Die Geschädigten schöpfen Hoffnung, weil Rechtsanwälte ein Modell zur Durchsetzung von Ansprüchen gefunden haben. Eine Gesetzesreform stärkt die Position der Kartellopfer.

Stuttgart - Immer mehr Spediteure und andere Käufer von Lastwagen gehen vor Gericht. Sie verlangen von den europäischen Lastwagenherstellern, die 14 Jahre lang ein Kartell zur Preisabsprache gebildet hatten, Schadenersatz. So bereitet der Bundesverband Güterkraftverkehr Logistik und Entsorgung (BGL) in Vertretung von zahlreichen Käufern, mit denen Leasingnehmer gleichgestellt sind, jetzt eine zweite Klage vor – „aufgrund der ausnehmend großen Resonanz“, wie der BGL schreibt, die die erste gefunden habe. Bisher haben kartellgeschädigte Unternehmen Schadenersatzansprüche für mehr als 100 000 Lastwagen angemeldet, die sie im fraglichen Zeitraum von 1997 bis 2011 angeschafft hatten. Die Frist für die Registrierung war am 30. September abgelaufen; bis Ende des Jahres soll die Klage eingereicht werden. Die Käufer waren in Sorge, dass Rückzahlungsansprüche aus den Jahren vor 2003 zum Ende des Jahres 2017 verjähren könnten. Nun trommelt der BGL für eine zweite Klage Ende 2018, bei der Ansprüche aus späteren Käufen geltend gemacht werden sollen.

 

Der Kronzeugenstatus bewahrt MAN nicht vor Schadenersatzansprüchen

Die EU-Kommission hatte im Juli 2016 Daimler, MAN, Volvo/Renault, DAF und Iveco wegen unzulässiger Absprachen zu einer Geldbuße von 2,9 Milliarden Euro verurteilt; Scania muss nach einer weiteren Entscheidung, die vor wenigen Wochen getroffen wurde, aus dem gleichen Grund 0,9 Milliarden Euro zahlen. MAN blieb als Kronzeuge zwar von einer Strafe verschont, ist aber ebenso wie die anderen Kartellbrüder den Forderungen der Kunden ausgesetzt. Nach Recherchen der EU-Kommission haben die Hersteller die Preise, die Weitergabe der Kosten für die Einhaltung von Umweltnormen an die Kunden sowie die Zeitpläne für die Einführung der entsprechenden Technik abgesprochen.

Die Kläger können ihre Ansprüche mittlerweile leichter geltend machen, weil findige Juristen die Bündelung mehrerer Schadenersatzansprüche zu einer Klage als Geschäftsmodell bei Kartellverstößen entdeckt haben. Beispiel BGL. Der Verband arbeitet mit dem Rechtsdienstleister Financialrights Claims zusammen, der im Erfolgsfall eine Provision in Höhe von einem Drittel des Schadenersatzes aus den Ansprüchen erhält, die ihm abgetreten werden. Rechtsvertreter ist die Anwaltskanzlei Hausfeld; der Prozessfinanzierer Burford Capital komplettiert die Allianz.

Durch das Lkw-Kartell wird das neue recht auf die Probe gestellt

Hausfeld arbeitet nicht nur mit dem BGL-Partner Financialrights Claim zusammen, sondern vertritt auch direkt Klienten. Die US-Kanzlei, die in Deutschland mit ihren Klagen gegen VW wegen des Dieselskandals bekannt geworden ist, ist in Europa gut vertreten. Rechtsanwalt Alex Petrasincu, Partner der Kanzlei, spricht von Ansprüchen aus dem Kauf von mehreren 100 000 Lastwagen, bei denen Hausfeld die Käufer vertritt. Dazu gehört auch die Spedition Waberer’s, einer der großen Transport- und Logistikdienstleister in Europa. Die Ungarn, die von 1997 bis 2011 mehrere Tausend Lastwagen bei den Mitgliedern des Kartells gekauft haben sollen, klagen vor dem Landgericht München.

