Breslau ist eine der Spielstätten bei der EM 2012. In der Stadt wird gerade kräftig gebaut.

Wroclaw - Eine Hochzeitstorte ohne Sahne. Eine Hutschachtel. Die Silhouette der Jahrhunderthalle von Breslau hat schon damals für spöttische Kommentare gesorgt. Ein erstaunliches Bauwerk ist die 1913 gebaute Vielzweckhalle mit ihrer kühn konstruierten freitragenden Kuppel von 65 Meter Spannweite auf alle Fälle. 1948 haben Pablo Picasso und Max Frisch beim Friedenskongress in ihr darüber nachgedacht, wie die Welt besser werden könnte, 1997 wurde Papst Johannes Paul II. darin gefeiert.

 

Immer wieder lag die Halle aber auch im Dornröschenschlaf. Der Stadtführer Arek Cencora erinnert sich, wie er als Jugendlicher in den 80er Jahren gebibbert hatte, dass doch wenigstens 15 Leute in der Jahrhunderthalle zusammenkämen, in die 10 000 Menschen passen. „Wäre auch nur einer weniger erschienen, hätten wir den angesagten russischen Film nicht sehen können.“ Programmkino in Ostblockzeiten.

Der Veranstaltungskalender ist brechend voll

Heute rockt Joe Cocker die Halle, und der Veranstaltungskalender ist wieder voll. Der Sichtbeton, der die Zeitgenossen damals schockiert hat, ist seit der Renovierung im vergangenen Jahr wieder freigelegt. Keine Farbe, kein Ornament stört die rohe Ästhetik.

Ein paar Schritte vor die Tür, hinaus ins Grüne. Schnell liegt der Größenwahn der Jahrhunderthalle hinter und eine Grünzone mit Schauwert vor einem: Ein Hochzeitspaar posiert vor der Kamera, in der Dämmerung erstrahlen die Fontänen am See in verschiedenen Farben, und unter den begrünten Arkadengängen jagen sich Licht und Schatten.

Die Jahrhunderthalle ist nur eines von vielen Bauwerken, das in Wroclaw für Aufsehen sorgt. Wroclaw, das ist der polnische Name für das frühere Breslau. Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs wurde die Stadt an der Oder polnisch. Man kann auch sagen, wieder polnisch. Die Geschichte der Studentenstadt mit elf Universitäten und 620 000 Einwohnern ist ebenso lang wie wechselhaft. Jedenfalls: Für Bauunternehmer ist Breslau im Moment ein gutes Pflaster. 1,5 Milliarden Euro werden in den nächsten Jahren in Breslau für Großprojekte und die Verbesserung der Infrastruktur verbaut.

Die neue Konzerthalle wird 100 Millionen Euro kosten

Im Juni wird im neu erbauten Stadion um den EM-Titel gespielt: Das mit einer durchlässigen Membran umhüllte Oval hat Platz für 42 000 Zuschauer. Im nächsten Frühjahr soll die neue Konzerthalle Nationales Musikforum mit 1800 Plätzen fertig sein, ein 100-Millionen-Euro-Projekt mit einer einzigarten Akustik für ein Publikum aus ganz Europa, so Generalmusikdirektor Andrzej Kosendiak. Einer der reichsten Männer Polens, Leszek Czarnecki, setzt sich gerade mit dem Sky Tower ein Denkmal in seiner Vaterstadt: 50 Stockwerke und 212 Höhenmeter für Luxuswohnungen und Geschäfte sind im Bau. Der Blick von der Dachterrasse ist fantastisch, bis zum Riesengebirge kann man von hier oben sehen. Der Entwurf des Turms ist dagegen einfallslose Investorenarchitektur, die Umgebung trostlos. Im Gegensatz zur schmucken Altstadt mit ihren farbigen Renaissance-Fassaden und gotischen Kirchen ist das Viertel rund um den Sky Tower eine postsozialistische Einöde. Überdimensionierte Straßen schlagen Schneisen zwischen heruntergekommenen Plattenbauten. 70 Prozent der Gebäude Breslaus waren nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs zerstört, ganze Viertel nichts als Schutt.

