Der Koalitionsvertrag steht. Der Politikexperte Hans-Georg Wehling glaubt trotzdem, dass es zwischen den Partnern weiter Konfliktpotenzial gibt.

Stuttgart - Der Politikexperte Hans-Georg Wehling sieht Chancen dafür, dass die grün-rote Koaliton erfolgreich sein kann. Stuttgart 21 hält er allerdings für eine Zeitbombe, bei der er nicht weiß, wie sie sich entschärfen lässt. 

 

Herr Wehling, der Wechsel beginnt, mit diesen Worten ist der Koalitionsvertrage von Grün-Rot überschrieben. Welcher Wechsel erwartet die Bürger nun?

Es ist ein sanfter Wechsel und keine völlige Umgestaltung der Politik in Baden-Württemberg. In der Atomenergie hätte aufgrund von Fukushima sicher auch die CDU umgedacht. Der Umgang mit dem Bürger wird eine zentrale Rolle spielen, das werden die Koalitionspartner konsequent durchziehen. In der Schulpolitik beispielsweise werden die Möglichkeiten zwar erweitert werden, aber sie wird nicht völlig verändert werden, dafür ist Hamburg ein warnendes Beispiel.

Das große Versprechen der neuen Regierung ist die Bürgerbeteiligung. Wie schwierig wird es, dieses Versprechen umzusetzen?

Das politische Geschäft wird sicher nicht leichter, wenn man die Bürger massiv miteinbezieht. Geht es um die Landesverfassung, wie beispielsweise bei Volksentscheiden, braucht man die CDU, denn dafür ist eine verfassungsändernde Mehrheit nötig. Auf kommunaler Ebene kann es der Gesetzgeber regeln. Der enge Kontakt zu den Bürgern dürfte allerdings bald an Grenzen stoßen. Gerade bei der Umstellung auf erneuerbaren Energien wird einiges passieren, womit die Bürger vor Ort nicht einverstanden sind. Wenn man beispielsweise an den Standort neuer Windräder denkt, an das Thema Endlager oder an Pumpspeicherwerke, um Netzschwankungen auszugleichen. Da wird sich Bürgerwiderstand regen. Die Bürger haben ja durchaus auch egoistische Interessen.

Die SPD sagt, sie habe Benzin im Blut, Kretschmann sprach davon weniger Autos zu bauen. Wie gelingt es den Parteien ihr Profil in der Koalition zu wahren?

Die SPD ist zu guten Teilen ja auch noch eine Partei der Industrie und des technischen Fortschritts. Um den Straßenbau wurde in den Koalitionsverhandlungen nicht zuletzt deshalb auch heftig gerungen. Die Grünen sind sehr viel kompromissloser in Richtung neues Umweltverständnis. Da gibt es Unterschiede zwischen den Parteien, die auch gepflegt werden und die zu Konflikten führen werden. Das typische Beispiel ist Stuttgart 21. Es gibt aber durchaus Chancen. Die Energiewende ist ein Thema, bei dem sich die Grünen erfolgreich profilieren können, ohne dass man großen Widerstand erwarten müsste. Denn auch die Unternehmen denken um. Von der unglücklichen Äußerung Kretschmanns zum Thema "weniger Autos" einmal abgesehen. Es gibt also durchaus Chancen, dass diese Koalition teilweise erfolgreich sein kann. Wie sie die Zeitbombe Stuttgart 21 entschärfen wollen, weiß ich allerdings nicht.

"Nils Schmid kann sich profiliern"

Die Aufteilung der Ministerposten zwischen den Parteien wurde nun bekannt gegeben. Wie beurteilen sie die Vergabe ?

Die Grünen wollten sicherlich manche Ministerien gar nicht haben. Beispielsweise das Innenministerium. Wenn es bei Stuttgart 21 noch einmal Komplikationen gibt, dann ist es ja ganz praktisch, wenn man nicht den Innenminister stellen muss, der ja auch der Polizeichef ist. Das hat man der SPD sicher gerne überlassen. Dass sich Nils Schmid nicht auf das Finanzministerium beschränken wollte, war klar. Nils Schmid wird sicher mehr von Wirtschaft verstehen, als die bisherigen Wirtschaftsminister. Seinem Vorgänger Ernst Pfisterer haben ja viele die Kompetenz abgesprochen. Auf dem Gebiet kann er sich also profilieren.

Und die Grünen?

Die Grünen haben etwas Probleme die richtigen Personen für die Ministerien zu finden. Beim Wissenschaftsministerium haben sie mit Theresia Bauer eine sehr kompetente Frau gefunden. Sie ist in Hochschulkreisen sehr gut gelitten. Beim Kultusministerium hätten sie es sicherlich schwerer gehabt. Die SPD ist ein Stück weit ja auch eine Partei der Grund-und Hauptschullehrer. Dass sie das Ministerium haben wollten, lag nahe. Die Themen Umwelt und Verkehr berühren den Markenkern der Grünen, und dass sie da entscheiden wollen, war auch klar.

Hintergrund

Zur Person

Hans-Georg Wehling (73) ist Honorarprofessor für Politikwissenschaften an der Universität Tübingen mit den Schwerpunkten Landeskunde, Landespolitik und Kommunalpolitik. Wehling ist Vorstandsmitglied im Europäischen Zentrum für Föderalismusforschung. Bis 2003 leitete er bei der Landeszentrale für politische Bildung die Abteilung Publikationen.