Marvin Rettenmaier zählt zu den besten Pokerprofis weltweit. Strategisches Denken sei seine große Stärke, sagt der gebürtige Stuttgarter. Dieses Jahr hat der 25-Jährige schon zwei der wichtigsten Turniere gewonnen.

Familie/Bildung/Soziales: Viola Volland (vv)

Stuttgart - Zu Beginn seiner Karriere hat Marvin Rettenmaier alias Mad Marvin bei der Arbeit eine Sonnenbrille aufgesetzt. Jetzt hat er eine andere Taktik: Er schaut immer auf den gleichen Punkt auf den Tisch und verzieht keine Miene. Mit seinem Pokerface fährt der gebürtige Stuttgarter ausgesprochen gut. Marvin Rettenmaier, der im Gespräch weder verrückt noch abgehoben, sondern ganz normal wirkt, zählt zu den besten Pokerspielern der Welt. In diesem Jahr hat der 25-Jährige zwei wichtige Turniere der World Poker Tour gewonnen: im Mai in Las Vegas und im August in Zypern. Die Siege wurden in der Szene als „historisch“ bejubelt.

 

„Das war ein Riesending, gleich nachzusetzen, ein absolut tolles Gefühl“, sagt Marvin Rettenmaier am Telefon – er ist nach einem Turnier mal wieder in den USA, diesmal aber kurz vorm Abflug in den Urlaub. Rettenmaier kann sich mit einem guten Gefühl an den Strand legen. Die Siege haben ihn auf den Ranglisten des Global Poker Index kräftig nach oben katapultiert: Auf der Weltrangliste belegt er nun den vierten Rang – so gut war noch nie ein deutscher Spieler. Bei der Wertung „Player of the Year“ (Spieler des Jahres) war er sogar kurzzeitig Erster, aktuell ist er Zweiter. Hier werden alle Punkte gezählt, die bei den Turnieren 2012 erzielt wurden.

Das strategische Denken ist seine größte Stärke

In Zypern reichten ihm ein Karo Bube und eine Karo Neun auf der Hand zum Sieg. Er sei gut darin, andere Personen zu lesen, sagt Rettenmaier. Seine „größte Stärke“ sei aber das strategische Denken. Poker gilt in Deutschland dennoch als Glücksspiel (siehe Infokasten).

Für Rettenmaier ist es „ein Strategiespiel mit Glückselementen“. Auch beim Glück versucht er ein wenig nachzuhelfen. Wenn es am Pokertisch gut läuft, verhält er sich den Tag über ähnlich: versucht, das Gleiche zu essen, hört die gleiche Musik vor den Partien – in Las Vegas etwa das Lied „Young Blood“ der Post-Punk-Band The Naked and Famous.

Pokerspielen ist für Marvin Rettenmaier aber nicht nur ein Vergnügen, sondern auch Arbeit. Er saß in den vergangenen Wochen an vielen Tagen zehn Stunden und länger am Pokertisch, war erst nach 2 Uhr morgens im Bett. Das schlaucht. „Ich bin zum Glück ein Nachtmensch“, sagt er. Daher rührt auch der Spitzname „Mad Marvin“: Der sei ihm verpasst worden, weil er gut feiern könne. Jetzt habe er eine feste Freundin, da sei er „nicht mehr so mad“.

Seine Mutter verfolgt die Turniere übers Internet

Eigentlich habe er vorgehabt, „etwas Anständiges zu machen“, sagt Rettenmaier. Dass er einmal vom Pokerspielen leben würde, hätte er sich als Austauschschüler in der 11. Klasse nicht träumen lassen. Auf dem Schulhof seiner Highschool in Wisconsin spielte er seine erste Partie. Nach bestandenem Abitur am Leonberger Albert-Schweitzer-Gymnasium ging Rettenmaier nach Oestrich-Winkel im Rheingau zum Studieren: General Management und Business Law. Sein Ziel war, sich einmal selbstständig zu machen. Doch dann sei es in seinem Hobby, dem Pokerspielen, „konstant sehr gut“ gelaufen, so dass er sich nach dem Abschluss vor zwei Jahren entschied, Profi zu werden. Seine „Omi“ und seine Eltern seien zunächst besorgt gewesen. Mittlerweile seien sie aber stolz. „Meine Mutter macht bei einem wichtigen Turnier die Nacht durch und verfolgt alles online“, erzählt Rettenmaier. Auch die Oma sei mal auf einem Turnier in Berlin dabei gewesen. „Meine Familie weiß, dass ich ein recht vernünftiger Mensch bin.“

Rettenmaier erzählt von Spielern, die 10  Millionen Euro gewonnen hätten, aber bankrott seien. Zu denen zählt er nicht. 3,4 Millionen Euro hat er in den zwei Jahren als Profi gewonnen. Und wie viel hat er verloren? „Vielleicht eine knappe Million“, schätzt er. Ein „bestimmtes Budget“ bekomme er von seinem Sponsor, was darüber liege, zahle er selbst.

Pokerspieler sind in der Finanzbranche begehrt

Zukunftssorgen hat Rettenmaier keine. Selbst wenn er irgendwann nicht mehr professionell spielen sollte: bei Firmen aus der Finanzbranche seien Pokerspieler begehrt. Sie wüssten, wie man Risiken einschätzt und möglichst hohe Gewinne erzielt.

Für die nahe Zukunft hat sich Rettenmaier einiges vorgenommen: er will seine Spitzenplätze in den Rankings verteidigen und möglichst bald auch bei der World Series of Poker erfolgreich sein. Dort erhält der Turniersieger ein Armband aus Gold in Form einer Armbanduhr. 2011 hatte der Bonner Pius Heinz das Hauptturnier gewonnen. „Ich habe noch kein Armband, das ist mein großes Ziel“, sagt Rettenmaier.