Die SPD muss dann besonders große Fehler gemacht haben, wo sie so schlecht dasteht?
Eith In Baden-Württemberg ist die SPD ins mediale Abseits geraten, weil die zentrale politische Konfliktlinie seit Stuttgart 21 zwischen Kretschmann und der CDU verläuft. Und wer medial weniger vorkommt, verliert dann bald an Aufmerksamkeit und Unterstützung. Zudem hat die SPD bundesweit kein zündendes Alleinstellungsmerkmal mehr, keinen klaren Markenkern und große Schwierigkeiten, neue Wählergruppen zu gewinnen. Drittens: Die Landesregierung hat sehr gute Zustimmungswerte. Es gibt keinerlei Anzeichen von Wechselstimmung. Dazu tragen natürlich auch die sozialdemokratischen Ministerinnen und Minister bei. In Wahlkampfzeiten wird dies aber vor allem dem Ministerpräsidenten zugeschrieben. Die SPD taucht da nicht angemessen auf.
Schmid Der Platzhirscheffekt ist unbestritten. Die SPD hat sich immer schwer getan mit der Juniorrolle. Innerhalb der Partei gibt es ja immer noch Kreise die sagen, womöglich wäre man von der CDU besser bedient worden und hätte sich da schärfer profilieren können. Die SPD hat die undankbare Aufgabe übernommen, das Modernisierungsthema Schule auf sich zu nehmen und es am Anfang an die Wand zu fahren...
Eith Aber das ist sehr beruhigt worden ...
Schmid Jetzt schon, aber da wurden viele Leute verunsichert. Die SPD hat die Opferlast für die Koalitionsleistung übernommen. Die positiven Zuschreibungen gehen an Kretschmann, die Misserfolge landen bei der SPD.
Aber haben die SPD-Minister in ihren Ämtern einen so schlechten Job gemacht?
Schmid Die SPD tickt falsch, wenn sie sagt, sie habe gute Arbeit geleistet, und das werde der Wähler auch honorieren. Es ist wie bei einer Aktie: Die wird nicht gekauft, weil sie in den zurückliegenden fünf Jahren gute Erträge gebracht hat, sondern weil man glaubt, dass sie in den nächsten fünf Jahren welche bringt. Was in der Vergangenheit geschehen ist, spielt eine gewisse Rolle, aber als Wähler bin ich strukturell unfair gegenüber erfolgreicher Arbeit, ich schaue nach vorne.
Man werde kämpfen wie die Löwen, hat Nils Schmid angekündigt.
Schmid Ich finde schon bemerkenswert wie eine erfahrene Partei wie die SPD einen Wahlkampf machen kann, der strategische Optionen nicht nutzt. Man hätte im Autoland Baden-Württemberg ein Thema finden können, mit dem man sich auch von den Grünen abheben kann. Umweltverträglichen Individualverkehr mit dem Elektroauto plus zum Beispiel. Damit kann man Daimler und die IG Metall um sich scharen und sich ohne großen Schaden gegen die Grünen profilieren. Jetzt kommt Nils Schmid kurz vor Schluss mit dem Thema Industrie 4.0 ums Eck. Das Thema ist angstbesetzt, statt das man damit Optimismus verbreitet.
Wie sieht es denn mit der Alternative Schwarz-Grün aus?
Eith Etwa zwei Drittel der CDU-Wähler finden eine schwarz-grüne Koalition gut für Baden-Württemberg. Das ist schon ungewöhnlich. Offensichtlich haben die Menschen erlebt, dass Baden-Württemberg mit einer grün-roten Landesregierung nach wie vor gut dasteht. Auch hinter dem Ministerpräsidenten ist es gelungen, die Regierungsarbeit effektiv und erfolgreich zu gestalten. Im Ergebnis gibt es keine Wechselstimmung und der Wahlausgang ist derzeit völlig offen.
Sind die Grünen wirklich die neue Baden-Württemberg-Partei?
