Sie floh vor den Islamisten nach Paris und wurde dort fast von ihnen umgebracht. Doch die algerische Dramatikerin Rayhana lässt sich nicht mundtot machen. Ihr Stück „In meinem Alter rauche ich immer noch heimlich“ ist derzeit an der Tri-Bühne zu sehen.

Stuttgart - Im Hamam wird Tacheles geredet. Dort, wo die Frauen unter sich sind, baden, schwitzen und sich massieren lassen, dort werden auch Intimitäten ausgeplaudert. Ausgedacht hat sich die Dialoge unter Dampfschwaden eine algerische Autorin, die sich schlicht Rayhana nennt. Ihr Stück „In meinem Alter rauche ich immer noch heimlich“ wurde in Frankreich zum vielfach gespielten Theatererfolg. Derzeit ist die Tragikomödie, die die Lebensentwürfe arabischer Frauen verhandelt, an der Tri-Bühne zu sehen. Für die Premiere ist die in Südfrankreich lebende Rayhana angereist. Nicht allein, sondern mit ihrer Produzentin Michèle Ray-Gavras. Diese hat nicht das Theaterstück, sondern den gleichnamigen Film produziert, der kürzlich in Thessaloniki Premiere hatte. Im Moment läuft es gut für die 1964 geborene Schauspielerin, Dramatikerin und Regisseurin Rayhana. Das war nicht immer so.

 

Die Unterdrückung von Frauen ist Rayhanas Lebensthema

Die zierliche Frau mit den roten Locken sitzt nach der ersten Zigarette hellwach und konzentriert im Foyer der Tri-Bühne, trotz der für Theatermenschen frühen Stunde. Sie ist eine aufmerksame Zuhörerin, den englischen Fragen antwortet sie auf Französisch, Michèle Ray-Gavras übersetzt. Rayhana wurde in eine traditionelle Familie in Algier geboren – „traditionell, nicht islamistisch“, das ist ihr wichtig. Sie hat Kunst studiert gegen den Willen des Vaters, der eine Ärztin aus ihr machen wollte. Als Streikführerin flog sie von der Kunsthochschule in Algier, wechselte ins Schauspielfach und musste wegen ihres politischen Engagements für die kommunistische Partei erneut gehen. Rayhana hat trotzdem ihren Weg als Schauspielerin gemacht. Den Eltern hat sie allerdings erzählt, sie wäre „nur“ Regisseurin. Bis ihr Vater sie dann in einmal im Kino sah. Heute kann Rayhana darüber lachen. Doch das enge Korsett, das für Frauen in ihrer Heimat eng und enger gezurrt wird, hat ihr selbst fast die Luft abgeschnürt. Die Unterdrückung von Frauen, sei es im Namen der Religion, sei es durch die eigenen Männer, Väter oder Brüder, ist ihr Lebensthema geworden. „In meinem Alter rauche ich immer noch heimlich“ zeichnet anhand von neun Frauen nicht nur Varianten von Gewalt und Unterdrückung nach, sondern zeigt auch die Stärke der Frauen, deren Wortgefechte manchmal zum Heulen, manchmal zum Lachen sind. „Ich kann nur über die Frauen schreiben, die ich kenne“, sagt Rayhana, die einige dieser Dialoge wohl im Kopf mitgeschnitten hat, als sie noch in den Hamams ihrer Heimat badete.

In Algerien erlebte die Autorin zwei Mal, wie enge Freunde von Islamisten ermordet wurden

Vierzehn Jahre hat sie als Schauspielerin und Regisseurin erfolgreich in Algerien gearbeitet und musste zwei Mal erleben, wie enge Freunde von Islamisten ermordet wurden. Mit dem Theaterdirektor Azzedin Medjoubi hat sie noch am Vorabend seines Todes telefoniert, er wollte von der hochschwangeren Rayhana wissen, wann denn ihr Kind auf die Welt komme. Am nächsten Tag wurde er getötet – „mitten auf der Rue Molière, der Straße des großen Dramatikers, Sie verstehen?“, sagt sie und hält einen Augenblick inne. Ihren Sohn hat sie im Gedenken an den Freund Azzedin genannt. Der Regisseur Ali Tenkhi wurde im Treppenhaus seines Hauses erschossen. Rayhana saß währenddessen beim Abendessen im Wohnzimmer bei seiner Familie und hat die Salven gehört. „Die Polizisten haben mir erzählt, dass auch mein Name in einem Buch stand, das sie bei den Mördern fanden“, sagt sie und nimmt einen Schluck schwarzen Kaffee. Die sonst so ruhige Rayhana gerät in Rage, als sie berichtet, dass die geistigen Anführer der Mörder unbehelligt zwischen Algerien und Frankreich pendeln konnten, während Ali Thenki kein Visum für die Grande Nation bekam. „Der Okzident wollte lange nicht wissen, was bei uns passiert. Wir wussten immer, wer die Leute sind, die uns umbringen“, sagt sie bitter.

Seit dem Jahr 2000 lebt Rayhana in Frankreich und ist in zweiter Ehe verheiratet. Nicht mit einem Theatermann, sondern mit einem Skipper. Ihren Nachnamen hat sie geändert, doch in der Öffentlichkeit will sie nur Rayhana sein. In einem kleinen Dorf bei Perpignan hat sie Ruhe gefunden. Aber auch ein Apartment in Paris hält sie noch. In der Stadt, in der Islamisten sie fast umgebracht haben.