Im Interview sagt der Politologe Weidenfeld, warum die Spaltung der Gesellschaft in den USA mit der Einigung im Schuldenstreit nicht beseitigt ist.

Stuttgart - Die Spaltung der Gesellschaft in den USA ist mit der Einigung im Schuldenstreit nicht beseitigt, behauptet der Politologe Werner Weidenfeld.

 

Herr Professor Weidenfeld, wie bewerten Sie die Einigung im US-Schuldenstreit?

Das ist nach dem klassischen Drehbuch eines Machtspiels gelaufen. Es gab in letzter Minute einen Kompromiss, der keinen der Beteiligten zum eindeutigen Gewinner oder Verlierer macht. Präsident Obama konnte zumindest erreichen, dass die Schuldengrenze vor der Wahl Ende 2012 nicht mehr angefasst werden muss.

Insgesamt sollen bis zu 2,5 Billionen Dollar gespart werden. Ist das eine ausreichende Summe?

Ich reduziere das nicht auf eine haushaltstechnische Frage. Der politische Konflikt dreht sich weniger um die Summe als den Weg, wie diese erreicht werden soll. Die beiden Kräfte haben unterschiedliche Gesellschaftsvorstellungen: Die Republikaner wollen weniger Staat und daher Steuersenkungen. Die Demokraten sind für eine sozial unterfütterte Gesellschaft. Wenn man dafür mehr Geld braucht, soll es zu Steuererhöhungen vor allem bei den Reichen kommen. Es ist wie beim Euro: da geht es auch um Finanzen, aber vor allem um ein Politikum.

Wenn Sie den Umgang mit den Haushaltsproblemen in der EU und den USA vergleichen: erschreckt es Sie, wie wenig handlungsfähig die Regierungen sind?

Ich war in beiden Fällen überzeugt, dass es eine Einigung gibt. Beide Lösungen haben aber nur Zeit verschafft, mehr nicht. In Europa wird ein echter Rahmen für die Währungsunion gesucht und gebraucht, darum wird weitergerungen. In den USA prallen unterschiedliche Gesellschaftsperspektiven heftiger aufeinander als früher. Die wirtschaftliche und damit gesellschaftliche Lage hat sich verschärft. Die USA sind nicht mehr konsensfähig.

Und dieser Konflikt wird weiterkochen, wenn ein Ausschuss bis Ende November über 1,5 Billionen Dollar Einsparungen beraten soll?

Genau, da geht der Machtkampf in die zweite Runde. Die große Explosion ist vermieden worden, das gesellschaftliche Problem aber nicht gelöst. Denn es gibt keinen Konsens, was man in der neuen Runde tun soll. Obama hofft, Steuererhöhungen zu erreichen. Die Republikaner sind strikt dagegen.

Was steckt hinter der Kritik der Republikaner?

An den Finanzmärkten wird immer als Argument für Staatsanleihen aufgeführt, dass Staaten im Zweifelsfall die Steuern erhöhen, um die Schulden zu begleichen. Ginge das in den USA?

Nein, in der gegenwärtigen Machtlage nicht.

Was steckt hinter der Kritik der Republikaner?

Die Partei merkt, dass sie langfristig droht Macht zu verlieren. Denn die Republikaner hängen an einer gesellschaftlichen Konstellation, die ein Stück weit Vergangenheit ist. Durch mehr Einwanderer, Vielsprachigkeit und den Bedeutungsverlust der Familie verlieren sie Rückhalt. Deswegen sind sie so verbissen im Kampf um die Verantwortung ab 2013.

Hat sich denn ein aussichtsreicher Gegenkandidat Obamas für die Präsidentschaftswahl gezeigt?

Nein, es ist bisher keine charismatisch überragende Figur von den Republikanern aufgeboten worden.

Es bleibt wahrscheinlich, dass die USA die beste Bonitätsnote "AAA" der Ratingagenturen verlieren. Welche Auswirkungen hätte das?

Das wäre schon ein Schlag in die Magengrube der US-Gesellschaft. Auch der Rat Chinas, dass sich die USA in der Schuldenfrage vernünftig verhalten sollten, ist sensibel aufgenommen worden.

Der USA-Experte

Koordinator: Professor Werner Weidenfeld ist Direktor des Zentrums für angewandte Politikforschung an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Er beschäftigt sich mit europäischer und auch amerikanischer Politik. Der 64-Jährige war von 1987 bis 1999 Koordinator der Bundesregierung für die deutsch-amerikanischen Beziehungen.