Von Donnerstag an spielt Natalie O’Hara in der ZDF-Erfolgsserie „Der Bergdoktor“ wieder die Susanne im Dirndl. Und ab Mitte Januar steht sie in der Stuttgarter Komödie im Marquardt auf der Theaterbühne.

Stuttgart - Natalie O’Hara ist verdammt gut darin zu schweigen. Sie kann meisterhaft genervt ihre Augen verdrehen, ihre Stirn in Falten legen und ihre Hände total angepisst in ihre Hüfte rammen, während ein bedauernswerter Kerl neben ihr bemühtes Zeug stammelt wie: „Guten Morgen, Cherie!“, „Was ist los?“, „Was hast du?“

 

Natalie O’Hara verkörpert in diesen intensiven Augenblicken auf der Probenbühne der Komödie im Marquardt am Stuttgarter Ostendplatz eine gewisse Sophie in einer Boulevardkomödie namens „Im Himmel ist kein Zimmer frei“. Diese Sophie wird wenige Minuten später dem Pechvogel an ihrer Seite in einem hinreißend augenleuchtenden Solo zu erklären versuchen, auf was Frauen so stehen: „Wärme, Komplimente, Zartgefühl.“ Die Schauspielerin Natalie O’Hara, 40, indes findet zwischen dem Abstraf- und dem Lockmoment ihrer Bühnenfigur geschickt Gelegenheit, ihrem männlichen Schauspielerkollegen ein paar Tipps zu geben, wie der ihr Hinterteil auf dem Spießersofa noch fetziger liebkosen könnte: „30 Punkte mehr Puls wären gut!“ Sie sagt das freundlich. Aber durchaus bestimmt.

Darin hat sie Übung. In ihrer Paraderolle als Susanne in der ZDF-Erfolgsserie „Der Bergdoktor“ macht Natalie O‘Hara ihrem armen Filmpartner Hans recht resolut deutlich, dass der noch so viel Gemüse zu ihrem Gasthof, dem Wilden Kaiser, karren mag: Mit der Liebe wird’s nix mehr. Weil Hans eine andere geküsst hat. Wobei gerade diese Szenen aus der letzten Staffel symptomatisch dafür waren, wie die Künstlerin Natalie O’Hara so tickt – herausfordernd. Sie hatte nämlich ein Problem: „Ich bin als Susanne eine erwachsene Frau, wir haben ein Kind zusammen, und er hat fremdgeknutscht. Mein Gott, da kann ich mich doch nicht hinstellen und sagen: ,Ich kann dir nicht verzeihen.‘ Das ist nicht glaubwürdig.“ Also hat sich die Schauspielerin überlegt, dass ihre Figur für die Zurückweisung des bedröppelt guckenden Hans andere Argumente brauche, zum Beispiel: „Du hast mich angelogen, ich kann dir nicht vertrauen.“ Und dann hat sie mit dem Regisseur diskutiert: „In der Szene, in der Szene und in der Szene könnt ich’s unterbringen. Darf ich bitte?“ Natalie O’Hara kann verdammt überzeugend sein.

Schinken-Käse-Toast und Orangenlimonade

Zum Beispiel, wenn sie in einem Kuchencafé im Stuttgarter Osten einen Schinken-Käse-Toast bestellt. Oder wenn sie erläutert, wie sie ihren Job als „Anwältin ihrer Figuren“ bewältigt, indem sie das Authentische im Vorgegebenen findet, was ihr unter Zuhilfenahme ihrer „Rückwärtspsychologie“ viel Spaß macht.

