Der „Stern“ zeigt im Internet Videos vom Polizeieinsatz am 30. September 2010, dem „Schwarzen Donnerstag“. Sie sollen so noch nicht öffentlich zu sehen gewesen sein – und ziehen schon eine erste Anzeige nach sich.

Lokales: Christine Bilger (ceb)

Stuttgart - Kurz vor dem fünften Jahrestag des „Schwarzen Donnerstags“ wird die Polizei mit neuen Vorwürfen konfrontiert. Das Magazin „Stern“ hat Videos veröffentlicht, die Beamte beim Einsatz am 30. September 2010 gegen Stuttgart-21-Gegner im Schlossgarten zeigt. Es handele sich dabei um interne Aufnahmen der Polizei. Der ehemalige Richter Dieter Reicherter hat wegen einer der Aufnahmen Anzeige gegen unbekannte Polizisten wegen der Verbrechensverabredung gestellt. In einem Video, das Beamte im Einsatz am „Schwarzen Donnerstag“ zeigen soll, ist zu hören, wie ein Polizist zum anderen sagt, er solle Pfefferspray auf den Handschuh geben und es Demonstranten ins Gesicht reiben. Der andere Film zeigt, wie aus einem Wasserwerfer offenbar absichtlich auf die Beine einer älteren Frau gezielt wird.

 

An jenem 30. September sollte die Polizei einen Bereich im Mittleren Schlossgarten absperren, in dem die Bahn Bäume für die Einrichtung der Baustelle des umstrittenen Projekts Stuttgart 21 fällen wollte. Der Einsatz lief aus dem Ruder. Tausende Demonstranten kamen in den Park, weil sie die Baumfällungen verhindern wollten. Die Polizei drängte sie mit Wasserwerfern, Schlagstöcken und Pfefferspray zurück. Es gab viele Verletzte unter den S-21-Gegnern.

Ehemaliger Richter zeigt Polizisten an

Die nun veröffentlichten Aufnahmen sind laut „Stern“ auf dessen Internetseite zum ersten Mal öffentlich zu sehen. Einige Einstellungen ähneln Aufnahmen, die im vergangenen Jahren als Beweismittel im sogenannten Wasserwerferprozess gezeigt wurden. Das Verfahren gegen zwei Polizeiführer wurde eingestellt.

Der Film mit den Beamten, die zu Fuß im Park unterwegs sind, könnte der brisantere sein. Denn die darin dokumentierte Verwendung des Reizsprays verstößt klar gegen die Dienstvorschriften der Polizei. Der zweite, der den gezielten Wasserstoß auf eine Frau dokumentiert, ist aus einer Perspektive gedreht, die in den als Beweismittel im Landgerichtsverfahren verwendeten Aufnahmen häufig zu sehen war: aus der Kabine eines Wasserwerfers. Gegen die Rohrführer und Kommandanten wurden Strafbefehle verhängt – wegen Körperverletzung im Amt. Neu ist in diesem Fall, dass ein Kollege die konkrete Anweisung gab, eine ältere Frau mit dem Wasserstrahl umzustoßen, was dann auch geschieht.

Die Staatsanwaltschaft prüft den Sachverhalt noch

Im Wasserwerferprozess, der im vergangenen Dezember eingestellt worden war, wurden die nun veröffentlichten Filme nicht als Beweismittel gezeigt. Ob sie in den Akten waren, die rund 150 Stunden Videomaterial umfassten, lässt die Staatsanwaltschaft nun klären. „Wir prüfen den Sachverhalt“, sagte deren Pressesprecher. Die Videos würden ausgewertet, dabei geht es auch um die Frage, ob sie bei der Sichtung von Beweismitteln für den Prozess im vergangenen Jahr schon aufgefallen sein könnten. Wenn sich ein begründeter Anfangsverdacht ergibt, werde ein Ermittlungsverfahren eingeleitet. Wenn sie in den Akten waren, stellt sich die Frage, warum damals kein Verfahren eingeleitet wurde. Wenn sie nicht darin waren, dann muss geklärt werden, warum die Polizei sie nicht für das Ermittlungsverfahren zur Verfügung gestellt hat.