Elisabeth Marquart setzt sich schon ihr Leben lang für andere Menschen ein. Sie war eine Frau der 68er-Bewegung. Heute bringen die Meisten sie mit den Stolpersteinen für das Gedenken und gegen das Vergessen der NS-Opfer in Verbindung.

Vaihingen - Die erhobene Faust war ihr Ding nie wirklich. Andere mögen Steine werfen, an Zäunen rütteln, sich an Gleise ketten – Elisabeth Marquart zog es stets vor, mit ihren Gegnern zu reden. „Ich will ja friedlich mit anderen leben“, sagt sie und legt die sonst reichlich, aber unaufgeregt gestikulierenden Hände in den Schoß. Die Augen funkeln hellwach, und ein Lächeln zieht sich über ihr gesamtes Gesicht. Wie ein Radaumacher, nein, so sieht sie fürwahr nicht aus. Aber mit den farbigen Ringelsocken, den Filzpantoffeln, dem zerknittert-bunten Schal schaut sie schon ein wenig aus wie Pippi Langstrumpf und kann so manchen auch gehörig auf die Nerven gehen, eben ganz so wie das Vorbild aus den Kinderbüchern von Astrid Lindgren. Dazu passt dann auch ganz gut, dass die „Enkelkinder immer sagen, bei euch ist es wie in der Villa Kunterbunt“.

 

Das Stolpersteine-Paar ist zu einem Begriff geworden

Kunterbunt und ernst gleichermaßen, so könnte man das Leben von Elisabeth Marquart tatsächlich beschreiben. Vielen Vaihingern ist sie bekannt als die Frau, die sich zusammen mit ihrem Mann Karl-Horst um die Stolpersteine kümmert, mit der an Opfer des Naziregimes gedacht wird (siehe Seite 2). Sie hat sich jahrzehntelang für Afrika engagiert, verschenkt heute noch gerne an Besucher fair gehandelte, südlich der Sahara getrocknete Ananasstückchen.

Sie war bei den Friedensdemos der 80er-Jahre dabei, natürlich, der Nato-Doppelbeschluss lässt grüßen. Sie war Vorsitzende der Jugendfarm, nahm Wüstenfüchse, sogenannte Fenneks, in ihre Obhut, als die kurzzeitig mal in Mode kamen, von ihren Haltern aber bald verstoßen wurden. Als Autorin schrieb sie in den 70er-Jahren für die Rappelkiste, einer Kinderfernsehserie im ZDF, die sich, ganz dem damaligen Trend entsprechend, antiautoritär und emanzipatorisch gab. So mancher sagt, die Sendung sei Kult. Angefangen hat aber alles in den 60er-Jahren, in Kiel.

Durch Wasserwerfer wird sie zu einer Frau der 68er

„Ich war Studentin, und da habe ich zum ersten Mal erlebt, wie ein Wasserwerfer eine Demonstration auseinandergetrieben hat“, sagt sie. Es ging damals um die Notstandsgesetze, die den Staat in Krisensituationen handlungsfähig halten sollten, von den Kritikern aber als Eingriff in die freiheitlichen Grundrechte gesehen wurden. Als die Polizei mit schwerem Gerät vorfuhr, „da hatte ich dieses Ohnmachtsgefühl“, sagt Marquart. Spätestens ab diesem Zeitpunkt war sie „voll drin in der 68er-Bewegung“.

Fast fünf Jahrzehnte später sitzt sie auf ihrem Sofa in ihrem Häuschen in Rohr, schaut hinaus in ihren verwilderten Garten und erzählt, wie sie versucht hat, die Welt ein Stückchen besser zu machen. „Der rote Faden ist das Engagement für Menschenrechte und Gleichbehandlung“, sagt sie.

Sie kämpft gegen Aids in Afrika-ein ungleicher Kampf

Rückschläge gab es. Ihr Afrikaengagement ist jüngst einer Desillusionierung gewichen. Die beiden Eheleute hatten mehrfach den Kontinent bereist, um das ihnen Mögliche zu unternehmen, Aids zu bekämpfen. Sie sammelten, organisierten, verschifften. Die fair gehandelten Ananasstückchen zum Beispiel, „das ist die beste Aids-Prophylaxe“. Denn wer Arbeit und geregeltes Einkommen hat, schickt seine Kinder zur Schule, so die Theorie. „Aber manches ist nicht so gekommen, wie wir uns das erhofft hatten.“ Die Weltpolitik, das Aufkeimen des Fundamentalismus, das Versiegen der Aufklärung, „das war so kontraproduktiv, dass Aids wieder auf dem Vormarsch ist“, sagt Marquart. 2012 hat sie den Kontinent zum letzten Mal bereist.