Wegen wenigen tausend Euro hat es sich aufgrund des Kostenrisikos für Unternehmen früher nicht gelohnt, Schadenersatzansprüche zu verfolgen. Das ist durch die Bündelung von Interessen anders – sprich: billiger – geworden und lohnt sich auch dann, wenn ein Großteil des Schadenersatzes nicht in die eigenen Taschen fließt. Auftrieb gibt Kartellopfern auch die Entwicklung der Rechtslage. So ist im Juni 2017 eine Novelle des Kartellgesetzes in Kraft getreten. Die Kölner Anwaltskanzlei Luther spricht in diesem Zusammenhang von einer „gezielten Verbesserung der Klägerposition“. So wurden nicht nur die Verjährungsfristen verlängert, sondern ausdrücklich auch ein Anspruch des Klägers auf Herausgabe von Beweismitteln und Erteilung von Auskünften geschaffen. Zudem unterstellt das Gesetz jetzt ausdrücklich, dass ein Kartell zu Schäden führt; es ist Sache der Beklagten, das Gegenteil zu beweisen. Luther geht davon aus, dass das neue Kartellrecht durch das Lkw-Kartell auf „eine erste Bewährungsprobe“ gestellt wird.

Ist überhaupt ein Schaden eingetreten?

Die Mitglieder des Kartells dürfen nach der Novelle von den Klägern ebenfalls Informationen verlangen – für den Nachweis, dass bei ihnen gar kein Schaden entstanden ist, weil sie erhöhte Preise ihrerseits an Kunden weitergegeben haben. Hausfeld-Partner Alex Petrasincu beunruhigt das allerdings nicht: „Unter anderem angesichts der knappen Margen im Transportgeschäft und da es sich bei Lastwagen um sogenannte variable Kosten handelt, bei denen Wettbewerbsökonomen zufolge eine Weitergabe deutlich unwahrscheinlicher ist, dürfte ein solcher Nachweis kaum möglich sein.“ Die neue Rechtslage gilt für Klagen nach dem Stichtag 26. Dezember 2016.

Gleichwohl beharren die Hersteller darauf, dass es gar keinen Schaden gegeben hat. Aufgrund dieser Haltung sind auch Vergleichsverhandlungen, die der BGL im September 2016 initiiert hatte, letztlich gescheitert. Die Hersteller argumentieren, dass es bei den verbotenen Absprachen um Listenpreise gegangen sei, die in der Praxis gar keine Rolle gespielt hätten. Üblich seien am Markt vielmehr Abschläge von bis zu 40 Prozent gewesen, heißt es. Davon lässt sich die Gegenseite nicht beeindrucken, die auf eine Einschätzung des Bundeskartellamts verweist: „Im Mittel führen Preisabsprachen zu um 25 Prozent überhöhten Preisen“, steht in der Broschüre der Wettbewerbshüter mit dem Titel „Erfolgreiche Kartellverfolgung“.

Das Gutachten kostet bis zu 150 000 Euro

Auch das Ergebnis der Recherchen der EU-Kommission spricht gegen einen harmlosen Informationsaustausch. Trotzdem müssen die Kunden im Detail nachweisen, welcher Schaden ihnen entstanden ist. Daran arbeiten Gutachter gegenwärtig; Die Kosten für solche Gutachten gehen nach Angaben aus der Branche bis zu 150 000 Euro. Petrasincu stellt gleichwohl eine überschlägige Schätzung an und berücksichtigt dabei, dass ein Anspruch, der in der Vergangenheit entstanden ist, verzinst werden müsste: „Wenn ich mir Schaden und Zinsen zusammen anschaue, dann halten wir zehn Prozent des Kaufpreises oder der Leasingrate für eine konservative Schätzung. Wenn es darunter läge, wären wir sehr überrascht.“

Bei einem Preis pro Lastwagen von 70 000 Euro wären das 7000 Euro. Der Kartellexperte einer Stuttgarter Kanzlei schätzt, dass auf das einstige Kartell Schadenersatzzahlungen in dreistelliger Millionenhöhe zukommen. Hausfeld hat im Sommer von zwei Milliarden Euro gesprochen.