologe den Poetry Slam in der Rosenau in Stuttgart. Inzwischen geht der 45-Jährige das Thema mehr von der Theorie an und gibt Workshops.

Guter Rhythmus ist wichtig

So wie jetzt bei den Neunern der Ostertag-Realschule. „Guter Rhythmus ist beim Vortragen wichtig, und ihr müsst mit beiden Beinen fest auf dem Boden stehen“, erklärt er. „Stellt euch vor, ihr seid Luther und sagt dem Kaiser direkt ins Gesicht: Ich widerrufe nichts!“ Martin Luther und die Reformation vor 500 Jahren ist übrigens der Aufhänger für den Workshop. „Mut, sich zu äußern – darum geht es auch beim Poetry Slam“, weist Brunke auf die Parallele hin.

Poetry Slam begann als Underground-Bewegung in den USA, heute füllen die literarischen Wettbewerbe ganze Hallen. Ging es früher aber vor allem um ernste Themen, zielen heute viele Slammer auf die Belustigung des Publikums ab. „Beim nationalen Slam in Stuttgart waren die meisten Gedichte Kabarett-Texte, das Ganze entwickelt sich immer mehr in Richtung ‚Slam Comedy’“, erzählt Brunke und wünscht sich eine größere Vielfalt.

Beim Workshop an der Realschule gibt er nicht mehr als formale Tipps. „Ein Satz muss mehrmals umgebaut werden, damit er Rhythmus hat“, sagt er. „Ihr müsst aber jetzt keine Binnenreime machen, um die Leute zu beeindrucken.“ Auch nicht die Lautstärke sei entscheidend. „Es muss nur deutlich rüberkommen, also Lippen und auch die Zunge bewegen“, sagt Brunke, der die Schüler immer wieder auf Kurs bringt.

Es geht nicht um den perfekten Text

Der eine gibt einen Wenn-Halbsatz vor, der andere schiebt eine Dann-Ergänzung nach. Dabei kommen schon mal Sachen wie etwa „Wenn ich einen Wunsch frei hätte, dann würde ich mich auf der Toilette einschließen!“ heraus, die für großes Gelächter sorgen. Zwei Texte liefert jeder Schüler ab, wie eben bei einem echten Poetry Slam, der aus einer Vor- und Finalrunde besteht. Ob man sein Stück auch vor der ganzen Klasse vortragen möchte, das überlässt Brunke den Schülern selbst.

Am Ende gehe es nicht um den perfekten Text. „Mein Ziel ist, dass sich Einzelne als Schreibende und Sprechende voll erfahren“, betont der Workshop-Leiter und spricht von einer „Persönlichkeitsbildungsmaßnahme“. Das sieht auch die Deutschlehrerin Aline Simpson ähnlich, die zu ihren Schulzeiten selbst auf der Bühne stand, weshalb sie auch Feuer und Flamme war, als sie vom Workshop erfuhr. Poetry Slam mache Lyrik für die Schüler verständlicher. „Es ist für die meisten viel cooler, als wenn ich ihnen mit Schiller komme“, sagt die Pädagogin schmunzelnd.

Das Projekt endet am 19. Oktober mit einer Abschlussveranstaltung im Theater im Spitalhof. Dort gibt es neben Fachvorträgen und einer Podiumsdiskussion mit Wortkünstlern auch eine kleine Kostprobe dessen, was im Workshop erarbeitet wurde. Vielleicht darf sich dann auch die breite Öffentlichkeit an dem Oma-Diss aus der Feder von Shota und Jasmin erfreuen.