Im Wahlkampf zählt der Augenblick. Die StZ hat die Politologen Ulrich Eith und Josef Schmid befragt, warum die Landtagswahl diesmal so spannend ist. Sie sagen: „Alles ist möglich.“

Stuttgart - – „Das Rennen ist völlig offen,“ meinen die Politikwissenschaftler Ulrich Eith aus Freiburg und Josef Schmid aus Tübingen.

 

Die StZ hat sie zum landespolitischen Disput eingeladen. So viel Dissens war aber gar nicht.

Herr Eith, Herr Schmid, allen Prognosen zufolge wird die AfD in den Landtag kommen. Erleben wir einen Rechtsruck, wie ihn etwa Frankreich mit dem Front National erlebt?
Schmid Wir hatten hier immer einen Bodensatz an Milieus, die anfällig waren für Populismus. Entscheidend ist, ob sie latent bleiben oder manifest werden. Letzteres passiert gerade beim Flüchtlingsthema. Dahinter steckt viel Unzufriedenheit mit der Unfähigkeit der Politik, überzeugende Problemlösungen anzubieten. Es geht um einen Denkzettel für die Etablierten.
Eith Ich sehe das ähnlich. Baden-Württemberg hat ein Wählerpotenzial von über zehn Prozent für rechtspopulistischen Protest. Wir haben aber noch keine verfestigte rechtspopulistische Partei. Die AfD ist bislang Sammelbecken für unterschiedlichen Protest. Noch ist völlig offen, ob es ihr gelingen wird, umzuschalten von der Protestpartei zu einer stabilen Partei mit politischen Alternativen, die auch umsetzbar sind. Das hat bisher noch keine Protestpartei geschafft. Einzige Ausnahme: Die Grünen sind in den 1980er Jahren auch als Protestpartei gestartet.
Warum dann so viel Aufregung?
Eith Die CDU steckt in Baden-Württemberg in einem Dilemma. Auf der einen Seite verliert sie Teile ihrer potenziellen Wähler an die AfD. Auf der anderen Seite steht sie in der Gefahr, bei einem an Seehofer angelegten rigideren flüchtlingspolitischen Kurs Wähler zu verlieren, die – etwa aus einer Bindung an die Kirchen heraus – nach wie vor den Merkel-Kurs in der Flüchtlingsfrage für richtig halten und eine nationale Abschottung ablehnen. Die baden-württembergische CDU ist in dieser Frage für viele nicht eindeutig genug positioniert. Nicht wenige überlegen derzeit, ob für sie bei dieser Wahl der Grüne Kretschmann die Alternative ist.
Ist die AfD für die CDU eine Gefahr?
Eith Längerfristig sicher nicht als Protestpartei mit solch rechtspopulistischen Teilen. Da scheuen bürgerliche Wähler eher zurück. Zum Vergleich: Schröder hat als Kanzler einen wirtschaftspolitischen Modernisierungskurs vollzogen, den Teile der traditionellen SPD-Klientel ablehnten. Lafontaine hat diese Gruppen aus der SPD herausgeführt. Frau Merkel vollzieht einen gesellschaftspolitischen Modernisierungskurs. Kleinkinderbetreuung, Abschaffung der Wehrpflicht, Atomausstieg und jetzt noch Einwanderung – das sind Stichworte, die man in den 80er-Jahren von den Grünen gehört hat und die damals außerhalb des gesellschaftlichen Mainstreams lagen. Heute sind sie Politik der christdemokratischen Kanzlerin und in konservativen CDU-Wählerkreisen gibt es massive Vorbehalte. Bislang gibt es keinen konservativen Lafontaine, der eine Spaltung herbeiführen kann. Auch die AfD wird diese Rolle nicht ausfüllen können.
Halten die Parteien mit der gesellschaftlichen Veränderung nicht mit?
Eith Gesellschaften und Problemlagen verändern sich über die Zeit. Innerhalb der Parteien jedoch gibt es Wählergruppen, die bei ihren alten Selbstvergewisserungen stehen bleiben, sich mit den neuen Antworten schwer tun. Die Parteien haben große Probleme, ihre Weiterentwicklung erfolgreich hin zu bekommen.
Schmid Es ist das Versagen der Parteien, dass es seit 20 Jahren keine vernünftige Grundsatzdiskussion mehr gibt. Beide Großparteien waren zu feige, eine grundsätzliche Debatte zu machen. Sie erhalten den Status Quo programmatisch leicht modifiziert aufrecht und halten an der Regierung die Truppe mit Sachzwangargumenten beieinander. Das können sie aber nur befristet machen und es holt sie immer wieder ein.

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