Mitten in Hechingen ist ein 22-Jähriger aus einem vorbeifahrenden Auto heraus erschossen worden. „Er war ein Guter“, sagen seine Freunde, einer, der nie aufgefallen sei. „Es ging um ein Drogengeschäft“, sagt die Polizei. Sie hat drei Tatverdächtige verhaftet.

Hechingen - Die Augen rot gerändert, eine Zigarette in der Hand, steht Luca mit einem halben Dutzend Freunde am Straßenrand und kann nicht fassen, was passiert ist. „Der war immer ein Guter,“, sagt er, „der hatte doch schon die Zusage für einen Studienplatz in Jura.“ Luca muss die Tränen unterdrücken, er hat in der vergangenen Nacht kaum geschlafen. Seit er über Facebook vom Tod seines Freundes erfuhr, ist er außer sich. „Wie konnte das soweit kommen?“, fragt einer neben ihm, „aus Spaß schießt doch keiner.“

 

Nur ein paar Schritte von den Freunden entfernt weht ein rot-weißes Flatterband, das rund um eine kleine Grünanlage in der Hechinger Staigstraße gespannt ist: fünf Bäume, zwei Bänke, ein Treffpunkt für die Nachbarschaft und nun der Tatort eines Verbrechens. Auf dem Boden hat die Polizei mit wenigen Kreidestrichen jenen Ort markiert, wo am Donnerstagabend gegen 18 Uhr der 22-jährige Mann erschossen wurde. Angeblich stand er zusammen mit einem Bekannten in der Grünanlage gegenüber dem Hotel Hechinger Hof, plötzlich fuhr ein roter Kleinwagen mit hoher Geschwindigkeit heran, und der tödliche Schuss fiel. Dann startete der Wagen durch und verschwand um die Ecke. Sanitäter, die gerufen wurden, versuchten vergeblich, den Schwerverletzten zu reanimieren. Doch er starb kurz darauf am Tatort.

Polizei findet umfangreiche Beweismittel

Noch im Verlauf der Nacht fanden Beamte einer 40-köpfigen Ermittlungsgruppe den roten Kleinwagen. „Der Hintergrund der Tat ist ein Rauschgiftgeschäft, an dem mehrere Personen beteiligt waren“, sagt ein Sprecher der Tuttlinger Polizei. In Absprache mit der Staatsanwaltschaft in Hechingen seien inzwischen drei Männer festgenommen worden. Bei mehreren anschließenden Wohnungsdurchsuchungen fanden die Beamten umfangreiche Beweismittel. Die Staatsanwaltschaft Hechingen hat gegen die drei Tatverdächtigen Haftbefehle beantragt. Gegen zwei von ihnen wurde wegen eines Betäubungsmitteldelikts Untersuchungshaft angeordnet, gegen den Dritten wurde ein Haftbefehl wegen des Verdachts auf Mord beantragt.

Die Polizisten drehen jeden Papierkorb um

Auf der Suche nach Spuren drehen die Polizisten am Freitagmorgen in der Nähe des Tatorts jeden einzelnen Papierkorb um, heben sogar Schachtdeckel an. Sie durchsuchen das Gebüsch mit Metalldetektoren und Stangen, sie sperren die Gegend zeitweise komplett für den Autoverkehr ab, um Kameraaufnahmen von den Gegebenheiten zu machen.

Ein 70-jähriger Anwohner steht staunend dabei und erzählt, dass weder er noch seine Frau etwas gehört hätten von dem Schuss. „Erst als der Rettungswagen kam, habe ich das Ganze mitbekommen“, sagt der Rentner, „eine tragische Sache, der war doch noch so jung.“ Das Spielcasino ganz in der Nähe des Tatorts habe er noch nie betreten, das Publikum dort habe ihm nicht besonders gefallen. Ansonsten sei seine Wohngegend, die Hechinger Unterstadt, zwar nicht gerade wohlhabend, aber meistens ziemlich ruhig.

