Exklusiv Vor dem Polizeieinsatz im Schlossgarten am 30. September 2010 wollte Stefan Mappus bei anderen Länderchefs um Verstärkung für die Polizei bitten. Davon zeugt ein interner Vermerk. Doch das ungewöhnliche Angebot ließen Zeugen im U-Ausschuss unerwähnt.

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Andreas Müller (mül)

Stuttgart - Vier Tage erst ist im Wasserwerfer-Prozess vor dem Landgericht Stuttgart verhandelt worden, aber eine Erkenntnis schält sich bereits deutlich hinaus. Der Polizeieinsatz am „schwarzen Donnerstag“ im Schlossgarten war nicht nur überstürzt vorbereitet und schlecht organisiert, es fehlte vor allem an Personal. Man habe zu wenig Kräfte gehabt, um gegen die „schiere Masse“ der Demonstranten anzukommen, sagten die angeklagten Polizeiführer. Das sei ein „prägendes Moment“ des Einsatzes gewesen. Nur deshalb seien die Wasserwerfer – angeblich anders als geplant – für die Räumung des Geländes eingesetzt worden.

 

Reichen die Polizeikräfte wirklich aus? Genau das war die Hauptfrage bei der finalen Besprechung am Vortag des 30. September 2010 gewesen. Erörtert wurde sie – höchst ungewöhnlich – im Staatsministerium im Beisein des damaligen Ministerpräsidenten Stefan Mappus (CDU), aufgeworfen hatte sie der damalige Landespolizeipräsident Wolf Hammann. Nachdem der ursprünglich vorgesehene Einsatzbeginn um 15 Uhr durchgesickert war, empfahl Hammann eine „Verschiebung“ auf einen günstigeren Termin im Oktober. Wenn sich zu viele Menschen im Schlossgarten befänden, so seine Sorge, sei „mit verhältnismäßigen Mitteln eine Räumung  . . .nicht möglich“.

Amtshilfe auf höchster Ebene erbeten?

Im Lauf der Besprechung lenkte der Spitzenbeamte freilich ein: man werde wohl doch die nötigen Hundertschaften bekommen, ließ er sich beruhigen. Mappus’ Rolle in der hochkarätig besetzten Runde wurde im ersten Untersuchungsausschuss als die eines interessierten Zuhörers geschildert: Er habe sich die Pläne der Polizei erklären lassen, ihr aber nicht dreingeredet. Doch die Befürchtung, das Polizeiaufgebot könne zu knapp sein, trieb auch ihn um und bewegte ihn offenbar zu einer ungewöhnlichen Offerte: Er könne sich bei Ministerpräsidenten-Kollegen anderer Bundesländer persönlich um Verstärkung bemühen, soll er vorgeschlagen haben.

So jedenfalls geht es aus einer bisher nicht bekannten Mail hervor, aus der die Stuttgarter Zeitung aus rechtlichen Gründen nicht zitiert. Absender war der Regierungsbeauftragte für den U-Ausschuss im Staatsministerium, Empfänger unter anderem der Büroleiter des Ministerpräsidenten. Ihr Zweck: Mappus für seine Aussage vor dem Gremium vorzubereiten. Dass er sich auf höchster Ebene selbst in die Rekrutierung von Polizeikräften einschalten wollte, sei im Ausschuss bisher von niemandem aus der Runde erwähnt worden, schrieb der Beamte sinngemäß. So solle es auch bleiben, war die – nicht ausgesprochene, aber nahe liegende – Empfehlung, an die sich der Premier dann auch hielt. Genauso wenig wie die anderen Zeugen ging er auf das Angebot ein. Ob es angenommen wurde, ist übrigens nicht bekannt; Mappus’ Anwälte reagierten nicht auf eine StZ-Anfrage dazu.

