Wenn Textkunst zur Performance und ein Gedicht zur Nummer wird, dann geht es um Poetry-Slam. Der Wortkünstler Nikita Gorbunov hat dies Schülern der Altenburgschule Bad Cannstatt beigebracht und ihnen verraten, worüber es sich am einfachsten schreibt.

Bad Cannstatt - Gebt mir 16 Zeilen vom Traurigsten, was ihr habt.“ Die Ansage von Nikita Gorbunov ist deutlich. Die Achtklässler der Altenburgschule machen sich ans Schreiben. Nicht aber, bevor hier und da ein flehentliches „Wie soll ich nur anfangen?“ zu hören ist. Vom 26. bis 28. September hat der Poetry-Slammer die Schüler unterrichtet.

 

Am zweiten Tag des Workshops lässt Gorbunov zunächst einen Beat laufen und bittet, ihm einige Wörter vorzuschlagen. Aus „Toiletten“ und „Vollkornbrötchen“ strickt der Wortkünstler flugs eine Geschichte, die in der Klett-Passage beginnt und mit dem Sieg gegen einen Drachen endet. Als nächstes spielt er einen selbstprogrammierten Rhythmus vor – es ist ein Herzschlag. Unterlegt ist er mit melancholischer Gitarrenmusik. „Im Vordergrund soll die Sprache stehen“, sagt er. Von daher „passiere“ nicht viel in dem Lied.

Einsamkeit, Traurigkeit, Hose verloren

Gorbunov fordert die Achtklässler dazu auf, Begriffe zu nennen, die ihnen beim Hören der Musik spontan einfallen. Dies klappt zuerst zögerlich, doch dann kommen immer mehr Vorschläge: Einsamkeit, gebrochene Herzen, Traurigkeit, alleine sein, jemand ist gestorben. Auch ein paar ungewöhnliche Dinge werden genannt: Hose verloren, Handyakku leer, Kommode kaputt. Aus all diesem sollen die Schüler nun etwas schreiben.

„Es muss sich nicht reimen“, sagt Gorbunov. Und weiter: Über etwas Trauriges zu schreiben, sei zehnmal so einfach wie etwas Lustiges zu dichten. „Nichts ist so einfach und unmittelbar, als zu sagen, wie es einem geht“, sagt der Poetry-Slammer. Auch die Lehrerin Jennifer Kutzer ermuntert ihre Schüler: „Schreibt einfach, denkt nicht so lange darüber nach. Schreibt über eine unerfüllte Liebe, auch wenn diese noch nie stattgefunden habt. Schreibt über Heimat, über Familie, über das, was ihr vermisst.“ Dann wird es still und die Jungen und Mädchen sitzen über ihre Blöcke gebeugt.

Das Besondere an diesem Workshop sei, dass die Schüler einen anderen Umgang mit Sprache lernten, ganz unabhängig von Regeln und Noten, sagt Kutzer. Das Projekt ist eingebettet in den Würth-Bildungspreis, für den die Altenburgschule unter dem Motto „Poetry Performance – Kultur und Ökonomie schließen sich nicht aus“ nominiert ist. Die Kick-off-Veranstaltung ist am 12. Oktober im Neuen Schloss. Im Frühjahr 2017 werden sie das Geschriebene bei einer Veranstaltung im Kursaal vortragen.

Das Geschriebene vorzutragen, ist gar nicht so einfach

Langsam füllen sich die Blätter der Schüler, hin und wieder zerknüllt einer sein Werk und will es wegwerfen. „Tut das nicht“, sagt Kutzer. Schließlich ist die Zeit rum und Gorbunov lässt einige ihr Geschriebenes vortragen während die Musik dazu läuft. Nicht jeder traut sich freilich, aber was die Jungen und Mädchen in den wenigen Minuten verfasst haben, ist erstaunlich emotional, tief gehend und ehrlich. Es geht um unerwiderte Liebe, um das Gefühl überflüssig und hilflos zu sein, um die Sehnsucht nach der Heimat und um die Schrecknisse des Kriegs in Syrien.

Angeboten wird der Workshop vom Verein Ausdrucksreich, der Wortkunst an Schulen bringt, in Zusammenarbeit mit der Stuttgarter Jugendhausgesellschaft. Er gehört zum Jugendprogramm des „Slam 2016“, der vom 2. bis 5. November in Stuttgart abgehalten wird.