Stuttgart hat einen der besten Opernchöre der Republik. Zu verdanken ist das Michael Alber, der am Sonntag seine letzte Vorstellung als Leiter des Staatsopernchors gibt.

Stuttgart - In den letzten Tagen habe ihn dann doch „der Blues ereilt“, sagt Michael Alber. Am Donnerstag leitete er seine letzte Probe mit dem Stuttgarter Opernchor, am Sonntag wird er bei Bellinis „La Somnambula“ zum letzten Mal einen Abenddienst absolvieren. Dann ist Schluss, endgültig. Nach 19 Jahren am Stuttgarter Haus, zunächst als stellvertretender und dann als leitender Chordirektor, übernimmt der gebürtige Tuttlinger vom Sommersemester an eine Professur für Chorleitung an der Musikhochschule in Trossingen.

 

Alber gibt zu, dass ihm diese Entscheidung schwergefallen ist und „ein halbes Jahr lang schlaflose Nächte“ gekostet hat – und das ist kein Wunder. Er verlässt den wohl erfolgreichsten und besten Opernchor der Republik zu einem Zeitpunkt, zu dem sich das Opernhaus unter dem neuen Führungsduo Jossi Wieler und Sergio Morabito aufmacht, nach den durchwachsenen Puhlmann-Jahren wieder zu einstiger Größe zu finden. Andererseits: der Mann braucht die Herausforderung. Schnelle Erfolge interessieren ihn nicht, und auf die Frage nach den schönsten Erinnerungen zählt er ausgerechnet jene Produktionen auf, bei denen sein Chor bis an die Grenzen gefordert war: Schönbergs „Moses und Aron“ oder Thomallas „Fremd“ gehören dazu, aber auch „Actus tragicus“, bei dem die Sänger im Bach-Stil singen mussten.

Aber bis zur Verrentung an einem Haus zu bleiben, kann sich Alber nicht vorstellen. Zumal er durch seine geregelte Lehrtätigkeit nun auch die Möglichkeit bekommt, Gastdirigate anzunehmen. Einiges steht jetzt schon fest: ein Brahms-Requiem mit Kurt Masur in Paris, ein Cage-Projekt mit dem Ensemble Ascolta und Aufnahmen mit dem Orpheus-Vokalensemble. Langweilig wird’s ihm nicht werden.

„Immer wieder dazulernen“ ist Albers Maxime

An seine Anfänge in Stuttgart kann sich Michael Alber noch gut erinnern. Es war 1992, als er zu seiner Bewerbung für die Stelle als stellvertretender Chordirektor Teile aus Wagners „Parsifal“ und Berlioz’ „La Damnation de Faust“ vorbereitet hatte. Drei Tage vor dem Probedirigat wurde ihm noch der Anfang von Verdis „Otello“ aufgegeben – ein Chorleiter an einem Opernhaus muss stressresistent sein. Sein erster Abenddienst war dann gleich ein harter Brocken, Janaceks „Aus einem Totenhaus“, dirigiert von Michael Gielen. Hier mussten diverse Männerchöre disponiert werden, was auch Alber ins Schwitzen brachte. Seine erste eigene Produktion war dann 1995 Rossinis „L’Italiana in Algeri“, damals inszenierten schon Wieler/Morabito. Und am Pult des Staatsorchesters stand eben jener Gabriele Ferro, der nun am Sonntag auch Albers Abschiedsvorstellung dirigieren wird: Bellinis „La Somnambula“, bekanntlich ebenfalls von Wieler/Morabito in Szene gesetzt. So schließt sich der Kreis.

Immer wieder dazulernen – das zählt zu Albers Maximen. Und das müssen auch die Mitglieder des Opernchors. Vor allem stilistische Vielseitigkeit wird von ihnen erwartet. Was man von keinem Solisten verlangen würde, beispielsweise gleichzeitig Wagner und Monteverdi singen zu können, zählt für Choristen zur Grundqualifikation. Dazu sollen Chorsänger auch szenisch überzeugen und sich auf die Vorstellungen der jeweiligen Regisseure einlassen. Nicht immer geht das ohne Reibungen. Da musste dann auch Alber, der mit den Choristen sonst ein „Verhältnis auf Augenhöhe“ bevorzugt, einfach mal hierarchisch entscheiden, was wie gemacht wird.

Alber geht nach 69 Operneinstudierungen

Michael Alber verlässt, das ist sicher, ein bestens bestelltes Haus. Im vergangenen Jahr ist der Staatsopernchor von Kritikern wieder zum Opernchor des Jahres gewählt worden, jetzt bereits zum achten Mal. Unglaublich! Und auch in diesem Jahr dürften die Chancen nicht schlecht stehen. Der Chor besitzt ein eigenes Profil, das sich vor allem durch klangliche Homogenität und Variabilität auszeichnet. Derart strahlend satte Wagner-Chöre wie in Stuttgart hört man anderswo kaum– und wo nötig, kann der Chor auch sehr kantabel und fein klingen. Das solistische Potenzial der Chorsänger ist ebenfalls imponierend – Produktionen wie Hans Thomallas „Fremd“ sind so überhaupt erst möglich geworden. Es hat sich eben ausgezahlt, dass Michael Alber in Besetzungsfragen kompromisslos war und eine Stelle auch mal ein Jahr unbesetzt gelassen hat, bis schließlich der perfekte Bewerber gefunden war.

Wenn Michael Alber nun geht, so hat er insgesamt 69 Operneinstudierungen hinter sich, dazu diverse Sinfoniekonzerte und CD-Produktionen. Zudem wurden auch 27 Chorstellen während seiner Zeit neu besetzt. Weitere Projekte mit der Staatsoper sind zunächst nicht geplant, sein Nachfolger Johannes Knecht soll die Möglichkeit haben, seine eigenen Vorstellungen ungestört zu verwirklichen. Ehrensache, dass Alber für den Chor noch ein großes Abschiedsfest machen wird: „Mit Büfett und allem Drum und Dran.“ Da wird sich der Blues dann schon verziehen.

AbschiedAm Sonntag leitet Michael Alber zum letzten Mal den Stuttgarter Opernchor:in Bellinis „La Somnambula“, Beginn 19.30 Uhr.