Trotzdem hält sie die Erinnerung hoch. Die Geschenke von ihren Besuchen stapeln sich im Wohnzimmer. Holzschnitzereien, Tierfiguren, ein aus Bananenfasern geflochtenes Teeservice, kulturelles Überbleibsel der ehemaligen Kolonialmacht Großbritannien.

Es gibt ja auch hier genug zu tun. Ihre drei Kinder haben ihr inzwischen fünf Enkel geschenkt. „Ich verbringe viel Zeit mit ihnen“, sagt sie, und immer wieder kreisen die Geschichten um den Nachwuchs, der ihr Zuhause unsicher macht. „Das ist wie mein kleiner Kindergarten, und wir haben das Glück, dass alle in Vaihingen und Möhringen wohnen.“ Dabei lacht sie, wie so häufig, und ihre Wangen drücken die Augen zu Schlitzen. Ist sie zufrieden? „Ja“, sagt sie. „Und von diesem Glück geben wir gerne etwas ab.“

Erster Stolperstein für eine Zwangsarbeiterin (von Rebecca Stahlberg)

Ein Mahnmal für Katharina Karanowa

Ein Gedenkstein soll an sie erinnern. Doch über den Menschen Katharina Karanowa ist so gut wie nichts bekannt. Lediglich das Jahr ihrer Geburt, 1917 in Russland, und das Jahr ihres Todes, 1944 in Vaihingen, sind in Dokumenten zu finden. Während des Zweiten Weltkrieges musste Karanowa als Zwangsarbeiterin in der Firma Karl Schmidt im Vaihinger Industriegebiet schuften. Am Samstag, 23. Mai, wird der Kölner Künstler Gunter Demnig für sie einen sogenannten Stolperstein verlegen. Es ist der erste in Stuttgart, der einer Zwangsarbeiterin gewidmet ist.

Ein Sprung in kochendes Aluminium

Das Unternehmen Karl Schmidt war ein Metall-Schmelzwerk und den Vaihingern als „Aluminium-Schmidt“ bekannt. Am 30. August 1944 beging die 27-jährige Katharina Karanowa dort Selbstmord. Die Art der Tat spricht deutlichere Worte als es jede Beschreibung ihres Leids als Zwangsarbeiterin je zu tun vermochte: Die junge Frau sprang in kochendes Aluminium. Zu lesen ist dies in ihrem Sterbedokument. Gefunden hat es Karl-Horst Marquart. Er und seine Frau Elisabeth sind die Gründer der Vaihinger Stolperstein-Initiative.

In Stuttgart gibt es 15 solcher Initiativen. Die Mitglieder erforschen die Schicksale von Opfern der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft: von Juden, Oppositionellen, Menschen mit Behinderungen oder psychischen Erkrankungen, von Zeugen Jehovas, Homosexuellen, Sinti und Roma. Wenn möglich, versuchen die Mitglieder die letzten Wohnorte der NS-Opfer herauszufinden, bevor diese getötet wurden. Dort werden die zehn mal zehn Zentimeter großen Steine mitsamt beschrifteter Messingplatte dann in den Bürgersteig eingelassen.

Ein Stein für das Gedenken und gegen das Vergessen

„Ich habe mich immer dafür eingesetzt, dass für alle Opfergruppen der NS-Gewaltherrschaft Stolpersteine verlegt werden“, erzählt Karl-Horst Marquart. Vor allem die Zwangsarbeiter, „Ost-Arbeiter“ genannt, seien völlig recht- und schutzlos gewesen und seien bislang im Gedenkdiskurs untergegangen, findet der 73-Jährige. Rund 22 000 Zwangsarbeiter habe es in Stuttgart gegeben, darunter 8000 Frauen und 4000 Kinder. Sponsor des 14. Gedenksteins in Vaihingen ist eine amerikanische Familie aus den Patch Barracks. Das freut Marquart besonders: „Es ist schön, wenn Grenzen überschritten werden.“

Wo sich einst die Firma Karl Schmidt befand, steht heute das Regierungspräsidium Stuttgart. Der Regierungspräsident Johannes Schmalzl wird an der Zeremonie am Samstag teilnehmen. „Diese Stolpersteinaktion ist mir sehr wichtig. Nur wer die Vergangenheit auch in aller Grausamkeit des Einzelschicksals kennt, kann die Zukunft gestalten“, so Schmalzl.

Weitere Informationen:

Der Stolperstein für Katharina Karanowa wird am Samstag, 23. Mai, 10 Uhr, vor dem Regierungspräsidium verlegt, und zwar an der Schockenriedstraße. Ansprechpartner und Informationen, wo man spenden kann, findet man unter www.stolpersteine-stuttgart.de.