Schmid Die Grünen sind mehr als Kretschmann. In Baden-Württemberg sind sie oft vom Fleisch der CDU. Grüne der ersten Generation sind oft Töchter oder Söhne von CDU-Leuten. Gerade im katholischen Oberschwaben und anderen ländlichen Gebieten. Dort wo der Druck der Ökonomie besonders groß ist, sich mit der Ökologie anzufreunden. Die Grünen haben dort nach Meinung vieler die intelligenteren Konzepte für die kleinen Landwirte. Man wählt dann schon aus ökonomischem Eigeninteresse heraus grün. Die andere Fraktion sitzt in den Großstädten. Für die gilt, dass sie mit allen gesellschaftlichen Modernisierungsthemen unterwegs ist. Und es ist die Kunst der Grünen in Baden-Württemberg, dass sie es als erste schaffen, teilweise sogar besser als die CDU, das flache konservative Land mit der modernen Großstadtpartei zu versöhnen. Deshalb würde ich schon sagen, sie sind eine Baden-Württemberg-Partei.
Auf allen Ebenen?
Schmid Die Grünen haben auch geschafft, eine relativ beachtliche Zahl von Bürgermeistern zu stellen, was der Seriosität der Partei gut tut. Es ist in keiner Kommune eine Drama, wenn ein Grüner gewinnt.
Wenn man Sie so hört, muss man denken, Baden-Württemberg wäre wirklich das Musterland für Schwarz-Grün.
Eith Schauen Sie Ihre aktuellen Umfragen genau an. Sie werden jede Menge Belege dafür finden. Zudem, Kretschmann stand als Fraktionsvorsitzender der Grünen schon immer für eine schwarz-grüne Option.
Schmid Es war der Betriebsunfall der CDU, dass sie 2011 so viel verloren hat, dass diese Option weg war. Mit Oettinger wäre das anders gelaufen.
Eith Es gab schon vor 2011 eine wachsende Distanz zwischen den CDU-Wählern und ihrer Landesregierung. Sie wurde als zu weit entfernt von den Bürgern wahrgenommen. Mappus hat diesem Gefühl dann ein Gesicht gegeben.
Tja, und wie geht die Wahl denn nun aus?
Schmid Es ist alles drin ...
Eith Alles ist möglich ...
Schmid Die Unterschiede bei den Umfragen liegen noch im Bereich des Zufälligen ...
Eith Die beiden großen Parteien liegen nur drei Prozentpunkte auseinander. Die statistischen Vertrauensintervalle überlappen sich bereits. Die Grünen können am Wahlabend durchaus auch vor der CDU liegen.
Was wäre besser fürs Land, eine Zweier- oder eine Dreierkoalition?
Schmid Das ist keine Grundsatzfrage. Es geht nur darum, ob die Regierung funktionsfähig ist. Das kann in einer Zweierkoalition nicht klappen und in einer Dreierkonstellation gut gehen.
Eith Aus meiner Sicht sind zwei Dinge notwendig, unabhängig von Zweier- oder Dreierkoalition. Zuerst müssen die Koalitionsverhandlungen genau und detailliert geführt werden. Die politischen Schnittmengen müssen gut ausgelotet werden, dass man einen belastbaren Koalitionsvertrag bekommt. Dann kommt es darauf an, dass die handelnden Akteure auch persönlich einigermaßen gut miteinander können; dass sie sich gegenseitig vertrauen können.
Wenn es eine Dreierbeziehungen werden müsste – wer verliert zuerst die Nerven? Geht die FDP zu Grün-Rot oder die SPD zu Schwarz-Gelb?
Schmid Für mich ist die FDP im Moment die beweglichste aller Parteien...
Eith Das glaube ich auch ...
Schmid Für die FDP wäre die Prämie einer Regierungsbeteiligung am höchsten. Es kommt auf die Konstellation an. Wenn die Grünen vor der CDU liegen, kommen die jüngeren, offeneren FDPler zum Zuge. Wenn die CDU vorne liegt, spielt die FDP sicher die klassisch bürgerliche Rolle.
Eith Dabei müsste aber wiederum die SPD mitmachen. Ich glaube auch, dass die FDP sehr ernsthaft eine Regierungsbeteiligung prüfen wird – auch bei Grün-Rot-Gelb. Was wäre denn die Alternative? Sie wäre die kleinste Oppositionspartei, immer hinter der AfD. Nach den aktuellen Zahlen gilt: SPD und FDP könnten zusammen entweder Herrn Wolf oder aber Herrn Kretschmann zum Ministerpräsidenten wählen. Andererseits könnten CDU und Grüne aber auch gemeinsam regieren und die beiden anderen Parteien auf die Oppositionsbänke schicken. Die Verhandlungssituation ist also völlig offen.
 
Das Gespräch führte Thomas Breining.