Nur selten werden die Drahtzieher einer Enkeltrick-Bande ermittelt. Beamten des Polizeipräsidiums Reutlingen haben nun ein Ehepaar als Chef der Bande hinter Gitter gebracht und die Betrüger damit entscheidend geschwächt.

Tübingen - Eine Telefonnummer, hingekritzelt auf den Beleg eines Handykaufs. Die Hilfe eines Zeugen, der aus Hunderten Telefonmitschnitten eine Stimme erkennt. Verdächtige, die aus dem Ausland zu einem Termin im Sozialamt anreisen und dort festgenommen werden. Es sind kleine und große Erfolge, die die Ermittlungsgruppe „Millioneri“ des Polizeipräsidiums Reutlingen immer wieder weiterbringen. Die Kriminalbeamten Angelika Weiß, Martin Klopitzke, Harald Grote und Thomas Schmid, der Leiter der Gruppe, konzentrieren sich seit September 2014 auf Enkeltrick-Betrügereien. „Zurzeit machen wir nichts anderes“, sagen sie.

 

Mit dieser betrügerischen Masche werden vor allem ältere Frauen um ihre Ersparnisse gebracht. „Die Hilfsbereitschaft der armen Frauen wird schamlos ausgenutzt“, sagt der Tübinger Oberstaatsanwalt Bernhard Henn. Die Namen wählen die Betrüger aus dem elektronischen Telefonbuch aus. Sie rufen vorwiegend Frauen an, deren Vornamen darauf hindeuten, dass sie nicht mehr jung und womöglich alleinstehend sind. Die Polizisten raten daher, die Vornamen im Telefonbuch abzukürzen. „Mit einem I. statt Ilse können die Betrüger nichts anfangen“, wird empfohlen.

Die Hintermänner sind gefasst

Im März berichtete die Stuttgarter Zeitung ausführlich über den Prozess gegen zwei sogenannte Abholer. Ein Ehepaar aus Limburg im Alter von 30 und 27 Jahren war vom Tübinger Amtsgericht wegen gewerbs- und bandenmäßigen Betrugs zu jeweils drei Jahren und zehn Monaten Haft verurteilt worden. Sie hatten dazu beigetragen, dass vier ältere Frauen um insgesamt 90 000 Euro gebracht wurden.

„Die Hintermänner kennen wir noch nicht“, erklärten die Kriminalbeamten damals. Sie sind mittlerweile ein gutes Stück weitergekommen. Ein Ehepaar, geboren in den Jahren 1961 und 1965, sitzt in Untersuchungshaft in Schwäbisch Gmünd und Tübingen. Laut Oberstaatsanwalt Henn könnte ihr Prozess im Herbst stattfinden. Die Ermittler ordnen beide der Führungsebene zu, sie seien der „Kopf der Bande“. Zwischen diesen Chefs befinden sich als mittlere Ebene die „Keiler“ und „Logistiker“. Der eine führt die Telefongespräche, der andere organisiert parallel dazu die Abholung des Geldes, wenn ein Opfer auf den Betrug hereingefallen ist. In diesem Fall sind Keiler und Logistiker Söhne des Ehepaars. Sie befinden sich auf der Flucht und werden per internationalem Haftbefehl gesucht. Zwischen allen Mitgliedern der Bande bestehen enge verwandtschaftliche Beziehungen. Die Großfamilie wird der Bevölkerungsgruppe der Roma zugerechnet.

Die Gruppe ist entscheidend geschwächt

Die Führungsebene in diesem perfiden System ist zuständig für Anwerbung und Ausbildung von Abholern, sie organisieren die Geldverschickung ins Ausland und kümmern sich um die anwaltliche Betreuung, sollte ein Abholer von der Polizei gefasst werden. Das Risiko, verhaftet zu werden, ist für die unterste Hierarchieebene am größten. Diese Leute begegnen den Opfern, während Keiler und Logistiker nur im Hintergrund wirken. Dass Mitglieder der Führungsebene verhaftet werden können, kommt nicht oft vor. „Seither haben wir von weiteren Betrugsanrufen der Söhne zumindest nichts mehr mitbekommen“, sagen die Kriminalbeamten. Sie gehen davon aus, diese Gruppe nun entscheidend geschwächt zu haben.

Dem kürzlich verhafteten Ehepaar kam die Polizei durch einen Tipp auf die Spur. Zwar hatte sich das Duo nach der Verhaftung und Verurteilung in ihr Geburtsland Polen abgesetzt, gemeldet war das Paar jedoch in Frankfurt/Main, und zwar gleich unter mehreren Adressen. Im April wurden zehn Wohnungen durchsucht und dabei stießen die Ermittler auf krasse Fälle von Sozialhilfebetrug. „Über die Sozialhilfe wurden Wohnungen bezahlt, in denen sich die Leute gar nicht aufgehalten haben“, berichtet Bernhard Henn. Hochwertige Teppiche und Rolex-Uhren, die in diesen Wohnungen sichergestellt wurden, passen ebenso wenig ins Bild von Räumlichkeiten, in denen Sozialhilfeempfänger leben.

Ein krasser Sozialhilfebetrug

Die Geldgier wurde dem Ehepaar zum Verhängnis. Um die ihnen angesichts ihrer Vermögensverhältnisse keineswegs zustehende Sozialhilfe zu erhalten, mussten sie persönlich im Sozialamt in Frankfurt erscheinen. Dieser Termin war der Polizei bekannt. 60 Beamte waren im Einsatz. Vor der Verhaftung wurde beobachtet, wie die im Auto aus Polen angereisten Eheleute noch rasch ihre Rolex-Uhren ablegten. Der Oberstaatsanwalt rechnet vor, dass diese Familie monatlich um die 3500 Euro Soziallleistungen erschlichen habe. „Ich finde das empörend“, sagt Henn. Er berichtet auch, dass dieses Ehepaar mutmaßlich seit mindestens acht Jahren verschiedene Straftaten begehe.

In der Tasche der festgenommenen Frau fand sich die Quittung über den Kauf eines Handys im Saturn-Mark in Breslau. Auf der Rückseite der Quittung steht eine Telefonnummer. Sie gehört zu einem der Anwälte, der die Abholer im März vor dem Tübinger Landgericht verteidigt hatte. Ein Indiz, mit dem sich die Verbindung der Gruppenmitglieder untereinander belegen lässt. Die Beamten hören Mitschnitte ab, überprüfen Adressen und Telefonnummern, versuchen Kontakt zu ihren polnischen Kollegen aufzunehmen. Und die Polizei muss hohe Geldsummen für die Übersetzung der raren Dolmetscher bezahlen, die die Sprache Romanes beherrschen. Selbst ein Aufruf in der ZDF-Sendung „Aktenzeichen XY“ wird erwogen. Zug um Zug können der Bande immer neue Betrugsdelikte und entsprechende Versuche nachgewiesen werden. Im Falle dieser Familienbande ist der Gesamtschaden mittlerweile auf 119 000 Euro angestiegen, zwölf Fälle werden ihnen zur Last gelegt.

Durch die Recherchen der Ermittler kamen weitere Taten ans Licht, die anderen Enkeltrick-Banden zur Last gelegt werden. Dabei geht es um eine Summe von 200 000 Euro und Tatorte in Baden-Württemberg, Nordrhein-Westfalen, Hessen, Rheinland-Pfalz und Bayern.