„Er wollte Anwalt werden“

Ein Herz aus Teelichtern haben Freunde des Toten auf dem Kopfsteinpflaster aufgestellt. Daneben liegen Blumensträuße und Fotos, die den 22-Jährigen lachend zeigen. Er hat die Statur eines Fußballers, ein hübscher Kerl mit dunklem Bart und einem Ohrring. „Er war immer nett, einer, den alle respektiert haben“, sagen Luca und seine Kumpel. Sie sind oft mit ihm ausgegangen, gemeinsam haben sie in der kleinen Grünanlage schon so manchen Sommerabend verbracht. Der 22-Jährige habe bei seinem Vater und seiner Stiefmutter in der Gemeinde Bisingen gewohnt, keine zehn Autominuten von Hechingen entfernt. Erst die Hauptschule, vor zwei Jahren dann das Abitur an der Alice-Salomon-Schule in Hechingen – „sein Plan war es, Anwalt zu werden“, erzählen seine Freunde, ein kurdischer Alevit mit großen Ambitionen und viel Energie. „Er wollte zum Studium nach Konstanz. Nur hatte er noch nicht genügend Geld zusammen.“ Zuletzt habe er monatelang gejobbt – bei einem Hersteller für Medizintechnik.

Nach dem Freitagsgebet in der Süleymaniye Moschee in Hechingen ist der Tod des jungen Kurden in aller Munde. Viele seiner Freunde sind zum Beten hergekommen, die Gemeinschaft tröstet sie. „Ich kannte ihn seit er ein Kind war, ich habe ihm das Fußballspielen beigebracht“, sagt einer der Männer, die sich am Ausgang sammeln – es ist ein Nachbar des Toten, früher Jugendtrainer beim FV Bisingen. Noch am Donnerstagnachmittag habe er den 22-Jährigen in einem Dönerladen in Hechingen getroffen und ihn anschließend mit dem Auto bei einem Kollegen abgesetzt. „Die wollten noch in eine Änderungsschneiderei, eine Hose abgeben“, erinnert er sich. „Das war das letzte Mal, dass ich ihn gesehen habe.“

Die Ermittlungsgruppe arbeitet auch nach den Festnahmen weiter

Es müsse sich um eine Verwechslung gehandelt haben, mutmaßt Enes, ein 21-jähriger Freund des Toten. Vielleicht sei der Falsche getroffen worden. „Wenn es einen gibt, der nichts verbrochen hatte, dann er.“ Er habe nie Ärger macht, er sei nie aufgefallen, und da er zurzeit keine Freundin gehabt habe, könne es auch keine Liebesgeschichte mit einem unglücklichen Ende gewesen sein. Enes ist ratlos, warum einer, der immer so freundlich war, sterben musste. Verwicklungen in dubiose Drogengeschäfte traut Enes dem Toten nicht zu.

Unterdessen geht die Arbeit der Ermittlungsgruppe unvermindert weiter – auch nach den Festnahmen. „Wir wissen derzeit nicht, ob es vielleicht noch andere Tatbeteiligte gegeben hat“, sagt die zuständige Staatsanwältin in Hechingen. „Wer Hinweise zu dem Fall hat, sollte sich deshalb unbedingt melden.“

Immer wieder fallen Schüsse auf offener Straße

Am 18. November wird der Kickbox-Weltmeister Musa Musalaev (37) vor einem Hochhaus in Neu-Ulm, in dem er mit seiner Familie wohnt, erschossen. Der Fall weist Parallelen zum Mord an dem Kickboxer Sergej N. auf. Der 35-Jährige war im April in Bietigheim-Bissingen (Kreis Ludwigsburg) ebenfalls vor seinem Wohnhaus erschossen worden. In beiden Fällen hat die Polizei keinen Täter, einen Zusammenhang schließt sie aber aus.

Im April fallen vor einem Friseurgeschäft in Heidenheim Schüsse. Ein 29-Jähriger stirbt, sein 25-jähriger Bruder überlebt schwer verletzt. Beide werden den United Tribuns zugerechnet. Ein26-jähriges mutmaßliches Mitglied der Black Jackets steht jetzt vor dem Ellwanger Landgericht. Auslöser des Streits: zerstochene Reifen.

Auf einem Parkplatz bei Bad Wurzach (Kreis Ravensburg) schießt ein Mann auf eine im Auto sitzende Bekannte und trifft sie am Nacken. Sie überlebt. Es soll sich um einen Beziehungsstreit gehandelt haben, sagt die Polizei. Der Täter ist 82, das Opfer sogar 91 Jahre alt.

Im Oktober wird in in der Landeshauptstadt Stuttgart ein 75-jähriger Hochzeitsgast am Arm verletzt, als er zwei Frauen aus dem Auto hilft. Ein Querschläger: Ein 32-jähriger Gast hatte in die Luft geschossen.