Die gebürtige Göttingerin, bei der man manchmal das Gefühl hat, sie denke doppelt so schnell wie alle anderen im Raum, hatte tatsächlich mal kurz erwogen, Psychologie zu studieren. Aber ihr Ziel war immer: Schauspielerin! „Ich wollte das schon werden, als ich sieben war. Als ich verstanden habe, dass das ein Beruf ist, habe ich gesagt: ,Ich werde Schauspielerin.‘“ Ihre Klavierlehrerin habe ihr später geraten: „Mach’s nur, wenn du keine andere Wahl hast! Aber wenn du dir vorstellen kannst, du machst was anderes und wirst glücklich – dann mach was anderes.“

Nathalie O’Hara ist sehr überzeugend, wenn sie für ihre Berufung brennt. „Ich lebe tatsächlich meinen Traum“, sagt sie und erzählt mit so etwas Ähnlichem wie einem verliebten Beben in der Stimme, wie sie neulich in Hanau die Olivia in Shakespeares „Was ihr wollt“ geprobt habe. Da sei sie quasi zu den Proben geschwebt: „Ich habe jeden Tag dem Himmel gedankt, dass ich das tun darf, was ich immer wollte.“

Natalie O’Haras Überzeugungskraft ist es nicht abträglich, dass sie im Kuchencafé zehn Jahre jünger wirkt als im „Bergdoktor“, dass ihr die Spießigkeit fehlt, die sie in der Serie ihrer Figur so kunstvoll implantiert – und dass sie gerne lacht. Wenn man sie Orangenlimonade und Latte macchiato gleichzeitig trinken sieht, ist man geneigt zu glauben, dass ihre eigene emotionale Brandung weitaus intensiver schäumen mag als jene der „Bergdoktor“-Susanne, deren Gefühlstäler sie virtuos immer noch tiefer zu graben scheint und deren Gipfel sie versiert rigoros kappt. „Susanne steht sich selbst ein bisschen im Weg“, weiß Natalie O’Hara, eine der wenigen Schauspielerinnen zwischen hier und Hollywood, bei denen der Satz „Ich mag es, Menschen zu berühren!“ nicht wie eine leere Floskel klingt, sondern wie eine Leidenschaft.

Einsatz für krebskranke Frauen

Vieles spricht dafür, dass Natalie O’Hara berührt, weil sie selbst regelmäßig berührt ist. Zum Beispiel von der Drogerie-Verkäuferin, die sie an der Kasse erkennt. „Dieses Erlebnis, wenn die Leute sich so freuen, einfach nur, weil sie mich treffen, das ist total schön“, schwärmt die Schauspielerin. Das lange „ö“ in „schön“ gerät ihr dabei so mädchenhaft verspielt wie das lange „ö“ in „blöd“, wenn sie von den Schattenseiten ihrer „Bergdoktor“-bedingten Prominenz erzählt, vom Verlust ihrer Freiheit im Zug oder im Flugzeug, weil sie potenziell unter Beobachtung steht. Von diesem immer wiederkehrenden Dialog: „Wir kennen uns doch!“ „Tschuldigung, ich kenne Sie nicht.“ „Doch, doch, wir kennen uns!“ Natalie O’Hara spielt im Kuchencafé beide Rollen selbst. Dann Pause: „Und irgendwann kommt der Punkt, an dem ich sage: ,Naja, vielleicht kennen Sie mich aus dem Fernsehen.‘ Und das ist immer so blöööhöööd.“

Angestarrt werden verunsichert sie: „Überlegt der jetzt, ob er mich kennt, oder findet er mich süß, oder hab ich vielleicht ’nen Popel an der Nase, oder müsste ich ihn eigentlich tatsächlich kennen und weiß es bloß nicht mehr wegen meines beschissenen Gesichtsgedächtnisses?“ Seit ihr regelmäßig sieben Millionen Leute dabei zusehen, wie sie als Susanne den Bergdoktor und dessen Bruder zu sich hin- und wieder wegmagnetisiert, seit Theater sie engagieren, ohne dass sie vorsprechen muss, hat sich ihr Freizeitverhalten grundlegend geändert: „Wenn ich mal ein paar Tage freihabe, dann bin ich zu Hause, setze die Kapuze auf und will keinen Menschen sehen.“

Wobei Natalie O’Hara natürlich weiß, dass ihre Berühmtheit Privilegien birgt, auch wenn sie darunter Dinge versteht, die man zunächst nicht erwartet: Seit Kurzem ist sie Botschafterin für den Verein Recover your Smile, der krebskranken Frauen professionelle Fotoshootings schenkt. „Es geht dabei darum, sich mit dem Körper auf eine positive Art zu beschäftigen“, sagt sie. Es geht um Selbstbewusstsein, um Schönheit. „Man darf Schönheit in diesem Fall nicht als etwas Äußerliches sehen.“

