Die Premiere von „Piaf“ im Alten Schauspielhaus in Stuttgart wurde vom Publikum bejubelt.

Stuttgart - Staksiger Gang, verschreckt-aufgerissene Augen, zerrissenes Lächeln: An das Schicksal der französischen Legende zum Ende der Karriere Édith Piafs erinnernd, betritt Vasiliki Roussi die Bühne. Sie intoniert einige Takte, bricht ab, schickt flehende Blicke ins Nirgendwo, kippt um, wird von ihrem Manager aufgefangen.

 

Die Tragödie ist nicht mehr aufzuhalten; zurück also zum Anfang des Ausnahmelebens der Zeit- und Musik-Ikone.Einer eher konventionellen Umsetzung der Bühnenvorlage von Pam Gems folgend, entwickelt nach diesem Entrée ein glänzend aufgelegtes Ensemble die Hommage an Édith Piaf als Schauspiel mit Musik.

Verantwortlich für die Stuttgarter Fassung ist Ulf Dietrich. Mit Spielszenen und französischen Songs wird die Geschichte der Édith Piaf, eine wilde Mixtur aus Mythos und Wahrheit erzählt. Weltberühmte Chansons wie „Sou le ciel de Paris“, „C’est une vraie tordue de la musique“, „Le Fanion de la Légion“ „L’Accordóniste“ und vor allem „Non, je ne regrettte rien“ hat Andrew Hannan neu arrangiert. Bühnenaustatterin Martina Lebert ließ den Musikern ein mobiles Podest im Bühnengrund zimmern, wo Ulrich Schlumberger am Akkordeon mit Mareike Öhler am Cello und Andrew Hannan die Muzette und weniger französisch- typische Sounds zelebrieren.

Die Gossensprache der Frauen amüsiert, ihre provokative Motzigkeit auch

Und so blitzt für einen Theaterabend mitten in Stuttgart zuerst das bitterarme Paris auf. Ungeniert und kokett ihre Scham kratzend, hockt Heike Schmidt als Édiths Freundin Toine mit gespreizten Beinen vor dem Publikum, lamentiert über Männer und das horizontale Gewerbe. Die Gossensprache der beiden Frauen amüsiert, ihre provokative Motzigkeit auch, Vasiliki Roussi lacht meckernd. Blitzschnell ist die Bühne zur Bar umgebaut, der erste Auftrittsort der bisher unbekannten Sängerin Édith. Doch schon ist Vasiliki Ruossi „Piaf“, begeistert mit einem schimmernden Mezzosopran, schnurrt das „r“, das Premierenpublikum applaudiert. Aus dem „Spatz“ wird ein Star. Eine Sängerin mit unverwechselbarer Stimme, die nie Musik oder Poesie studierte und trotzdem selbst schrieb. Ihre unausrottbare Sehnsucht nach Glück und der ganz großen Liebe diktierten ihr Liedworte und Bekenntnis: „Meine Chansons, das bin ich, das ist mein Fleisch, mein Herz, meine Seele“.

Die in Stuttgart geborene Vasiliki Roussi ist ein Glücksfall für die Inszenierung. Das Publikum nimmt ihr die gespielten Eskapaden, die kabarettistische Exzentrik, Affären und Exzesse, das Gebrochene der Figur in jeder Theaterminute ab. Und immer wieder bedankt es sich mit Szenenapplaus für die überzeugenden Interpretationen der Chansons. Im schwarzen Unterkleid, barfuß, die Hände gefaltet, bittet, bettelt, weint und singt Roussi als Piaf nach dem Tod ihrer großen Liebe Marcel mit „Mon Dieu“ einen fernen Gott an, ihr den Geliebten zurückzubringen.

Vasiliki Roussi trifft das Publikum mitten ins Herz

Allein, verzweifelt, gebrochen, aber noch nicht zerbrochen, startet der „Spatz von Paris“ eine zweite Karriere. Auch wenn „diese blöden Amis“ – Roussi spuckt ein böses „Merde“ aus – ihren ersten Auftritt 1956 auspfeifen, weitere folgen und die mit Riesenerfolg. Ganz nah ist die zierliche Stuttgarterin auch dem Original, als deren Zerfallsprozess durch Drogen nicht mehr aufzuhalten ist und mit der Interpretation des „Non, je ne regrette rien“ – „Ich bereue nichts“. So wie die echte Piaf ihre Zuhörer „mitten ins Herz“ traf, so überzeugt die großartige Vasiliki Roussi mit dem engagiert agierenden Gesamtensemble.