Politiker sind auf das Wissen von Lobbygruppen angewiesen. Aber wenn diese in einem Schattenreich agieren, besteht die Gefahr der Kungelei. Dagegen gibt’s ein Mittel: Transparenz. Die große Koalition hinterlässt da viel Arbeit.

Berlin - Mit dem Lobbyismus ist das so eine Sache. Einerseits sind beispielsweise Bäckermeister und Dämmstoffproduzenten darauf angewiesen, dass ihre Interessen in Berlin von Verbänden gebündelt und kenntnisreich vorgetragen werden. Das ist bei Lobby-Kritikern ebenso unstrittig wie die Einschätzung, dass Politiker ohne eine solche Expertise keine fundierten Urteile fällen können. Andererseits stehen vor allem die Lobbyisten der Großindustrie im Ruf, die Politik zu manipulieren. Chronisch niedrige Wahlbeteiligungen haben auch damit zu tun, dass manche Wähler den in dieser Pauschalität unbegründeten Verdacht hegen, Abgeordnete und Minister seien eh nur willige Vollstrecker mächtiger Interessensgruppen. Organisationen wie Lobby-Control oder Transparency International fordern deshalb Transparenz. Sie verlangen ein Spiel nach klaren Regeln, um erkennen zu können, wer direkten Zugang zu den Garkammern der Macht hat – und wer nicht. Dabei folgen sie vor allem der Spur des Geldes – kein einfaches Unterfangen. Seit Langem wird kritisiert, dass bei der Parteienfinanzierung durch Unternehmen und Verbände nur direkte Spendenzuweisungen in Teilen transparent gemacht werden müssen, nicht aber das Sponsoring etwa von Parteitagen oder anderen Veranstaltungen. Die Finanzströme wurden deshalb von den Unternehmen zuletzt umgeleitet, direkt hinein ins Nebelreich des Sponsoring. Lobby-Control nennt als Beispiel den Tabakkonzern Philip Morris, der Zuwendungen des Jahres 2015 freiwillig offenlegte. Demnach habe Philip Morris der CDU 98 319 Euro zukommen lassen, davon nur noch 15 Prozent als Spenden, den Rest in Form von Sponsoring. Die große Koalition konnte sich dennoch nicht durchringen, auch das Sponsoring den Transparenzregeln zu unterwerfen.

 

Kritiker vermissen Regeln bei Verbandstätigkeiten

Etwas voran gekommen ist man in den vergangenen Jahren bei den Offenlegungspflichten der Einkünfte aus Nebentätigkeiten. Seit 2013 müssen Abgeordnete Nebeneinkünfte nicht mehr nur drei, sondern zehn Einkommenskorridoren zuordnen. Lobby-Kontrolleure haben gegen die Nebentätigkeiten auch keine prinzipiellen Einwände, weil diese die Unabhängigkeit der Volksvertreter sogar stärken können. Allerdings müsse der Grundsatz des Abgeordnetengesetzes gewahrt bleiben, wonach die Ausübung des Mandats „im Mittelpunkt der Tätigkeit“ zu stehen habe.

Besonders heikel wird es, wenn Abgeordnete weiterhin einem Verband treue Dienste leisten und dafür Geld erhalten. So ist der CDU-Politiker Rudolf Henke im Bundestag stellvertretender Vorsitzender des Gesundheitsausschusses und zugleich Vorsitzender des Ärzteverbandes Marburger Bund. Der SPD-Abgeordnete Martin Burkert ist nicht nur Vorsitzender des Verkehrsausschusses sondern auch Mitglied des geschäftsführenden Vorstands der Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG). Kritiker vermissen hier Regeln, mit denen bei Interessenkollisionen im Parlament Befangenheit festgestellt werden kann.

Jüngste Beispiele zeigen, wozu fehlende Transparenz bei der Lobbyarbeit im Ernstfall führen kann. So ist einer der größten Steuerskandale der Bundesrepublik in den Augen von Opposition und Lobby-Wächtern auch ein Ausweis für das Versagen der Kontrolle von Interessensvertretern. Im Zuge der Aufarbeitung des so genannten Cum/Ex-Skandal wurde bekannt, wie es Banken und Investoren gelang, mehr als zehn Jahre lang Steuern erstattet zu bekommen, die nie gezahlt worden sind. Die Opposition kritisierte im parlamentarischen Untersuchungsausschuss, der die Hintergründe aufdecken sollte, dass die betroffene Bankenbranche sich in diesem Zeitraum die einschlägigen Gesetze dazu in Teilen selbst schreiben konnte. So sei im Bundesfinanzministerium ein Teil der Gesetzesbegründung des Jahressteuergesetzes 2007 fast wortgleich aus einem Schreiben des Bundesverbandes deutscher Banken übernommen worden. Die Grünen kamen in ihrem Abschlussbericht zu dem Schluss, dass eben diese Passage später „am häufigsten“ genutzt worden sei, „um die Scheinlegalität von Cum/Ex aufrechtzuhalten“.

Enge Verflechtungen zwischen Politik und Autobranche

Das Justizministerium geht in dieser Hinsicht seit April 2016 mit gutem Beispiel voran, veröffentlicht immerhin alle schriftlichen Stellungnahmen von Lobby-Gruppen, die im Gesetzgebungsverfahren gewürdigt werden. Das, was Lobby-Wächter eine „legislative Fußspur“ der Verbände nennen, ist auf diese Weise durchaus zu erkennen. Allerdings ist das Ministerium die Ausnahme von der Regel. Die anderen Ressorts halten ihre Akten weiterhin geschlossen.

Besonders eng sind die Verflechtungen von Politik und Lobby im Bereich der Automobilindustrie. Das ergibt sich allein schon aus der Liste jener Männer, die von der Politik in diese Branche wechselten. Matthias Wissmann (CDU) war in den 1990er Jahren Kabinettskollege der damaligen Umweltministerin Angela Merkel, seit 2007 ist er Präsident des Verbandes der Automobilindustrie. Thomas Steg ist parteilos, steht aber als ehemaliger Vize-Regierungssprecher von Gerhard Schröder und Angela Merkel der SPD nah. Seit 2012 ist Steg Cheflobbyist von Volkswagen. Eckart von Klaeden (CDU) war unter Merkel Staatsminister im Kanzleramt, bevor er als Cheflobbyist zu Daimler wechselte. Besonders spektakulär sind in diesem Zusammenhang die Häutungen von Joachim Koschnike (CDU). Bis 2012 war er Chefstratege der CDU, danach von 2013 bis 2017 Cheflobbyist von Opel. Seit April ist er Wahlkampfmanager im Team von Angela Merkel. Allein schon wegen dieser engen Verflechtungen hegen Opposition und Lobby-Wächter den Verdacht, dass der Diesel-Skandal mit Wissen der Politik über viele Jahre vertuscht worden ist. Zumal ausweislich der Rechenschaftsberichte von 2009 bis 2015 aus der Automobilindustrie Spenden in Höhe von insgesamt 13,6 Millionen Euro an die Parteien geflossen sind.