Neulich hat sie mit den Frauen, die ihre Haare verloren haben, gelacht. Und geweint. Sie freut sich überschwänglich, „dass ich da mit wenig Aufwand was Gutes tun kann, einfach, weil ein paar Leute mich kennen. Das finde ich ganz großartig am Prominentsein.“ Es ist ein Glücksfall, dass die Menschenliebe, die die „Bergdoktor“-Serie ausstrahlt, mit Natalie O‘Haras eigener Sicht auf das Dasein kompatibel ist: „Ich bin überzeugt davon, dass das Leben ein riesiges Geschenk ist! Wir haben die Chance, auf diesem unfassbaren Zauberplaneten jedes Abenteuer zu erleben. Es ist eigentlich wie ein großer Freizeitpark. Natürlich gibt es Krieg und Hunger, und wir leben in einem Schweinesystem, wo man darüber nachdenken muss, wie man das ändern kann. Aber trotzdem: Das Leben ist total toll. Die Erde ist ein großartiger Ort, wenn wir zusammenhalten und uns auf das Wesentliche konzentrieren.“

Sie begeistert mit ihrer Begeisterung

Wenn man Natalie O’Hara gegenüber bekennt, dass man ihre Lebensphilosophie hinreißend einleuchtend und triftig findet, kann es passieren, dass man sich einbildet, die Vollblutschauspielerin würde erröten. Hans Sigl, der im ZDF den Bergdoktor spielt, sagt als Freund über sie: „Sie ist ein wundervoller Mensch und eine gute Freundin.“ Hans Sigl, der auch als Kabarettist auftritt, weiß außerdem: „Wenn das Schönwetterhäuschen sich öffnet und zum Kuckuck Susanne, die Madonna der Berge, erscheint, glühen bei den Hardcorefans die Herzen!“ Ein Gespräch im Café kann reichen – und man zählt sich selber dazu.

Natalie O’Hara kennt sich aus mit solchen Sachen. Sie ist selbst Fan, zum Beispiel von Udo Lindenberg. Vor ein paar Jahren waren sie und ihr Mann, der Musicalproduzent Johannes Mock-O’Hara, gemeinsam mit dem Rockstar und dessen Anwalt in New York, Musicals ansehen. Auf einmal standen der Sänger und die Schauspielerin alleine auf dem Times Square. „Irgendwann nimmt er die Brille ab und guckt dir einmal direkt in die Augen. In dem Moment wusste ich, warum er Sonnenbrille trägt. Weil er so tiefe, verletzbare Augen hat. Udo schützt sich mit der Brille, weil er zu jedem so offen ist. Er ist ein Ritter des Lichts. Er kämpft für das Gute!“

Natalie O’Hara ist verdammt gut darin, mit ihrer Begeisterung zu begeistern: „Ich empfinde das Leben wirklich als ein Riesengeschenk“, sagt sie noch einmal. „Das Einzige, was ich diesem Geschenk zurückgeben kann, ist, dass ich einen Weg finde, es zu lieben. Und ich sehe das auch als unser jeder Verantwortung, irgendeinen Weg zu finden, sein eigenes Leben zu lieben.“

Sophie in der Komödie im Marquardt lässt ihrem komplizierten Gefährten Anleitungen für dieses Unterfangen zukommen. Susanne im „Bergdoktor“ zappelt als „totaler Herzensmensch“ im Netz ihrer Prinzipien. „Die Toleranz und das Verständnis, die der Doc ausstrahlt – das finde ich die richtige Botschaft“, sagt Natalie O’Hara. Als sie die Straßenbahn wegfahren lässt und sich zu Fuß auf den Rückweg zur Probenbühne am Ostenplatz macht, ist man überzeugt, dass sie selbst jede Menge Wege kennt, ihr Leben zu lieben. Und dass viele davon geeignet sind, das Leben anderer Leute zu bereichern.