Bundestagskandidaten aller Parteien diskutieren über Flüchtlingspolitik – nur die AfD ist nicht eingeladen. Nicht nur das Thema, auch der Tenor ist vorgegeben.

Böblingen: Marc Schieferecke (eck)

Böblingen - Wahlkampf im Ökumenischen Gemeindezentrum klingt nicht nach einer Massenveranstaltung, und das ist es auch nicht. Aber immerhin sitzen um die 50 Wähler im Gemeindesaal, um zu hören, was ihre Bundestagskandidaten zu sagen haben. Zwei fehlen allerdings:  Der Linke Richard Pitterle lässt sich von Jessica Tatti aus Reutlingen vertreten, und der AfD-Kandidat Markus Frohnmaier wird nicht einmal erwähnt. Die Veranstalter dieser Podiumsrunde sind der örtliche Freundeskreis Flüchtlinge und der Flüchtlingsrat Baden-Württemberg. Womit nicht nur das Thema vorgegeben ist, sondern auch der Tenor.

 

Nicht nur deswegen bleibt der Spannungsbogen der Debatte flach. Im Grunde sind alle einig: Deutschland hat keine verdammte, sondern eine verfassungsrechtliche Pflicht, Verfolgte aufzunehmen. Und wenn acht Menschen auf einem Podium sitzen, kann ein Thema schwerlich in seiner tatsächlichen Tiefe ausgelotet werden. Das Gesagte „finde ich gut“, sagt Julian Staiger vom Flüchtlingsrat gleichsam als Schlusswort. „Ich finde immer gut, was Politiker sagen.“ Allerdings entstehe beim Versuch, Ankündigungen und Taten in Deckung zu bringen, allzu oft ein verschwommenes Zerrbild.

Das Publikum formuliert seine Meinung gelegentlich harsch

Das Publikum formuliert diese Meinung gelegentlich harscher, manchmal laut und am Ende schriftlich auf Zetteln. Ein daumendicker Stapel Papier ist so zusammengekommen. Letztlich bleiben drei Fragen, die zu beantworten sind, denn zugelassen waren nur tatsächliche Fragen, keine persönlichen Erklärungen zur Politik.

Ein Publikums-Favorit ist nicht auszumachen. Alle bekommen Beifall. Alle bekommen gerauntes Murren. Einer bekommt laute Widerrede. Das ist der Christdemokrat Marc Biadacz, weil er die aktuellen Einschränkungen des Asylrechts verteidigt. Die sind die Festlegung auf sogenannte sichere Herkunftsländer und insbesondere die Praxis, massenhaft befristeten Aufenthalt zu gewähren, den subsidiären Schutz statt der tatsächlichen Asylberechtigung. Der Status gilt zunächst für ein Jahr und kann verlängert werden. Insbesondere verhindert er den Familiennachzug. Die Entscheidungen seien richtig gewesen, meint Biadacz. „2015 und 2016 hatten wir Zahlen, die uns überfordert haben, auch die ehrenamtlichen Helfer“, sagt Biadacz.

Die Favoritin der Herzen müsste in dieser Runde Jasmina Hostert sein. Die Kandidatin der SPD ist in ihrer Kindheit selbst als Flüchtling nach Deutschland gekommen. Ihre Familie floh während des Bürgerkriegs im ehemaligen Jugoslawien aus Sarajewo. Ihr persönliches Schicksal prägt auch Hosterts politische Ansichten. „Vieles, was die SPD in der Flüchtlingspolitik mitträgt, entspricht nicht meiner Meinung“, sagt sie. Gemeint sind sämtliche aktuellen Verschärfungen des Asylrechts.

Über reale Politik wird nicht auf Podien entschieden

Allerdings wird über reale Politik nicht auf Podien entschieden und schon gar nicht in Wahlkampfzeiten, sondern sie ist ein Ringen unterschiedlichster Positionen um Koalitionen. Florian Toncar deutet dies nur an, aber er hat es erlebt. Der Liberale saß als einziger im Saal schon einmal im Bundestag, als Sprecher für Menschenrechte der FDP-Fraktion. Über die Flüchtlingspolitik ringt er gleichsam mit sich selbst. „Ich bin bei dem Thema innerlich etwas zerrissen“, sagt Toncar. „Natürlich ist ein Bleiberecht ohne Familie nichts wert, aber Zahlen wie 2015 und 2016 verkraftet Deutschland nicht noch einmal.“

Diesen Satz hält von den Bundestagskandidaten nur einer für grundfalsch. Auf Angela Merkels „wir schaffen das“, waren „wir einfach nicht vorbereitet“, sagt der Grüne Tobias Bacherle. Er hält auch die Abschiebung krimineller Asylbewerber für unvereinbar mit deutschem Recht. Exporte müssten so beschränkt werden, dass die Wirtschaft der Zielländer nicht leide, der Klimawandel als künftige Fluchtursache gestoppt werden. Das sind Bacherles Kernforderungen an die Flüchtlingspolitik. Die unterschreiben aber auch die Kandidaten der anderen Parteien. Der neue Bundestag wird am 24. September gewählt.