Ein Postkartenfund zeigt: Der totale Bruderkrieg zwischen Thomas und Heinrich Mann fand nicht statt, im Gegenteil.

Kultur: Tim Schleider (schl)

Stuttgart - Große Aufregung in der Mann-Gemeinde: 84 bisher unbekannte Postkarten von Thomas Mann an seinen Bruder Heinrich aus dem Zeitraum von 1900 bis 1928 sind aufgetaucht – und sie sind ganz überwiegend freundlich, fröhlich, dem älteren Bruder offenbar herzlich zugetan. Da tun hier und da manche ganz überrascht: Wie denn, Thomas und Heinrich waren sich gar nicht spinnefeind, verachteten sich gar nicht bis aufs Blut?

 

Zu den vielen Mythen rund um die Großfamilie Mann gehört seit Langem auch dies: der Mythos vom ewigen Bruderzwist. Thomas, so die Annahme, habe Heinrich stets und ewig dessen Eintreten für Demokratie und die Ideale der französischen Revolution übel genommen, während er selbst, der am liebsten völlig unpolitische Ästhet, gegen übermächtige Männer der Weltgeschichte prinzipiell nichts einzuwenden gehabt hätte, solange diese nur ausreichend Geschmack hatten. Hinter dieser Gegenüberstellung stand mehr als eine Familienanalyse, es war immer auch der Versuch, das Werk des Nobelpreisträgers als ästhetisch hochrangig, aber politisch letztlich degoutant zu diskreditieren.

Der Fund vervollständigt einen bekannten Befund

Der wahre Kern der Geschichte umfasst die Jahre von 1914 bis 1922; da herrschte wirklich Funkstille zwischen „Tommi“ und „Heini“, weil der Ältere am Beginn des Ersten Weltkrieges die Zeichen der Zeit klar deutete, während der andere zunächst der Deutschtümelei verfiel und sich von der geschwisterlichen Kritik brüskiert fühlte. Just mit dem schmerzvollen Vollenden des „Zauberbergs“ hat Thomas Mann diese Haltung überwunden, allmählich. Sicher nicht begeistert, aber selbstkritisch erkannte er in den zwanziger Jahren, dass Heinrich die geistige Lage politisch klarer analysiert hatte. Und bekanntlich gehörte Thomas Mann spätestens von 1930 an zu den wenigen Intellektuellen der Weimarer Republik, welche gegen die Nazis mutig Partei für die Demokratie ergriffen.

Im Grunde hat schon Heinrich Breloer 2001 in seiner großen TV-Dokumentation „Die Manns“ sehr differenziert das Bruderverhältnis gezeichnet. Ja, es gab einen Rest an Befangenheit zwischen beiden bis zum Schluss. Doch just in den Jahren der Emigration ist die materielle Sorge für den in Amerika gänzlich erfolglosen Heinrich eine Selbstverständlichkeit für Thomas. Zudem gibt es aus Reden im kleinen Kreis Passagen von geradezu rührender Bewunderung für den literarisch zu dieser Zeit eigentlich längst Gescheiterten. Der Postkartenfund vervollständigt das Bild. Aber er stellt es weiß Mann nicht auf den Kopf.