Plastikfrei leben: ist das zu schaffen? Sicher nicht zu 100 Prozent, sagt Susanne Enchelmayer-Kieser. Die 46-Jährige aus Backnang gehört zu einer Gruppe von Menschen im Rems-Murr-Kreis, die es trotzdem ausprobieren will.

Backnang - Den Gang in die Betriebskantine muss sich Susanne Enchelmayer-Kieser von diesem Mittwoch an für einige Zeit verkneifen. Denn alle Lebensmittel, die in der Klinik Löwenstein (Landkreis Heilbronn) auf den Tisch kommen, werden aus hygienischen Gründen in Plastik verpackt angeliefert. Doch Kunststoff ist in den kommenden 21 Tagen tabu für die Frau aus Backnang, die in der Klinik für das Qualitäts- und Klimamanagement zuständig ist. Schließlich hat sie sich ein ehrgeiziges Ziel gesetzt: Sie will drei Wochen lang möglichst ohne Plastik leben.

 

„Ich möchte testen, was geht“, sagt die 46-Jährige und nennt als Gründe die Gesundheit, vor allem aber die zunehmende Vermüllung der Meere. „Ich bin seit etwa 30 Jahren im Bund für Umwelt- und Naturschutz (BUND). Lange habe ich nicht mehr viel getan, aber vor einiger Zeit bin ich wieder aktiv geworden.“

Klimaschutzprojekt Klik als Auslöser

Ein Auslöser dafür war ihre Teilnahme am kreisweiten Klimaschutzprojekt Klik, bei dem rund 100 Haushalte unter der Federführung der Energieagentur Rems-Murr getestet haben, wie sie ihren CO2-Verbrauch senken können. Manche Beteiligte haben sich intensiv mit dem Thema Kunststoff beschäftigt und wollen im Laufe des Jahres für einige Zeit ohne dieses Material leben – so wie Enchelmayer-Kieser, die nun den Anfang macht.

„Eigentlich dachte ich bislang, dass ich ziemlich ökologisch unterwegs bin: Wir wohnen in einem Holzhaus, bauen im Garten Gemüse und Obst an, kaufen im Bioladen ein, und unsere gelbe Tonne ist immer nur halb voll“, sagt die Mutter eines vierjährigen Sohnes. Doch je intensiver sie sich mit dem Thema beschäftigt, desto mehr Hürden tauchen auf. Inzwischen ist Susanne Enchelmayer-Kieser klar geworden, dass drei Wochen komplett ohne Plastik schlichtweg nicht möglich sind – und dass drei Wochen mit weniger Kunststoff viel Aufwand und Verzicht bedeuten.

Denn Plastik ist allgegenwärtig. „Schon wenn ich morgens den Wecker ausschalte, berühre ich Plastik“, sagt sie. Der Aufwachkaffee aus dem geliebten Vollautomaten – gestrichen. Stattdessen gibt es lösliches Pulver aus einem Glas. „Käse bekomme ich in Weissach zum Glück so über die Theke“, sagt Enchelmayer-Kieser, die sich schon damit abgefunden hat, dass Reis, Nudeln und vieles andere erst mal vom Speisezettel gestrichen sind. Selbst das Zappen per Fernbedienung falle vorerst flach, sagt sie und lacht: „Die ist ja aus Plastik.“

Die Hausarbeit muss weitgehend ruhen

Doch der Verzicht hat auch positive Seiten. „Im Haushalt kann ich in den drei Wochen kaum helfen: Spülmaschine, Staubsauger, Waschmaschine – alles ist aus Plastik. Ich kann höchstens den Boden mit einem Baumwolllappen feucht wischen.“ Ihre Kollegen in der Klinik hätten gefragt, ob sie im Falle eines Falles überhaupt Erste Hilfe leisten dürften, sagt Susanne Enchelmayer-Kieser. Denn auch in der Medizin spielt Plastik eine große Rolle. Die scherzhafte Frage der Kollegen ist noch eine harmlose Reaktion, hat die 46-Jährige festgestellt. Manche Mitmenschen reagierten regelrecht aggressiv auf ihren Versuch, sagt Enchelmayer-Kieser, die den Rat bekommen hat, in eine Höhle zu ziehen.

Vor und nach der plastikfreien Phase testet sie den Gehalt an Bisphenol A (siehe „Bedenkliche Stoffe“) in ihrem Blut. „Ich denke nicht, dass ich bedenkliche Werte habe, möchte aber sehen, ob sich da etwas verändert.“ Sohn Lukas weiß mit seinen vier Jahren übrigens recht genau, was Plastik ist und was nicht, was Mama essen darf und was tabu für sie ist. Er macht also mit – aber nur ein bisschen. Denn auf sein Lieblingsfahrzeug, einen täuschend echt aussehenden Traktor, will er keinesfalls verzichten. Und der ist, na klar, aus Kunststoff.

Bedenkliche Stoffe

Weichmacher
Phtalate machen harte und spröde Kunststoffe elastisch. Sie kommen in (Lebensmittel-)Verpackungen, Bodenbelägen, Schuhen oder medizinischen Artikeln wie Schläuchen vor. Sie können aus Produkten ausdünsten oder sich beim Kontakt mit Flüssigkeiten und Fetten lösen. Phtalate können die Fortpflanzungsfähigkeit beeinträchtigen, manche sind extrem giftig für Wasserorganismen. Das Umweltbundesamt empfiehlt einen Ersatz durch weniger bedenkliche Stoffe.

Bisphenol A
Der Stoff wirkt wie ein Hormon und steckt als Beschichtung in Konservendosen, wird für mikrowellengeeignetes Geschirr, Kunststoffbesteck oder elektrische Geräte wie Handys oder Wasserkocher verwendet. Studien belegen, dass er bei Vögeln, Fischen und Fröschen Fehlbildungen verursacht. Niedrige Konzentrationen des Stoffs verändern auch das Verhalten, Lernvermögen und die Hirnstruktur von Ratten