Verstärkung aus anderen Ländern zugesagt

Der Ministerpräsident bittet bei Amtskollegen persönlich um Polizeikräfte – das wäre ein Novum. Für die Anforderung bei anderen Bundesländern ist eigentlich ein Referat im Landespolizeipräsidium des Innenministeriums zuständig, etliche Hierarchieebenen unter dem Regierungschef. Bei Großeinsätzen melde man frühzeitig den Bedarf an, verlautet aus dem Ressort von Reinhold Gall (SPD). Fast immer sei die erbetene Verstärkung gekommen, „sodass regelmäßig keine Intervention auf politischer Ebene erforderlich war“. Im Haus sei kein Fall bekannt, sagte Galls Sprecher, in dem sich der Minister oder gar der Ministerpräsident eingeschaltet habe.

Entgegen den Gepflogenheiten kümmerte sich kurz vor dem 30. September freilich ein Spitzenbeamter um die Kräfte-Rekrutierung: Günther Benz, der damalige Amtschef des Innenressorts. Er habe inzwischen mit Kollegen aus Thüringen, Rheinland-Pfalz, Nordrhein-Westfalen und Bayern telefoniert und Verstärkung zugesagt bekommen, berichtete Benz laut Zeugen in der Runde im Staatsministerium. Das zerstreute offenbar die Zweifel, ob das Polizeiaufgebot ausreiche. Erst Stunden nach der Besprechung schien freilich sicher zu sein, dass die benötigten Kräfte auch kämen – eine schwere Fehleinschätzung, wie sich zeigen sollte.

Intensiv auf Zeugenauftritt vorbereitet

Ob Mappus’ Offerte angenommen wurde oder nicht, was wahrscheinlicher sein dürfte – interessiert hätte sie den ersten U-Ausschuss allemal. Sie stand schließlich in einem gewissen Kontrast zur Beteuerung des Landeschefs, er habe sich nie ins Geschäft der Polizei eingemischt.

Wurde sie dem Gremium deshalb gezielt verschwiegen? Dem zweiten Ausschuss liegen inzwischen einige Hinweise vor, dass Zeugenaussagen damals vorsorglich abgestimmt wurden. Besonders Stefan Mappus sei offenbar intensiv auf seinen Auftritt vorbereitet worden, um Widersprüche zu vermeiden und „ein bestimmtes Bild über die Rolle der Regierung in Bezug auf den Polizeieinsatz“ zu bestärken, heißt es im Bericht der grün-roten Landesregierung. Vorsorglich habe man ihn damals aber darauf hingewiesen, seine eigenen Erinnerungen seien für eine wahrheitsgemäße Aussage entscheidend.

Die damals zuständigen Beamten mauern

Dazu gehört übrigens auch, dass nichts Wesentliches weggelassen werden darf. Erst vor kurzem war ein ähnlicher Vorgang bekannt geworden: Ein am Abend des „schwarzen Donnerstags“ geplantes Spitzentreffen im Staatsministerium sollte im ersten U-Ausschuss ausdrücklich nicht erwähnt werden, hieß es in einem internen Vermerk zur Vorbereitung von Zeugen. Bisher sei dieses nicht thematisiert worden, und dabei solle es auch bleiben. Wurde das Gremium also ausgetrickst? Aufschluss darüber könnten der einstige Regierungsbeauftragte Michael P. und sein damaliger Abteilungsleiter Michael K. geben, doch deren Vernehmung ist bis jetzt nicht terminiert. Noch wird darum gerungen, ob und inwieweit ihre gespeicherten Mailaccounts ausgewertet werden dürfen – wogegen sie sich vehement wehren.

Als nächster Zeuge kommt, am 18. Juli, ein wichtiger Teilnehmer der Besprechung am Vorabend des „schwarzen Donnerstags“: Stuttgarts früherer Polizeipräsident Siegfried Stumpf. Die Abgeordneten können dann das tun, was im Wasserwerfer-Prozess bereits zum geflügelten Wort geworden ist: „Das müssen Sie Herrn Stumpf fragen.“