Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) will möglichst unverstellt reden. Das ist schön, verwickelt ihn aber mitunter in Probleme.

Stuttgart - Es sieht nie elegant aus, wenn sich ein Ministerpräsident nachträglich korrigieren muss. Oder wenn er sich gezwungen sieht, die eigene Wortwahl im Nachhinein zu präzisieren – so wie dies am Dienstag Winfried Kretschmann (Grüne) widerfuhr, der in der Pressekonferenz nach der turnusmäßigen Sitzung des Landeskabinetts den Kostendeckel für Stuttgart 21 erst sanft hob, um ihn wenige Stunden später wieder krachend fallen zu lassen. Ministerpräsidenten korrigieren gemeinhin andere, nicht sich selbst. Ihre Worte sind in Stein gemeißelt. So weit die Theorie.

 

Die Praxis des Regierungschefs Kretschmann aber ist eine andere. Nicht immer, aber doch öfter, als ihm und seinen Leuten lieb ist. Am Dienstag zum Beispiel wurde Kretschmann gelöchert, wie er denn mit den Mehrkosten für den Flughafenbahnhof umzugehen gedenke. Die Frage hatte es in sich. Schließlich sprengen die nach dem Filderdialog geänderten Pläne den Kostendeckel für das Gesamtprojekt Stuttgart 21, der bei 4,5 Milliarden Euro liegt. Dabei hatten die Grünen die Bürgerbeteiligung auf den Fildern überhaupt erst angestoßen. Kann man dann einfach sagen: Liebe Bürger, ihr habt euch umsonst bemüht, denn wir haben kein Geld ? Kann man nicht. Also gab Kretschmann in der Pressekonferenz zu verstehen, dass er bei den Kosten mit sich reden lasse. Es handle sich um eine Frage der Größenordnung. Nach diversen Intervention stellte der Ministerpräsident wenig später klar: „Der Kostendeckel gilt.“ Dem SWR sagte Kretschmann, er habe an eine Größenordnung von 20 Millionen Euro extra gedacht, nicht aber an die 224 Millionen Euro, welche die Bahn für nötig erachtet. Ein klassischer Rückzieher.

Ausbruch aus dem Korsett der Sprachregelungen

Kretschmann besitzt inzwischen eine gewisse Übung darin, mit Äußerungen vor der Landespresse Unruhe in den eigenen Reihen auszulösen. Das war im März so, als er auf hartnäckiges Nachfragen hin erstmals einräumte, dass das Land nach Jahren der Nettonullverschuldung wieder an den Kreditmarkt gehen werde. Das wiederholte sich vor den Sommerferien, als er vorzeitig und ohne Vorwarnung ausplauderte, dass bis zum Jahr 2020 etwa 11 600 Lehrerstellen gestrichen werden. Die sozialdemokratischen Emissäre in der Pressekonferenz kippten vor Schreck schier von ihren Stühlen, steht doch das Kultusministerium unter SPD-Führung.

Zwar werden auch und gerade in der grün-roten Ära vor der wöchentlichen Regierungspressekonferenz Sprachregelungen vereinbart, die verschämt in das neudeutsche „Wording“ umgetauft wurden. Bei besonders komplizierten oder ungewöhnlichen Themen werden dem Ministerpräsidenten auch Vermerke aufgeschrieben, von denen er bei Bedarf unauffällig ablesen kann. Aber Kretschmann bricht mitunter nach der zweiten oder dritten Nachfrage aus diesem Korsett aus. „Ich versuche mich einerseits zu kontrollieren und andererseits eben gerade nicht mit Phrasen zu langweilen, wenn nicht sogar alle abzutörnen“, sagt Kretschmann zu diesem Themenkreis in dem eben im Herderverlag erschienen Gesprächsband „Reiner Wein“ des Journalistenpaars Johanna Henkel-Waidhofer und Peter Henkel.

Fragen zur Unzeit

Erwin Teufel hatte es in seiner Regierungszeit einfach gemacht. „Diese Frage kommt zu Unzeit“, beschied er regelmäßig unliebsame Auskunftsbegehrer – das ultimative Signal, dass er nun zu einem bestimmten Problemfeld gar nichts mehr sagen mochte. Günther Oettinger versuchte es in solchen Fällen gern mit einem Witz. Was oft gelang. Manchmal wurde er auch hektisch und war dann ohnehin nicht mehr leicht zu verstehen. Edith Sitzmann wiederum, die Fraktionschefin der Grünen im Landtag, zeigt wenig Skrupel, auch auf die dritte Nachfrage beinhart mit den immer selben Plattitüden zu antworten – sogar auf die Gefahr hin, dass ihr Publikum anschließend die Frage ventiliert, ob sie nur nichts sagen wollte oder womöglich nichts Substanzielles zu sagen vermochte. Kretschmann hingegen ist so etwas eher peinlich. Er nimmt sein Gegenüber ernst – und er achtet auf seinen Ruf des etwas anderen Politikers. Wenn er mitkriegt, dass ihm die Journalisten etwas nicht abnehmen oder seine Äußerungen als trivial empfinden, dann legt er schon mal nach – mit den bekannten Folgen.

In dem bereits zitierten Langinterview schiebt der Regierungschef noch die Bemerkung hinterher: „Ich hadere mit dieser Runde (der Landespressekonferenz, die Red.) etwas, nicht weil ich mich nicht befragen lassen möchte, sondern weil ich manchmal das Gefühl habe, dass so lange gebohrt wird, bis mir etwas Skandalisierendes entlockt wird.“ Aber so ist das nun mal, die Zeiten der amtlichen Nachrichtenzuteilung sind erfreulicherweise vorbei. Politiker wollen ihr segensreiches Wirken weit verbreiten, die Widersprüche ihrer Politik jedoch möglichst verdecken, Journalisten ist daran gelegen, diese Widersprüche aufzuzeigen. Das Verhältnis beider Seiten ist notwendig instrumentell. Daraus können dann „sterile Aufgeregtheiten“ entstehen, wie Kretschmann das unter Berufung auf Max Weber und Georg Simmel grantelt. Oder eben auch interessante Einblicke ins Innenleben der Politik.