Helena Zumsandes Karriere als Sängerin begann erst, als sie mit 21 Jahren die Diagnose Magenkrebs bekam. Vor wenigen Tagen starb die junge Hamburgerin. Ein Buch erzählt ihre ungewöhnliche Geschichte.

Berlin - Es war ein Moment, der Millionen Menschen berührt hat. Ein Tonstudio in Berlin. Man sieht ein Mädchen, das in sich zusammengesunken vor einem Mikrofon sitzt. Es ist todkrank und gezeichnet von den Folgen einer Chemotherapie. Das Gesicht ist schmal geworden, ein Tuch verhüllt den Kopf, auf dem ein paar Haarbüschel nachwachsen.

 

Doch das ist nicht das erste, was an diesem Mädchen auffällt. Es ist ihr Gesang. Das Mädchen singt einen bekannten Song von Sarah Connor, der Pop-Diva aus Delmenhorst. Es heißt „Wie schön Du bist“, und es erzählt davon, wie es ist, wenn man als Popstar eben noch im Rampenlicht vor tausenden Fans gespielt hat und jetzt alleine da sitzt und sich leer fühlt. Das Mädchen hat feucht schimmernde Augen. Doch es strahlt eine Energie aus, die man ihr nicht zugetraut hätte, im Endstadium ihrer Krankheit. Magenkrebs. Scheinbar mühelos füllt sie den Raum mit ihrer Stimme.

Das Lied ist jetzt ihr Lied. Fast scheint es, als hätte es Sarah Connor nur für sie geschrieben. Helena Zumsande ist erst 21 Jahre alt und eine großartige Sängerin. Jetzt, wo es schon fast zu spät ist, erfährt es auch der Rest der Welt. Einige Tage nach diesem Auftritt stirbt Helena.

Einige Tage nach dem Auftritt ist sie tot

Nun ist ihre Geschichte als Buch erschienen. Eine Journalistin vom Stern hat die angehende Erzieherin schon seit einigen Monaten begleitet und die Gespräche protokolliert. Man ist immer ein bisschen skeptisch bei solchen Geschichten. Der Tod ist zwar schon lange kein Tabu mehr. Der Schriftsteller Wolfgang Herrndorf hat sein Sterben auf einem Blog dokumentiert, bevor er sich 2013 erschoss, zermürbt vom Kampf gegen einen bösartigen Gehirntumor. Todkranke Prominente wie die Regisseure Christoph Schlingensief oder Helmut Dietl erzählten in TV-Talkshows freimütig, wie das ist, wenn einem die Zeit wie Sand durch die Finger rinnt. Aber das waren Menschen, die ihren Platz im Leben schon gefunden hatten. Helena Zumsande war noch nicht mal 21, als sie die Diagnose Magenkrebs bekam. Zwei Jahre lang hatte sie schon unter furchtbaren Schmerzen gelitten, ohne dass Mediziner die Ursache fanden. Dann, so schreibt sie, habe eine Ärztin ihre Hoffnung auf Heilung mit einem Satz zerstört.

„Ich war panisch. Es war wie das Attentat eines Irren im Kopf. Dass ich doch eine Familie haben wollte, dachte ich, und Kinder. Dass ich leben wollte! Dass sie vielleicht etwas verwechselt hätten.“ Es ist genau dieser Tonfall, der den Leser damit versöhnt, dass das Buch auf das voyeuristische Interesse all jener Fans setzt, die erst kurz vor ihrem Tod auf sie aufmerksam wurden.

Wie in einer Raumkapsel auf der Erdumlaufbahn

Dieses Buch trägt ihre Handschrift, das ist seine Stärke. Mit schonungsloser Offenheit erzählt Helena, wie das ist, wenn man noch immer von der großen Liebe träumt und davon, eines Tages eine berühmte Sängerin zu werden. Wenn man dann nicht den nächsten Sommerurlaub mit den Freunden planen kann, weil man zur Chemotherapie muss und gar nicht weiß, ob man dann überhaupt noch lebt. Sie fühle sich so, „als habe sie jemand in einer Raumkapsel auf die Erdumlaufbahn geschossen und als könnte ich aus diesem Abstand betrachten, was die Menschen so treiben“.

Es ist das Verdienst ihrer Familie, dass sie sich nach der Diagnose nicht aufgegeben hat. Das liest man zwischen den Zeilen. Hier kommt der Mann ins Spiel, der ihre musikalische Blitzkarriere eingefädelt hat, ihr Onkel Helmuth Schmücker, 55, Unternehmensberater und Hobby-Pianist. Im November 2014 lud er sie ein, mit ihr ins Tonstudio zu gehen, um ihren Lieblingssong einzusingen, „All of me“ von John Legend. Er sagt, er habe ja gesehen, wie einsam Helena sich gefühlt habe. Er hatte den Krebs ja selber schon einmal überwunden. Er wollte, dass etwas bleibt von seiner Nichte. Und die Musik, das ahnte er, wäre für sie die beste Medizin. Schon als Kind hatte Helena Gitarren- und Gesangsunterricht bekommen. Sie war vierzehn, als sie ihren ersten Auftritt im Fernsehen hatte, in der RTL-Castingshow „Deutschland sucht den Superstar“ (DSDS). Sie sei talentiert, aber ihr fehle das nötige Selbstbewusstsein, attestierte ihr Dieter Bohlen damals. Aus der Traum von einer Gesangskarriere.

Dieter Bohlen bemängelt fehlendes Selbstbewusstein

Schmücker hat also 30 CDs von der Aufnahme des John-Legend-Songs brennen lassen, für Helenas Freunde, so war es geplant. Er hat ihr eine Facebook-Seite einrichten lassen und den Song online gestellt. Eine befreundete Journalistin bekam von der Sache Wind und fragte, ob sie die Nichte interviewen dürfe. So schloss sich der Kreis.

Das erste Video wurde zum Hit im Internet – und die krebskranke Erzieherin zur Hoffnungsträgerin für andere Kranke. Schmücker sagt, vor Anfragen und habe sich Helena kaum retten können. „Viele hat sie selber beantwortet. Diese Anteilnahme hat sie zurück ins Leben geholt.“ Es entbehrt nicht der Tragik, dass der Höhepunkt dieser Karriere zugleich Helenas Abschied war: der Auftritt im Studio von Sarah Connor. Aber schon da wirkte die 21-Jährige auf irritierende Weise glücklich und befreit. „Vielleicht geht es nicht um das Happy End“, schreibt sie in ihrem Buch, „sondern um die Geschichte selbst.“