Jedem Landrat seinen Polizeidirektor – mit diesem Grundsatz machte Innenminister Reinhold Gall Schluss. Der Sozialdemokrat zog aus dem Polizeiapparat eine ganze Führungsebene heraus.

Stuttgart - Etwas unglücklich sei es schon, so ließ sich Joachim Jens Hesse vernehmen, dass sein als „Strukturanalyse“ vorgestelltes Gutachten zur Polizeireform in Baden-Württemberg nun in den Wahlkampf hineinfalle. Aber das sei keine Absicht gewesen, und schon gar nicht auf Wunsch des Innenministers erfolgt. „Das lag – krankheitshalber – an mir“, sagte der an der Freien Universität Berlin lehrende Staats- und Verwaltungswissenschaftler.

 

Wie auch immer. Jedenfalls kam Hesse, der als einer der besten professoralen Kenner der deutschen Verwaltungsstrukturen gilt und sich bereits mehrfach mit der baden-württembergischen Verwaltung beschäftigte, mit einer 250-seitigen frohen Botschaft nach Stuttgart. Froh stimmte das Gutachten vor allem Innenminister Reinhold Gall (SPD), dessen 2011 auf den Weg gebrachte, groß angelegte Polizeireform überaus positiv bewertet wird. Der Befund im Gutachten: Die Reform sei fachlich geboten, klug und überzeugend sowie polizeiintern beispielhaft umgesetzt. Die Polizei in Baden-Württemberg könne für sich eine bundesweite Führungsrolle beanspruchen.

Kein Abbau der Polizeipräsenz in der Fläche

Insbesondere trat Hess offen dem Lieblingsargument der Opposition entgegen. Nach Lesart von CDU und FDP handelt es sich bei dem Projekt um ein abgehobenes Bürokratenkonstrukt, das die Polizeipräsenz vor Ort schwäche. „Falsch“, kontert Hesse. In den Leitsätzen zu seiner Expertise schreibt er, die durch die Auflösung von „Zwischenebenen“ frei werdende Personalreserve sei, wie vorgesehen, zur Stärkung der polizeilichen Basiseinheiten, also der Reviere, eingesetzt worden.

„Das Argument der politischen Opposition, nach dem die Reform einen ‚Abbau der Polizeipräsenz in der Fläche bedeute, konnte so nicht mehr aufrecht erhalten werden“, schreibt Hesse. Er verweist auch auf die bei den Regionalpräsidien eingerichteten Kriminaldauerdienste, spezialisierte Verkehrsunfallaufnahmen und Führungs- und Lagezentren, die dazu da seien, „eine flächendeckende Verfügbarkeit von Spezialwissen zu garantieren.“ Im Ergebnis stelle die Reform eine Straffung der Polizeiorganisation dar, „die einen erkennbaren Kapazitäts- und Kompetenzgewinn auf der Führungsebene mit einer Stärkung der Basiseinheiten verbindet“.

Kein Wunder, dass Innenminister Gall bei solchen Formulierungen, mögen sie auch spröde daherkommen, das Herz höher schlug. Stolz verwies er darauf, dass er die Reform als „fachlich notwendig“, nicht in politischer Absicht, aufs Gleis gesetzt habe. Nach Angaben des Innenministeriums sieht der durch die Reform ausgelöste Stellenzuwachs für die 146 Polizeireviere im Land so aus: alle Reviere erhielten mindestens zwei neue Stellen, 28 Reviere bekamen drei Stellen, 16 Reviere vier Stellen und sechs Reviere fünf Stellen. Mit Rücksicht auf baldige Pensionierung und als Nachwirkung des Interessenbekundungsverfahrens seien aber noch nicht alle Plätze so besetzt, wie sie sein sollten. Jedoch fehlten auf den Revieren zu jeder Zeit Polizisten – etwa wegen der Familienphase, des Studiums an der Hochschule für Polizei, wegen Lehrgängen oder Abordnungen.

Rülke rügt „Gefälligkeitsgutachten“

Der Verwaltungsexperte Hesse lobte auch das breit angelegte Interessenbekundungsverfahren, dass es den Polizisten in Baden-Württemberg erlaubte, sich im Rahmen der Reform auf eine andere Stelle zu bewerben. Dabei gelang es laut Hesse, „die in Teilen schwierigen Umsetzungsprozesse für das Personal weitgehend einvernehmlich zu gestalten.“

Einige Defizite der Reform diagnostiziert Hesse aber dann doch noch. So sieht er ein „Häuptling-Indianer-Problem“, das aus dem Wegfall der Mittelebene – der Polizeidirektionen – entstanden sei. Die Beamten an Basis fühlten sich im Vergleich zu den Führungsapparaten in den Polizeipräsidien mitunter als „Polizisten zweiter Klasse“. Außerdem beklagt er Probleme, technisch qualifizierten Nachwuchs für das Präsidium Technik in Stuttgart zu gewinnen – zumal der Wettbewerb um hoch qualifiziertes Personal in der Landeshauptstadt groß sei.

Der FDP-Fraktionschef Hans-Ulrich Rülke nannte die Untersuchung ein „Gefälligkeitsgutachten“. Hesse beschäftige sich mit der theoretischen Konzeption der Polizeireform, nicht aber mit deren realen Ergebnissen. Der Wissenschaftler hingegen berichtete von „50, 60,70 Gesprächen“, die er im Innenministerium, mit Polizisten vor Ort, aber auch zum Beispiel mit Wirtschaftsvertretern geführt habe. Der CDU-Fraktionschef Guido Wolf sagte, es sei zu früh für eine realistische Bewertung der Reform. Schon jetzt sei aber klar, dass sich die Fahrzeiten für Verkehrs- und Kriminalpolizei vervielfacht hätten.