Mit modernsten Methoden haben Forscher den Bodensee neu kartiert. Sie haben nicht nur gesunkene Raddampfer entdeckt, sondern auch tiefe Canyons im Seeboden. In einer Bildergalerie zeigen wir beeindruckende Aufnahmen.

Stuttgart - Tief eingeschnittene Canyons, Schiffswracks aus vergangenen Jahrhunderten, sich windende Rinnen, merkwürdige kreisrunde Gebilde: am Grund des Bodensees finden sich viele geheimnisvolle Objekte. Manches war schon bekannt, anderes haben Forscher erst jetzt entdeckt, als sie den Seeboden im Rahmen des Projekts „Tiefenschärfe“ unter die Lupe genommen haben. Wie die Forscher dabei vorgegangen sind und was sie bei ihren Messungen entdeckt haben, darüber berichtete jetzt der Geologe Martin Wessels im Stuttgarter Naturkundemuseum. Sein Vortrag „Bodensee Tiefenvermessung – was passiert da?“ war Teil einer Vortragsreihe, die parallel zur Bodenseeausstellung im Naturkundemuseum stattfindet.

 

Martin Wessels koordiniert am Langenargener Institut für Seenforschung das rund 612 000 Euro teure Projekt, das von der Internationalen Gewässerschutzkommission für den Bodensee sowie vom Interreg-Förderprogramm der EU finanziell unterstützt wird und an dem unter anderem auch die jeweiligen Vermessungsverwaltungen der Bodensee-Anrainer beteiligt sind. Bei seinem Vortrag in Stuttgart machte Wessels zunächst deutlich, dass dieses Geld gut angelegt ist: Die Erkenntnisse sind für künftige Uferplanungen ebenso wichtig wie zur Dokumentation von Baggerungen, Stegen und anderen Eingriffen des Menschen. Und sie sollen der Wissenschaft neue Erkenntnisse etwa über die Flachwasserzone oder zu ungewöhnlichen Strukturen am Seeboden liefern. Zudem betonte Wessels, dass die allermeisten Daten am Ende des Projekts der Öffentlichkeit zur Verfügung stehen.

Anschließend beeindruckte der Seenforscher seine Zuhörer mit der unglaublichen Datenfülle, die dank der aufwendigen digitalen Messmethoden bei diesem Projekt angefallen sind. Als im Jahr 1893 der Bodensee zum ersten Mal vermessen worden ist – unter der Regie von Eberhard Graf von Zeppelin, dem Bruder des Luftschiffbauers – wurde exakt 11 497-mal vom Schiff aus im Abstand von 60 bis 300 Meter ein Bleilot auf den Seegrund abgelassen und so die Tiefe gemessen. Knapp hundert Jahre später wurde 1990 der See mit der damals zur Verfügung stehenden Echolottechnik wesentlich genauer vermessen.

Milliarden Datenpunkte werden ausgewertet

Doch seither hat sich die Vermessungstechnik rasant weiterentwickelt. Beim Projekt Tiefenschärfe wurde zunächst der Seeboden ab einer Tiefe von fünf Metern vom Schiff aus mit einem Fächerecholot vermessen. Dabei wird vom Schiff aus ein fächerförmiges Schallsignal nach unten geschickt, aus dem dann mehrere Hundert Tiefenwerte des Seebodens abgeleitet werden. Ein Computerprogramm setzt daraus ein dreidimensionales Bild von der Unterwasserwelt zusammen. „Ein sehr komplexes mathematisches Zusammenspiel“, sagt Wessels, denn dabei müssen viele Dinge berücksichtigt werden: Unterschiedliche Wassertemperaturen führen zu unterschiedlichen Ausbreitungsgeschwindigkeiten des Schalls, das Schiff bewegt sich, die Datenfülle ist mit 7,2 Milliarden Tiefeninformationsdaten immens.

Noch größer ist die Datenfülle beim anderen Teil des Projekts, der lasergestützten Vermessung der Flachwasserzone vom Flugzeug aus. Dabei tastet ein grüner Laserstrahl einen Streifen von 400 bis 500 Metern Breite ab. Die reflektierten Lichtsignale ermöglichen die Darstellung des Ufers und der Flachwasserzone bis in eine Tiefe von sechs bis acht Meter – je nach Transparenz des Wassers. Am Ende kamen bei den Flügen mehr als 15 Milliarden Datenpunkte zusammen.

Derzeit wird diese riesige Datenfülle noch ausgewertet. Aber schon jetzt ist klar, dass die Forscher viele bisher unbekannte Dinge entdeckt haben. Einen Vorgeschmack lieferte Wessels bei seinem Vortrag mit beeindruckenden Bildern. So deuten Strukturen im Überlinger See auf bisher unbekannte Grundwasserzutritte hin. Auch wurde das Wrack des 1933 versenkten Dampfers „Helvetia“ gefunden. Und die neu entdeckten kreisrunden Gebilde am Untersee könnten Überbleibsel aus der letzten Eiszeit sein.