In Breslau als Boomtown der Industrialisierung herrschte Anfang des 20. Jahrhunderts Wohnungsnot. Berühmte Architekten ihrer Zeit experimentierten mit neuen Wohnformen, manche der damals entstandenen Siedlungen, etwa von Ernst May, sind heute noch zu sehen. Zwei Jahre nach dem Bau der Weißenhofsiedlung in Stuttgart wird 1929 in Breslau das neue Bauen präsentiert: Das Musterviertel „Wuwa - Wohnung und Werkraum“ zeigt in über 30 Gebäuden, wie modernes Wohnen aussehen kann - mit Flachdach und kubischen Formen.

Breslau war eine Hochburg der klassischen Moderne

Das Wuwa-Musterviertel, ein Labor der klassischen Moderne, ist eine grüne Wohngegend östlich der Jahrhunderthalle. Nicht alle Gebäude haben die vergangenen 80 Jahre überdauert. Vor allem aber existiert keine Beschilderung, keine Infotafel klärt die Besucher von heute auf. Gut, dass es kundige Führer in Breslau wie Arek gibt. Das Flaggschiff der Wuwa, das Ledigenheim von Hans Scharoun, ist noch am einfachsten zu finden. Wie ein geschwungenes S liegt es im Park. Aus dem Wohnexperiment für Ledige und kinderlose Paare ist mittlerweile ein Hotel geworden.

In der Innenstadt sind noch weitere Meilensteine der Moderne zu besichten: etwa das Kaufhaus Petersdorff von Erich Mendelssohn, das mit seinen abgerundeten Ecken aus Glas und den langen Fensterbändern noch nach über acht Jahrzehnten Eleganz und Leichtigkeit in die Ul. Olawska ausstrahlt. Auch das Kaufhaus Wertheim, heute viel besuchtes Einkaufszentrum namens Renoma, bezeugt eindrucksvoll, dass Breslau eine Hochburg der klassischen Moderne war.

Magda Korzeniowska ist gebürtige Breslauerin, lebt heute in Berlin und hat von Hans Scharoun, Erich Mendelsohn und Co. zum ersten Mal auf Areks Tour gehört. Was möglicherweise nicht nur mit ihrer Vorliebe für Shopping, sondern auch mit der Geschichte der Stadt zu tun hat: Bis 1945 lebten 33 000 Polen in der Stadt und fünfmal so viele Deutsche. Zwei Jahre später waren bis auf 17 000 die deutschen Stadtbewohner vertrieben, die Bevölkerung bestand nunmehr aus zwangsumgesiedelten Menschen aus dem Osten, die einen Neuanfang in Wroclaw machen mussten. Magdas Großeltern kamen aus der Ukraine. Für die junge Frau bedeutet die Geschichte Breslaus jedoch keine Belastung, sondern Chance: „Ich bin nicht nur Polin, ich bin mehr. In Wroclaw leben viele Traditionen fort. “

Infos zu Breslau

Anreise
Die Lufthansa und die LOT fliegen ab München und Frankfurt in eineinhalb Stunden nach Wroclaw/Breslau.

Unterkunft
Stilvoll wohnt man im Traditionshotel Monopol gegenüber der Oper. Eine Nacht im DZ ab 60 Euro pro Person, www. hotel.com.pl. Im Hotel Tumski gegenüber der Dominsel kostet eine Nacht im DZ ab 40 Euro, Internet: www.hotel-tumski.com.pl.

Weitere Unterkünfte und Infos, auch zu Stadtführungen, über die Touristinfo, zentral am Marktplatz, Rynek 14.

Infos im Internet
www.wroclaw-info.pl, www.polen.travel

Was Sie tun und lassen sollten
Auf jeden Fall sollten Sie Erholungspausen in einem der zahlreichen Parks einplanen. Breslau ist eine grüne Stadt.
Auf keinen Fall sollten Sie mit kleinem Appetit zum Mittagessen einkehren - die Portionen sind immer üppig.

Literatur
K. Beelitz, N. Förster: Die Architektur der Moderne - Breslau/Wroclaw, Via Nova Verlag, 12,80 Euro. Die wichtigsten Infos zu allen Gebäuden, mit dabei sind auch Karten, um die Bauwerke zu finden.